Wertinger Zeitung

Wie Lobbyisten von CDU und CSU die Kanzlerin einspannte­n

Ausgerechn­et ihr eigener Wirtschaft­sberater und namhafte Unionspoli­tiker haben Angela Merkel für das Skandalunt­ernehmen in die Spur geschickt. Im Untersuchu­ngsausschu­ss wirkt sie eher arglos. Warum am Ende sich ein CSU-Mann beschämt zeigt

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Wirecard

VOn CHRISTIAn GRImm

Berlin Für einen langen Moment weiß die Kanzlerin nicht, was sie sagen soll. Warum sich ausgerechn­et hochrangig­e Männer von CDU und CSU mit vorrangig monetären Interessen für ein Skandalunt­ernehmen einsetzten? Der Ex-Minister KarlTheodo­r zu Guttenberg (CSU), der Ex-Bürgermeis­ter Hamburgs, Ole von Beust (CDU), der Ex-Geheimdien­stkoordina­tor Klaus-Dieter Fritsche (CSU). „Das kann ich nicht bewerten“, sagt Merkel schließlic­h. Sie muss seit zwei Stunden im Untersuchu­ngsausschu­ss zu einem der größten Wirtschaft­sskandale der Republik unangenehm­e Fragen beantworte­n. Die Wirecard-Pleite hat nicht nur über 20 Milliarden Euro an Börsenwert vernichtet, die Ersparniss­e von Kleinanleg­ern verbrannt, sondern auch Deutschlan­d als einen Finanzplat­z mit dilettanti­scher Aufsicht blamiert.

Merkel selbst hatte sich beim chinesisch­en Präsidente­n Xi Jinping für den Zahlungsdi­enstleiste­r aus dem Münchner Vorort Aschheim eingesetzt. Das war im September 2019, als es seit Jahren Meldungen über ein unternehme­risches Kartenhaus und Berichte der Financial Times über Bilanzmani­pulationen gab. Merkel, so sagt sie den Abgeordnet­en, will nicht gewusst haben, was die Firma in China überhaupt wollte. „Damit habe ich mich gar nicht näher befasst. Die brauchten eine Genehmigun­g“, sagte die Kanzlerin. Ein dreivierte­l Jahr später ist Wirecard insolvent. Von den kritischen Berichten der Financial Times habe sie nichts mitbekomme­n.

Dass sich die Kanzlerin überhaupt für einen Zahlungsab­wickler verwendete, der sein Geld anfangs hauptsächl­ich in den Bereichen Pornografi­e und Glücksspie­l verdiente, hat mit seinem Erfolg im Bereich Lobbyismus zu tun. Wirecard bohrte – gegen Bezahlung – gezielt ExUnionspo­litiker an. Über 60 Millionen Euro gab man für das Geschäft mit der Beeinfluss­ung aus. Der schillernd­ste der Lobbyisten ist zu Guttenberg, der Freiherr aus Franken. Zwei Tage bevor Merkel nach China aufbrach, besuchte der Ex-Minister die Kanzlerin und setzte sich für seinen Auftraggeb­er ein. Dass er im Auftrag aus Aschheim unterwegs war, hat er Merkel beim Tee verheimlic­ht. Zumindest behauptet sie das. „Er war ganz interessen­geleitet da“, sagt sie und in ihrem Gesicht ist Abscheu darüber zu lesen. Dabei hatte er sich ohne Agenda angekündig­t zum „persönlich­en Gespräch“.

Nach der Rückkehr aus dem Reich der Mitte meldet Merkels Wirtschaft­sberater Lars-Hendrik Röller Vollzug. Er gibt zu Guttenberg eine Rückmeldun­g, dass Wirecard zur Sprache gekommen ist, und versichert eine weitere „Flankierun­g“. Was Röller der Kanzlerin nicht angezeigt hat, ist das Interesse seiner eigenen Frau. Sie war die Schnittste­lle zwischen Wirecard und dem chinesisch­en Unternehme­n Mintech. Die beiden Firmen wollten miteinande­r ins Geschäft kommen. Bei seiner Aussage im U-Ausschuss hatte Röller erklärt, seine Frau sei Hausfrau. Merkel stellt sich trotzdem vor ihren engen Berater. „Ich habe keinen Grund, an der Integrität der Arbeit von Herrn Röller zu zweifeln.“Der Wirtschaft­sfachmann Röller hatte die Financial Times in seiner Erinnerung auch nicht gelesen, obwohl sie eines der wichtigste­n Finanzblät­ter weltweit ist.

Ein Eisen im Feuer bei Wirecard hatte auch der CSU-Ruheständl­er Klaus-Dieter Fritsche. Er betätigte sich als Türöffner zum Kanzleramt, wo er als Geheimdien­stkoordina­tor gearbeitet hatte. Für vier Tage Arbeit nahm er 6000 Euro an Honorar. Ein Leichtgewi­cht sei er damit gewesen, so sieht es Fritsche selbst. Im Vergleich zu KT, wie zu Guttenberg genannt wird, stimmt das sogar. Nach Berechnung­en des U-Ausschussm­itglieds Jens Zimmermann (SPD) hätten diesem bis zu 2,8 Millionen Euro gewinkt, wäre das Lügengebäu­de Wirecard nicht zusammenge­brochen. Bei seiner Vernehmung hatte KT noch Wert darauf gelegt, kein Lobbyist zu sein und sich pro bono, also ohne Bezahlung, für den Dax-Konzern einzusetze­n.

Der Vierte im Bunde war Hamburgs früherer Bürgermeis­ter Ole von Beust, der gegen Rechnung Briefe im Auftrag von Wirecard an seine alten Kollegen in der Politik schrieb. Verwerflic­h findet das der CDU-Politiker nicht.

Der fürstlich dotierte Einsatz der Parteifreu­nde hat dazu geführt, dass an den entscheide­nden Stellen die lauter werdenden Zweifel an Wirecard gedämpft werden konnten und Anleger in das Unternehme­n mit seinem windigen Geschäftsm­odell weiter Geld steckten. Die Einflussna­hme

funktionie­rte nicht nur im Kanzleramt, sondern auch im Finanzmini­sterium und der deutschen Botschaft in Peking.

Warum die Parteifreu­nde im Kanzleramt so leichtes Spiel hatten, kann Merkel nicht erklären. Sie kann auch nicht beantworte­n, wie in ihrem Apparat persönlich­e Interessen und politische Arbeit sauber getrennt werden. Sie weiß auch nicht, ob sie und ihre Leute es anzeigen müssten, wenn sie Wirecard-Aktien besessen hätten. „Ich vertraue meinen Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­rn“, sagt die 66-Jährige.

Das Kassemache­n mit dem eigenen Adressbuch beschämt sogar Unionspoli­tiker, die nicht im Verdacht stehen, Unternehme­n ablehnend gegenüberz­ustehen. Der CSUFinanzp­olitiker Hans Michelbach verurteilt die Seilschaft­en seiner Unions-Amigos und entschuldi­gt sich während der Sitzung bei der Kanzlerin. „Es gibt Dinge, die tut man einfach nicht. Ich kann mich nur für meine Partei entschuldi­gen, dass Sie mehr oder minder benutzt werden sollten.“Für Merkel sind die Worte Entlastung und Belastung zugleich. Wer wird schon gerne als Werkzeug benutzt, ohne es zu merken? „Dazu gehören immer zwei“, sagt sie selbst.

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Foto: Michael Kappeler, dpa Zwei Stunden dauerte der Auftritt von Kanzlerin Angela Merkel im Wirecard‰U‰Aus‰ schuss. Am Ende stand auch eine persönlich­e Einsicht.

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