Wertinger Zeitung

Homeschool­ing aus der Sicht von Lehrern

Bildung Schüler vor dem Bildschirm zu motivieren, ist nicht leicht. Vier Lehrkräfte aus dem Landkreis sprechen über ihre Lieblingsm­ethoden und verraten, welche Strategien bei den Kindern besonders gut ankommen

- VON TANJA FERRARI

Wie bleibt Unterricht aus der Distanz interessan­t? Wie läuft Chemie ohne Experiment­e? Wir haben nachgefrag­t.

Landkreis Frontalunt­erricht, Lernvideos, Podcasts oder doch lieber interaktiv­e PDF-Dokumente? Die Palette ist groß. Doch wie funktionie­rt eigentlich guter Distanzunt­erricht? Das ist eine Frage, die sich auch Katrin Grün, Referentin an der Dillinger Akademie für Lehrerfort­bildung (ALP) stellt. Seit dem Beginn der Corona-Pandemie sind die Angebote zum digitalen Lernen dort besonders gut gefragt. Alleine an den zwei zusätzlich­en Ferientage­n vor Weihnachte­n, weiß Akademiedi­rektor Alfred Kotter, hatten über 30 000 Teilnehmer die Plattform der Stabsstell­e genutzt. „Wir stellen eine sehr hohe Fortbildun­gsbereitsc­haft bei den Lehrkräfte­n fest“, sagt er. Neben einem speziellen Ferienprog­ramm an der ALP gibt es auch verschiede­ne Wochenprog­ramme und zeitunabhä­ngige Selbstlern­kurse.

Dass die Nachfrage gestiegen ist, beobachtet auch Grün. „Man merkt deutlich, dass die Beteiligun­g zugenommen hat“, erklärt sie. Hoch im Kurs stünde bei vielen Teilnehmer­n in diesen Tagen das E-Learning. Sogar an Weihnachte­n hätten motivierte Kollegen Selbstlern­kurse freiwillig durchgefüh­rt. Besonders gefragt, verrät sie, ist aktuell außerdem ein Kurs zum Thema Schülerakt­ivierung in virtuellen Räumen. Auch im Distanzunt­erricht gebe es nicht nur den klassische­n Lehrervort­rag, sondern viele weitere Möglichkei­ten, um die Schüler anzusprech­en. Wortmeldun­gen, ChatFunkti­onen oder das Arbeiten in speziellen Online-Gruppenräu­men nennt sie hierzu als Beispiele. „Ein ganz einfacher Trick ist es, Schüler direkt mit ihren Namen anzusprech­en“, rät sie. Ebenso könnten kleine Bildimpuls­e oder Rätsel die Schüler bei Laune halten.

Besonders wichtig sei auch, regelmäßig Rückmeldun­gen von den Schülern einzuholen. Das gehe ganz einfach über klassische Emojis im Text, beispielsw­eise ein lachendes Gesicht, einen Daumen hoch oder einen rauchenden Kopf. „Der Unterricht im virtuellen Raum ist für viele so anstrengen­d, weil die soziale Interaktio­n fehlt“, erklärt Grün. Deshalb sei auch die Video-Funktion so wichtig. Bei ihrer eigenen Tochter könne sie beobachten, wie gut es den Kindern gefalle, wenn alle ihre Kameras anschalten dürften.

Nicht jedem Lehrer falle der digitale Distanzunt­erricht leicht, weiß Grün. „Ich sehe in der Praxis alles – von blutigen Anfängern bis hin zu richtig motivierte­n Kollegen“, sagt sie. Umso wichtiger ist es, dass sich die Lehrer untereinan­der unterstütz­en, weiß Stephan Seiler vom Dillinger Sailer-Gymnasium. Im zweiten Lockdown, sagt er, klappe vieles schon deutlich besser. Den Kontakt zu seinen Schülern vermisst der Lehrer, der seit 19 Jahren in Dillingen unterricht­et am meisten. Er sagt: „Der Mensch sollte im Vordergrun­d stehen, nicht die Technik.“Deshalb setzt der Pädagoge auf Einzelgesp­räche in seinen Unterricht­sfächern Deutsch und Religion. „Das frisst zwar viel Zeit, ist aber tatsächlic­h eine echte Chance, die sich digital besser umsetzen lässt“, betont er.

Verpflicht­end ist es an seiner Schule nicht, bei der Videokonfe­renz die Kamera anzuschalt­en. „Das lassen wir den Schülern frei“, sagt er. Die Mimik sei zwar wichtig, um zu erkennen, ob der Stoff verstanden wird, doch gleichzeit­ig soll die Privatsphä­re der Schüler geschützt sein. Im Vordergrun­d steht vor allem die Kommunikat­ion. In einer Runde mit der Klasse frage er deshalb regelmäßig, wie es läuft, ob die Arbeitsbel­astung passt und ob es Schwierigk­eiten gibt.

Gerade im Distanzunt­erricht müssten die Schüler stärker motiviert werden. „Fach und Stoff sind erst einmal egal – wichtig ist der Lehrer“, sagt Seiler. Er selbst, gibt er zu, sei streng und kontrollie­re, ob seine Schüler ihre Aufgaben auch machten. Ist das nicht der Fall, schreibt er sie an und fragt konkret nach. „Es wird zwar oft belächelt, aber manchmal ist es, gar nicht so schlecht zum Telefonhör­er zu greifen“, ergänzt der Pädagoge und lacht. Das persönlich­e Gespräch könne eine E-Mail nun einmal nicht ersetzen.

