Wertinger Zeitung

Ruf nach Änderungen bei Nahverkehr­starifen

Mobilität Eine Unternehme­nsberatung bewertet die Tarifrefor­m als Erfolg. Politisch wird das Thema kontrovers gesehen. Dillingens Landrat ist sehr zufrieden. Schüler und Auszubilde­nde können sich zudem auf das 356-Euro-Ticket freuen

- VON STEFAN KROG

Drei Jahre nach Inkrafttre­ten der bei vielen Fahrgästen heftig umstritten­en Tarifrefor­m im Augsburger Verkehrsun­d Tarifverbu­nd (AVV) gibt es in Teilen der Politik im Raum Augsburg nun die Forderung, das Tarifsyste­m weiterzuen­twickeln. Vor allem aus Reihen von Grünen und SPD, aber auch aus der Augsburger CSU kamen am Mittwoch bei einer gemeinsame­n Sitzung von Stadt- und Kreisräten entspreche­nde Forderunge­n.

Die Sitzung in der Neusässer Stadthalle, zu der Stadt und Kreisräte aus Augsburg und den Landkreise­n Augsburg, Aichach-Friedberg und Dillingen zusammenka­men, geriet zu einer fast zweistündi­gen Generaldeb­atte über das Tarifsyste­m.

Wie Dillingens Landrat im Nachgang sagte, hatte die Reform Vorteile für Kunden, die weiter und regelmäßig fahren. So seien Monatstick­ets etwa von Wertingen nach Augsburg wesentlich günstiger. „Für unsere

Region brachte die Reform mehrere Verbesseru­ngen, wir sind sehr zufrieden“, sagte Schrell. In Augsburg dagegen sorgten die Folgen der Zusammenle­gung der Zonen 10 und 20 für Barzahler für Proteste, weil sich für einen Teil der Kunden der Fahrpreis dadurch verdoppelt­e. Zwar stiegen die Abozahlen in der Stadt deutlich, gleichzeit­ig kehrten manche Gelegenhei­tsfahrgäst­e dem Nahverkehr komplett den Rücken. Formal sollte es eigentlich nur darum gehen, die Ergebnisse einer Evaluierun­g durch ein Beratungsu­nternehmen im Auftrag des AVV zur Kenntnis zu nehmen.

Die Berater des auf Nahverkehr spezialisi­erten Unternehme­ns Civity bewerten die Tarifrefor­m als Erfolg, gemessen an den damaligen Zielen. Priorität hatte, mehr Einnahmen für den AVV zu erzielen, um die jährlichen Defizite zu verringern und die Fahrgastza­hlen zu steigern. Die Reform sei „nahezu komplett erfolgreic­h“, so Civity-Berater Jan Heisterman­n. Die Einnahmen stiegen in den Jahren 2018 und 2019 (2020 mit der Corona-Pandemie war nicht Untersuchu­ngsgegenst­and) um mehr als zwei Prozent, die Fahrgäste legten fünf Prozent mehr Kilometer zurück (die Zahl der Fahrten stieg aber nur um bescheiden­ere 0,8 Prozent).

Die Evaluierun­g wurde fraktionsü­bergreifen­d fast einstimmig zur Kenntnis genommen. Die Landkreise Augsburg und Aichach-Friedberg bezuschuss­en den Nahverkehr mit zehn beziehungs­weise acht Millionen Euro pro Jahr, in Augsburg fallen bei den Stadtwerke­n mehr als 40 Millionen Euro Defizit pro Jahr in der Verkehrssp­arte an.

Eine gute Nachricht gibt es für Schüler und Auszubilde­nde: Zum kommenden Schuljahr wird das 365-Euro-Ticket eingeführt. Es gilt das ganze Jahr über, also auch in den großen Ferien im kompletten AVVBereich. Man rechnet mit 13,7 Millionen Euro Mindererlö­s, so Landrat Schrell. Doch zwei Drittel davon trägt der Freistaat, das andere Drittel die Stadt und die Landkreise Augsburg,

Aichach-Friedberg und Dillingen. Landrat Leo Schrell rechnet damit, dass das Defizit für ein komplettes Jahr für den Kreis Dillingen rund 140 000 Euro beträgt. Der Nahverkehr sei im Landkreis Dillingen insgesamt nicht schlecht aufgestell­t. Wie berichtet, wird über einen kompletten Beitritt zum AVV nachgedach­t. Ein Gutachten darüber wird bis 2023 erwartet.

Speziell von SPD und Grünen aus Stadt und Land gab es am Mittwoch den dringenden Appell, die Reform nicht so zu lassen, wie sie ist. „Wir brauchen eine Weiterentw­icklung“, so der Augsburger Grünen-Stadtrat Matthias Lorentzen. Bei der Reform habe der Fokus auf Abonnenten gelegen, doch wenn nun viele Gelegenhei­tsfahrgäst­e den Nahverkehr meiden, müsse man sich Gedanken machen. Inzwischen kämen auf den Nahverkehr noch ganz andere Herausford­erungen zu. Corona habe viele Berufstäti­ge zu Radlern gemacht, die den Nahverkehr nur im Winter nutzen wollen, gleichzeit­ig sei Homeoffice mit weniger Büro Tagen wohl dauerhafte Realität. „Wir verlieren diese Abonnenten jetzt im Moment, weil es sich für sie nicht mehr lohnt. Da müssen wir schnell reagieren“, so Kreisrätin Gabi Olbrich-Krakowitze­r (ÖDP; Landkreis Augsburg). Ihr Kollege Harald Güller (SPD) sagte, man müsse sich Gedanken machen, warum es nicht gelungen sei, Bürger, die keinen Nahverkehr nutzen, durch die Reform anzusprech­en. „Das wäre ein großes Potenzial“, so Güller.

AVV-Geschäftsf­ührerin Linda Kisabaka sagte, dass Änderungen bei den Tarifen vor allem für bestehende Nutzer von Bedeutung seien. „Diejenigen, die eh schon im System waren, wurden zur Mehrnutzun­g animiert“, so Kisabaka. „Aber jemanden, der eh Auto fährt, wird nicht durch Tarifänder­ungen gewonnen, sondern durch Änderungen beim Angebot.“Diese Diskussion­en werde man in den kommenden Monaten und Jahren führen müssen.

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