So verwundbar ist die deutsche Industrie
Hintergrund Fehlende Chips setzen die Autohersteller zunehmend unter Druck. Daimler muss die Bänder anhalten, auch Audi geht in Kurzarbeit. Die Konzerne sind stark von Asien abhängig – weil ihre Einkäufer wie Lemminge nur in eine Richtung laufen, kritisie
München Es sind die kleinsten Bauteile im Auto, die den Herstellern derzeit die größten Sorgen bereiten. Halbleiter, Chips – ohne diese intelligenten Komponenten kommt heute kein Fahrzeug aus. Die Elektronik steuert das Fahrverhalten, den Motor, hilft, den Airbag auszulösen und vieles mehr. Derzeit aber sind die Chips auf dem Weltmarkt so knapp, dass Daimler in Bremen und Rastatt teilweise die Bänder anhalten musste. Der britische Hersteller Jaguar Land Rover musste die Produktion an zwei Standorten aussetzen. Der Peugeot-Mutterkonzern Stellantis hat sich zu einer ungewöhnlichen Lösung entschieden. Wegen fehlender Elektronik-Bauteile bekommt der Peugeot 308 wieder einen analogen Zeiger-Tachometer. Kaum ein Hersteller ist von der Chip-Knappheit gefeit, auch Audi holt der Engpass ein.
Der Ingolstädter Autobauer unterbricht im Werk Neckarsulm wegen der fehlenden Chips in der kommenden Woche die Produktion. „Aktuell steht bereits fest, dass es in der nächsten Woche am Standort Neckarsulm in der C-Reihe zu einer Produktionsunterbrechung kommen wird“, berichtete Audi. „Aufgrund fehlender Halbleiter-Teile findet bei den Modellen A6 und A7 in der Woche von 26. bis 30. April keine Produktion statt. Die von den Arbeitsausfällen betroffenen Mitarbeitenden gehen für diesen Zeitraum in Kurzarbeit“, heißt es.
„Die Corona-Pandemie und die damit verbundene Halbleiter-Krise weiterhin unsere volle Aufmerksamkeit“, schreibt Dieter Braun, Leiter des Lieferketten-Bereichs bei Audi, in einem internen Schreiben an die Mitarbeiter. „Wir haben unsere Lieferketten genau im Blick und stehen dazu laufend mit unseren Standorten und Partnern im Austausch“, erklärte er. „Da die Lage ernst bleibt, kann es jederzeit wieder zu Engpässen kommen. Deshalb haben wir erneut beschlossen, für die Produktion und die tangierten Bereiche vorsorglich Kurzarbeit anzumelden“, kündigte er an. Dies bedeute allerdings nicht automatisch, dass diese in allen Bereichen tatsächlich eintreten werde.
Die Chip-Krise ist für die Hersteller ein Rückschlag. Die Autobauer erholen sich gerade von der Corona-Krise, die Nachfrage aus China ist hoch. Wie konnte es in dieser Situation ausgerechnet zur Knappheit dieser wichtigen Bauteile kommen? Der Zentralverband der Elektrotechnik- und Elektronikindustrie, kurz ZVEI, hat sich intensiv damit auseinandergesetzt.
Der Chip-Mangel ist Folge von zwei Entwicklungen, die sich gegenseitig verstärken, berichtet ZVEI-Geschäftsführer Wolfgang Weber. Zum einen haben die Autohersteller mitten in der Corona-Krise ihre Bestellungen gesenkt, zum anderen hat die Corona-Krise die Digitalisierung angeschoben, was den Chip-Bedarf für andere Geräte wie Laptops erhöht. „Die Engpässe in der Automobilbranche hängen wesentlich damit zusammen, dass die Hersteller zum Beginn der Pandemie im Frühjahr 2020 ihre Bestellungen deutlich zurückfuhren und diese Kapazitäten von anderen Abnehmern besetzt wurden“, sagt Weber. Die Chips werden also in anderen Geräten statt in Autos verbaut. Langfristige Trends, wie das vernetzte Fahren und die notwendige Digitalisierung der Energiewende, werden die Nachfrage hochhalten“, prognostiziert Weber.
