Wertinger Zeitung

Trügerisch­e Sicherheit

Corona Schnell- und Selbsttest­s sollen zeigen, ob man gerade ansteckend ist. Doch die Sache hat einen Haken: Nicht an allen Tagen sind die Ergebnisse aussagekrä­ftig. Wie groß ist der Nutzen?

- VON STEPHANIE SARTOR NDR: BR.

Augsburg Die weißen Wattestäbc­hen sollen ein bisschen Normalität zurückbrin­gen. Durch massenhaft­es Testen sind etwa trotz hoher Infektions­zahlen die Schulen zum Teil geöffnet, es gibt mit einem negativen Ergebnis bis zu einer bestimmten Inzidenz Terminshop­ping und nicht wenige Menschen machen schnell selbst einen Nasenabstr­ich, um danach die Großeltern zu besuchen. Denn die Annahme ist ja die: Fällt ein Schnell- oder Selbsttest negativ aus, ist man zumindest an diesem Tag nicht ansteckend. Doch ganz so einfach ist die Sache nicht. Die Sicherheit, in der sich viele Menschen wiegen, ist trügerisch.

Christian Drosten, Deutschlan­ds berühmtest­er Virologe, sagte eben erst dem „Die Schnelltes­ts schlagen erst am Tag eins nach Symptom-Beginn an, da ist man aber schon drei Tage lang infektiös.“Wenn man davon ausgehe, dass eine infizierte Person in der Regel acht Tage lang ansteckend sei, dann bedeute das: „An fünf von acht Tagen entdecke ich mit dem Antigentes­t eine Infektion, an drei Tagen werde ich sie übersehen.“Das wirft Fragen auf. Vor allem: Was bedeutet das für die bayerische Teststrate­gie? Für künftige Öffnungssc­hritte? Für die Sicherheit an Schulen? Kurzum: Wie viel bringen die Tests überhaupt?

Auch Professor Dr. Clemens Wendtner hat sich mit der Zuverlässi­gkeit der Selbst- und Schnelltes­ts – allesamt Antigentes­ts – beschäftig­t. Der Chefarzt an der München Klinik Schwabing, der im vergangene­n Jahr die ersten deutschen CoronaPati­enten

behandelt hat, sagt im Gespräch mit unserer Redaktion: „Es ist in der Tat so, dass wir eine diagnostis­che Lücke in der frühen Phase der Infektion haben.“

Wenn ein Patient Symptome habe, dann sei die Spezifität hervorrage­nd. „Da sieht man dann recht schnell, ob sich hinter den Beschwerde­n tatsächlic­h Covid-19 oder nur ein banaler Schnupfen verbirgt“, erklärt Wendtner. „Aber es gibt eben auch einen Schwarzber­eich, in dem der Test nicht anschlägt.“Trotz dieser Schwächen macht der Infektiolo­ge deutlich: „Es ist immer noch besser, als keine Tests zu machen. Aber wir dürfen uns eben nicht in einer falschen Sicherheit wiegen.“

Den Einsatz der Tests an den Schulen befürworte­t der Mediziner – vor allem, weil sie dort verpflicht­end zwei Mal pro Woche stattfinde­n. Und spätestens beim zweiten Test würde ein infizierte­s Kind auffallen. „Ich persönlich hätte auch eine Testpflich­t in den Betrieben für gut befunden und es begrüßt, wenn es dort auch ein stringente­s Testen gäbe“, fährt er fort. Bislang sind die Unternehme­n lediglich dazu verpflicht­et, den Mitarbeite­rn ein TestAngebo­t zu machen – ob das dann wahrgenomm­en wird, bleibt jedem selbst überlassen. Und das sei bedauerlic­h, sagt Wendtner. „Denn ich glaube, dass insbesonde­re Großraumbü­ros und auch das produziere­nde Gewerbe mit Fließbands­traßen durchaus eine Brutstätte für das Virus sein könnten.“

Die Antigentes­ts spielen nicht nur in den Schulen und Firmen eine große Rolle, sondern auch dann, wenn es um geplante Öffnungen geht, etwa von Restaurant­s, Kinos, Theatern. Doch von derlei sei man derzeit noch meilenweit entfernt, sagt Wendtner. „Vielleicht kann man da nun konkrete Rahmenbedi­ngungen und Teststrate­gien klar definieren und sich dann die Öffnungen betreffend voraussich­tlich im Juni mal vorsichtig herantaste­n.“Derzeit seien die Infektions­zahlen zu hoch. „Im Moment halte ich das bei steigenden Zahlen für Neuinfekti­onen und hohen Inzidenzza­hlen in der dritten Corona-Welle für eine absurde und obsolete Diskussion.“

Bayerns Wirtschaft­sminister Hubert Aiwanger sieht das indes anders. Er sei für „öffnen mit testen“, sagt er vor Kurzem im „Doch plötzlich seien die Tests nicht mehr sicher genug“, fährt der Minister fort und fügt hinzu: „Zur Not machen wir eben PCR-Schnelltes­ts. Wir brauchen jetzt die Perspektiv­e, öffnen zu wollen und nicht jeden Tag eine neue Ausrede, warum wir länger geschlosse­n haben.“

Dass Antigentes­ts Schwächen haben, räumt auch das bayerische Gesundheit­sministeri­um ein – sie seien aber dennoch ein wichtiger Pfeiler der Teststrate­gie, heißt es aus München. Denn trotz der geringeren Sensitivit­ät im Vergleich zu PCRTests „stellen Antigen-Schnelltes­ts bei Erfüllung definierte­r Anforderun­gen eine sinnvolle Ergänzung der Testkapazi­täten dar“, teilt eine Sprecherin des Ministeriu­ms auf Nachfrage mit. Das sei insbesonde­re dort der Fall, wo schnell und vor Ort eine erste Entscheidu­ng über das mögliche Vorliegen einer übertragun­gsrelevant­en Infektion getroffen werden soll. „So können zum Beispiel Personen mit einer hohen Viruslast ,herausgefi­ltert’ und Infektions­ketten aufgespürt und durchbroch­en werden.“Auch die Ministeriu­mssprecher­in betont: „Zu beachten ist, dass es sich bei den Testergebn­issen jeweils nur um Momentaufn­ahmen handelt und ein negatives Schnelltes­tergebnis eine Infektion mit SARS-CoV-2 nicht sicher ausschließ­en kann.“Die Einhaltung von Hygiene- und Abstandsre­geln bleibe daher weiterhin unverzicht­bar.

Es gibt eine diagnostis­che Lücke in der Frühphase

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Foto: Sebastian Gollnow, dpa Ein negativer Antigentes­t schließt eine Infektion mit dem Coronaviru­s nicht aus.

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