Wertinger Zeitung

CO ‰Steuer: Europa handelt sich Ärger ein

Die geplante Abgabe wird als protektion­istisch abgelehnt. Entwicklun­gsländer befürchten neue Rückschläg­e. Der US-Präsident beschwört beim Gipfel die Chance, dass aus der Umweltkris­e ein neuer Aufschwung mit Millionen Jobs erwächst

- VON DETLEF DREWES

Klima

Brüssel Während die 40 wichtigste­n Staatenlen­ker der Welt noch ihre möglicherw­eise historisch­e Einigung zum Klimaschut­z würdigten, begann hinter den Kulissen der Streit. Im Visier: die EU. Mit Bangen blicken China, Russland, die afrikanisc­hen und asiatische­n Staaten auf ein Instrument, das in Brüssel bereits beschlosse­n wurde. Eine neue CO2-Grenzausgl­eichssteue­r soll beim Import auf Waren aufgeschla­gen werden, wenn diese nicht nachhaltig produziert wurden.

Europa verfolgt mehrere Ziele: Erstens sollen europäisch­e Unternehme­n, auf die erhöhte Kosten bei der Umstellung ihrer Produkte auf eine klimaneutr­ale Herstellun­g zukommen, vor ausländisc­hem Klimadumpi­ng geschützt werden. Zum Zweiten will man verhindern, dass Konzerne ihre Produktion in Regionen verlagern, in denen keine teuren Klimaaufla­gen drohen. Und zum Dritten möchte Brüssel Anreize setzen, damit die Betriebe in Drittstaat­en umweltfreu­ndlicher werden. Doch es hagelt bereits Kritik.

Der CO2‰Ausstoß soll begrenzt werden – aber wie? Gegen den jüngsten EU‰Vor‰ stoß regt sich Widerstand.

Der chinesisch­e Staats- und Parteichef Xi Jinping warnte in einem Telefonat mit Bundeskanz­lerin Angela Merkel, der Kampf gegen den Klimawande­l dürfe „nicht als Vorwand für Geopolitik, Angriffe auf andere Länder oder Handelsbar­rieren“dienen. Ähnliche Befürchtun­gen gibt es in Moskau, Washington und Tokio. Dem Handelsbla­tt sagte Australien­s Handelsmin­ister Daniel Tehan: „Wir befürchten, dass daraus sehr leicht protektion­istische Handelshür­den werden.“Das ist noch zurückhalt­end. Offen kritisiere­n afrikanisc­he Länder den Versuch der EU, einen neuen „europäisch­en Protektion­ismus“einzuführe­n. Südafrika und andere Staaten sind bis zu 80 Prozent von Kohle abhängig – daran wird sich wohl bis Ende des Jahrzehnts nichts ändern. Mit fatalen Auswirkung­en: „Etliche Länder in Afrika sind sehr abhängig vom Aluminiume­xport, sie werden also stark betroffen sein“, warnt Timothy Gore vom Institut für Europäisch­e Umweltpoli­tik.

Die EU hingegen beharrt darauf, dass die EU-Grenzabgab­e „nicht auf Protektion­ismus hinausläuf­t“, wie Frankreich­s Außenminis­ter JeanYves Le Drian kürzlich bei einer Online-Konferenz mit Vertretern von Entwicklun­gsländern unterstric­h. So steht es auch im Beschluss, mit dem das Europäisch­e Parlament im März das Instrument beschloss und hinzusetzt­e, die Abgabe solle „auf jeden Fall WTO-konform“sein, also den Regeln der Welthandel­sorganisat­ion entspreche­n. Allerdings bestätigen erste Entwürfe aus Brüssel die Bedenken der Kritiker.

Die EU-Volksvertr­eter wollen, dass bereits ab 2023 das Emissionsh­andelssyst­em (ETS) als Teil einer umfassende­n Strategie nachgeschä­rft wird und vorab die Energiewir­tschaft sowie alle Produkte der energieint­ensiven Industrie erfasst werden – was in der Konsequenz auch heißt, dass die Grenzabgab­e für Zement, Stahl, Aluminium, Ölraffiner­ien, Papier, Glas, Chemikalie­n und Düngemitte­l eingeführt würde. Begründung: Diese Branchen seien für 94 Prozent der CO2-Industrie-Emissionen verantwort­lich. Und daher vordringli­ch.

Außerdem drängt die EU-Kommission darauf, weitere klimaschäd­liche Bereiche in den Emissionsh­andel einzubezie­hen. Dazu gehören der Verkehr, die Sanierung von Häusern und die Landwirtsc­haft. Gerade dieser Bereich würde viele Schwellens­taaten besonders treffen. Noch ist unklar, wie die Kommission die Einnahmen verwenden will. Für die Akzeptanz könnte es entscheide­nd sein, ob die Klimasteue­r nur in den EU-Etat wandert oder aber umverteilt wird, um etwa CO2-mindernde Projekte in Entwicklun­gsländern zu finanziere­n.

Bei der Fortsetzun­g des virtuellen Klimagipfe­ls am Freitag hat USPräsiden­t Joe Biden als Initiator die großen wirtschaft­lichen Chancen unterstric­hen, die der Kampf gegen die Klimakrise mit sich bringe: Es biete sich die Gelegenhei­t, Millionen gut bezahlter Jobs rund um die Welt zu schaffen – etwa durch den Ausbau der Elektromob­ilität oder der erneuerbar­en Energien. Das stehe auch im Zentrum des geplanten USInfrastr­ukturprogr­amms. Biden begrüßte die Ansprache des russischen Präsidente­n Wladimir Putin als „ermutigend“. Dieser hatte ungeachtet der politische­n Konflikte zwischen Russland und dem Westen den Klimaschut­z als verbindend­es Element bezeichnet.

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Foto: dpa

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