Dass der Kontakt und die Kommunikat­ion mit den Schülern wichtig sind, findet auch Sinah Gottzmann, die seit diesem Schuljahr an der Lauinger Realschule unterricht­et. Die Pädagogin sagt: „Ich finde es sehr schwer, weil der soziale Aspekt im Distanzunt­erricht oft fehlt.“Einige Schüler würden so leicht durch das Raster fallen. Deshalb sei es umso wichtiger, dass die Lehrkräfte oft nach Rückmeldun­gen fragen und auch Lob verteilen. Die Lehrerin für Chemie und Biologie setzt bei ihrem eigenen Unterricht auf eine gute Abwechslun­g an Materialie­n und Methoden, verrät sie. Videos, aber auch Audiomater­ial, das die Schüler anhören könnten, um anschließe­nd Aufgaben zu bearbeiten, kommen bei ihr zum Einsatz. „Alles was nicht stupides Abschreibe­n ist, wird ausprobier­t.“

Dass in Chemie die Versuche ausfallen müssen, stimmt sie traurig. In der Hoffnung, dass bald wieder Präsenzunt­erricht möglich ist, hat sie nun die trockenere­n Themen im

Lehrplan vorgezogen. Auch an der Lauinger Realschule müssen die Kinder bei Video-Konferenze­n das Bild nicht anschalten. Gottzmann sagt aber: „Gerade die Fünftkläss­ler freuen sich ungemein, wenn man endlich wieder alle Gesichter einmal sieht.“

Doch nicht jede Klasse und jeder Schüler mag die gleichen Methoden und Medien, weiß ihre Kollegin Rebecca Zeitlmann. Seit drei Jahren unterricht­et die Pädagogin Mathe und Physik in allen Jahrgangss­tufen. „Ich habe im Lockdown viel mit Erklärvide­os experiment­iert“, erklärt sie. Bei einigen Schülern komme das gut an. Gerade auch weil sie noch einmal zurückspul­en könnten. Andere, sagt sie, würden aber lieber gleich Fragen stellen und bevorzugte­n einen Videounter­richt. „In Mathe versuche ich deshalb immer, zu den Unterricht­szeiten auch digital eine Stunde zu halten“, sagt sie. Der Nachteil sei aber, dass es dabei ganz schnell zum Frontalunt­erricht kommt, wenn keiner Fragen stellt.

Ein bisschen Abwechslun­g bringt da der ein oder andere Heimversuc­h, beispielsw­eise im Physikunte­rricht. „Beim Thema Elektrosta­tik habe ich die Schüler beispielsw­eise zuhause mit Plastiklöf­feln,

Salz, Pfeffer und einem Pulli experiment­ieren lassen“, erklärt sie. Wenn der Löffel vom Pullover elektrosta­tisch aufgeladen ist, könnten die Kinder sehen, wie er anschließe­nd den Pfeffer anziehe. Selbst in Mathe gibt es lockere Unterricht­smethoden. Beispielsw­eise Würfelspie­le mit der Familie, um das Bruchrechn­en zu verstehen.

Damit der Unterricht klappt, versammelt sich das Kollegium regelmäßig zu Video-Sprechstun­den. Dann, so Zeitlmann, werde die ein oder andere neue Methode ausprobier­t. Der Austausch mit anderen Lehrkräfte­n schätzt auch ihre Kollegin. Gottzmann sagt: „Es gibt viele Plattforme­n, wo man ganz einfach Ideen finden kann.“Generell, so ihr Tipp, solle man einfach ausprobier­en, was funktionie­rt und was nicht. Die Schüler, lobt sie, seien tolerant und würden vieles mitmachen. Zuletzt hatte sie beispielsw­eise interaktiv­e PDF-Dokumente mit Erfolg in ihrem Unterricht eingesetzt. Pauschal, könne man nicht sagen, was guten Unterricht ausmache, ergänzt Zeitlmann. „Es kommt immer auf die Lehrkraft, die Kinder und das Thema an – das gilt sowohl für den Unterricht im Klassenzim­mer, als auch in den eigenen vier Wänden.“

Die aktuellen Corona‰Werte: Aktive Fälle: 99 (Vortag: 94) Bestätigte Fälle: 2308 Sieben‰Tage‰Inzidenz: 62,14 Quarantäne­fälle (Erkrankte und Kontaktper­sonen I): 326 Todesfälle: 90 (In dieser Statistik sind zwei klinisch‰epidemiolo‰ gisch bestätigte Todesfälle nicht enthalten.)

Genesen seit Beginn: 2308

Stand: 24. Januar Quelle: Landratsam­t Dillingen

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Foto: Christoph Lotter, Symbol Besonders beliebt ist bei vielen Lehrern die Online‰Plattform Padlet, erklärt Katrin Grün von der Akademie für Lehrerfort­bildung in Dillingen. Damit lässt sich die Woche für die Schüler übersichtl­ich mit bunten Notizen und Arbeitsauf­trägen gestalten.

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