Die Hersteller, berichtet der Fachmann, setzen alles daran, ihre Kapazitäten zu vergrößern. „Das allerdings geht nicht über Nacht, da die Chipproduktion extrem aufwenfordert dig, arbeitsteilig und auch kapitalintensiv ist“, sagt Weber. Der ChipRiese Intel beispielsweise sieht kein Ende der globalen Halbleiter-Engpässe. Die beispiellose Nachfrage strapaziere die Lieferketten, sagte Intel-Chef Pat Gelsinger. Es fehle an Fertigungskapazitäten, Material für Leiterplatten, Bauteilen. So legen die fehlenden Chips nun ganze Autofabriken lahm.
Die großen Chip-Hersteller sind zwar weltweit verteilt. Intel in den USA, Infineon zum Beispiel in
Deutschland. Die Produktion finde aber in erster Linie im Asien-Pazifik-Raum statt, berichtet der ZVEI. Die europäischen Fabriken hängen also stark an Chip-Lieferungen aus Asien.
Um die heimische Industrie unabhängiger zu machen, fordert der Verband eine stärkere Produktion in Europa. „Europa muss den Aufbau von Produktionskapazitäten jetzt verstärkt angehen“, sagt Weber. Es gehe darum, globale Wertschöpfungsnetzwerke zu erhalten und gleichzeitig in Europa die Kompetenz in bedeutenden Halbleitergebieten auszubauen. „Europa wird dann besser den Bedarf an Halbleitern aus eigener und globaler Produktion decken können“, sagt Weber. Bundesregierung und EUKommission hätten dafür bereits 2018 ein Schlüsselprojekt aufgesetzt – ein Important Project of Common European Interest, kurz IPCEI. „Jetzt gilt es, das zweite IPCEI für Mikroelektronik ausreichend zu finanzieren und schnellstmöglich umzusetzen“, fordert Weber.
Zum Teil liege die Schuld aber auch bei den Autoherstellern selbst, meint Auto-Experte Professor Ferdinand Dudenhöffer. „Mittlerweile schlägt das Halbleiter-Problem der Industrie Blüten, um nicht zu sagen Stilblüten“, sagt Dudenhöffer unserer Redaktion. „Ja, wir haben eine große Halbleiter-Krise. Ja, die Halbleiter-Knappheit wird die Autoproduktion weltweit zurückwerfen. Ja, wir werden damit Sozialprodukt verlieren und nicht nur wir, sondern auch die USA, China, Japan, Korea“, sagt er. Die Ursache sei aber nicht nur eine gestiegene
Nachfrage nach Chips, sondern auch ein schlecht gemanagter Einkauf der Autohersteller.
Einerseits sei durch Corona die Digitalisierung schneller vorangeschritten, als gedacht, erklärt Dudenhöffer. Damit sei der Halbleiterbedarf gestiegen. „Aber ist das wirklich des Pudels Kern?“, fragt er. „Die Autobauer wissen seit Jahren und planen seit Jahren mit immer stärkerer Automatisierung, mit immer mehr Rechnern und intelligenten Funktionen im Auto. Sprich, sie wissen von dem enorm gestiegenen Chip-Bedarf“, sagt er. „Und was haben die Einkaufsabteilungen aller Autobauer weltweit gemacht? Business as usual“, kritisiert der Experte. „Man hat eben keinen strategischen Einkauf, der langfristig mit den Entwicklern der nächsten Automodelle plant. Die Einkaufsvorstände der Autoindustrie scheinen noch im Fax-Zeitalter zu leben. Die Einkäufer reagieren wie Lemminge, alle laufen in eine Richtung, ohne sich über die Richtung Gedanken zu machen“, sagt Dudenhöffer.
Nicht nur Engpässe durch den im Suez-Kanal auf Grund gelaufenen Frachter „Ever Given“hätten gezeigt, wie wenig strategisch in den Unternehmen Logistikpläne bei Engpässen aussehen. „Ein Großteil der Engpässe sind vorhersehbar, allerdings brauchen wir dazu mehr als ein Fax oder Excel-Sheet“, sagt Dudenhöffer und fordern den Einsatz von Künstlicher Intelligenz und IT: „Jede Krise ist eine Chance. Wir sollten die Chip-Krise nutzen, endlich unsere Einkaufsbereiche intelligent aufzustellen. Software und Chips helfen auch hier“, sagt er.