Trügerische Sicherheit
Corona Schnell- und Selbsttests sollen zeigen, ob man gerade ansteckend ist. Doch die Sache hat einen Haken: Nicht an allen Tagen sind die Ergebnisse aussagekräftig. Wie groß ist der Nutzen?
Augsburg Die weißen Wattestäbchen sollen ein bisschen Normalität zurückbringen. Durch massenhaftes Testen sind etwa trotz hoher Infektionszahlen die Schulen zum Teil geöffnet, es gibt mit einem negativen Ergebnis bis zu einer bestimmten Inzidenz Terminshopping und nicht wenige Menschen machen schnell selbst einen Nasenabstrich, um danach die Großeltern zu besuchen. Denn die Annahme ist ja die: Fällt ein Schnell- oder Selbsttest negativ aus, ist man zumindest an diesem Tag nicht ansteckend. Doch ganz so einfach ist die Sache nicht. Die Sicherheit, in der sich viele Menschen wiegen, ist trügerisch.
Christian Drosten, Deutschlands berühmtester Virologe, sagte eben erst dem „Die Schnelltests schlagen erst am Tag eins nach Symptom-Beginn an, da ist man aber schon drei Tage lang infektiös.“Wenn man davon ausgehe, dass eine infizierte Person in der Regel acht Tage lang ansteckend sei, dann bedeute das: „An fünf von acht Tagen entdecke ich mit dem Antigentest eine Infektion, an drei Tagen werde ich sie übersehen.“Das wirft Fragen auf. Vor allem: Was bedeutet das für die bayerische Teststrategie? Für künftige Öffnungsschritte? Für die Sicherheit an Schulen? Kurzum: Wie viel bringen die Tests überhaupt?
Auch Professor Dr. Clemens Wendtner hat sich mit der Zuverlässigkeit der Selbst- und Schnelltests – allesamt Antigentests – beschäftigt. Der Chefarzt an der München Klinik Schwabing, der im vergangenen Jahr die ersten deutschen CoronaPatienten
behandelt hat, sagt im Gespräch mit unserer Redaktion: „Es ist in der Tat so, dass wir eine diagnostische Lücke in der frühen Phase der Infektion haben.“
Wenn ein Patient Symptome habe, dann sei die Spezifität hervorragend. „Da sieht man dann recht schnell, ob sich hinter den Beschwerden tatsächlich Covid-19 oder nur ein banaler Schnupfen verbirgt“, erklärt Wendtner. „Aber es gibt eben auch einen Schwarzbereich, in dem der Test nicht anschlägt.“Trotz dieser Schwächen macht der Infektiologe deutlich: „Es ist immer noch besser, als keine Tests zu machen. Aber wir dürfen uns eben nicht in einer falschen Sicherheit wiegen.“
Den Einsatz der Tests an den Schulen befürwortet der Mediziner – vor allem, weil sie dort verpflichtend zwei Mal pro Woche stattfinden. Und spätestens beim zweiten Test würde ein infiziertes Kind auffallen. „Ich persönlich hätte auch eine Testpflicht in den Betrieben für gut befunden und es begrüßt, wenn es dort auch ein stringentes Testen gäbe“, fährt er fort. Bislang sind die Unternehmen lediglich dazu verpflichtet, den Mitarbeitern ein TestAngebot zu machen – ob das dann wahrgenommen wird, bleibt jedem selbst überlassen. Und das sei bedauerlich, sagt Wendtner. „Denn ich glaube, dass insbesondere Großraumbüros und auch das produzierende Gewerbe mit Fließbandstraßen durchaus eine Brutstätte für das Virus sein könnten.“
Die Antigentests spielen nicht nur in den Schulen und Firmen eine große Rolle, sondern auch dann, wenn es um geplante Öffnungen geht, etwa von Restaurants, Kinos, Theatern. Doch von derlei sei man derzeit noch meilenweit entfernt, sagt Wendtner. „Vielleicht kann man da nun konkrete Rahmenbedingungen und Teststrategien klar definieren und sich dann die Öffnungen betreffend voraussichtlich im Juni mal vorsichtig herantasten.“Derzeit seien die Infektionszahlen zu hoch. „Im Moment halte ich das bei steigenden Zahlen für Neuinfektionen und hohen Inzidenzzahlen in der dritten Corona-Welle für eine absurde und obsolete Diskussion.“
Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger sieht das indes anders. Er sei für „öffnen mit testen“, sagt er vor Kurzem im „Doch plötzlich seien die Tests nicht mehr sicher genug“, fährt der Minister fort und fügt hinzu: „Zur Not machen wir eben PCR-Schnelltests. Wir brauchen jetzt die Perspektive, öffnen zu wollen und nicht jeden Tag eine neue Ausrede, warum wir länger geschlossen haben.“
Dass Antigentests Schwächen haben, räumt auch das bayerische Gesundheitsministerium ein – sie seien aber dennoch ein wichtiger Pfeiler der Teststrategie, heißt es aus München. Denn trotz der geringeren Sensitivität im Vergleich zu PCRTests „stellen Antigen-Schnelltests bei Erfüllung definierter Anforderungen eine sinnvolle Ergänzung der Testkapazitäten dar“, teilt eine Sprecherin des Ministeriums auf Nachfrage mit. Das sei insbesondere dort der Fall, wo schnell und vor Ort eine erste Entscheidung über das mögliche Vorliegen einer übertragungsrelevanten Infektion getroffen werden soll. „So können zum Beispiel Personen mit einer hohen Viruslast ,herausgefiltert’ und Infektionsketten aufgespürt und durchbrochen werden.“Auch die Ministeriumssprecherin betont: „Zu beachten ist, dass es sich bei den Testergebnissen jeweils nur um Momentaufnahmen handelt und ein negatives Schnelltestergebnis eine Infektion mit SARS-CoV-2 nicht sicher ausschließen kann.“Die Einhaltung von Hygiene- und Abstandsregeln bleibe daher weiterhin unverzichtbar.
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