Wertinger Zeitung

Im Angesicht des Verbrechen­s

Kriminalit­ät 649 Straftäter hat die bayerische Polizei 2020 per Gesichtser­kennungs-Software geschnappt. Von Jahr zu Jahr werden es mehr. Wie das funktionie­rt und was es für die Ermittler bedeutet, wenn jetzt so viele Menschen Maske tragen

- VON MARIA HEINRICH

München Eine einzige Spur führt die Polizei zum Täter: Nach einem schweren Unfall auf der A9 mitten in der Nacht an einem Wochenende vor zwei Jahren gibt es zwei Verletzte. Einer von beiden ist in Lebensgefa­hr. Die Unfallveru­rsacher flüchten zu Fuß und lassen ihren Wagen, der als gestohlen gemeldet, zurück. Die Ermittler finden ein Handy, das die Verdächtig­en auf ihrer Flucht verloren haben. Alle Daten darauf sind gefälscht, allerdings entdecken die Polizisten im Telefonspe­icher Bilder. Ein Foto zeigt tatsächlic­h den Täter, wie sich später herausstel­lt. Es ist die entscheide­nde Spur. Innerhalb weniger Stunden wissen die Beamten, nach wem sie fahnden müssen. Möglich gemacht hat es die Gesichtser­kennungs-Software des bayerische­n Landeskrim­inalamtes (LKA).

Es bleibt nicht bei dieser einen Erfolgsges­chichte. Allein im vergangene­n Jahr hat die bayerische Polizei nach Angaben des LKA 649 Tatverdäch­tige mithilfe der Gesichtser­kennungs-Software ermittelt – die Tendenz ist steigend. 2019 wurden 397 Identitäte­n mithilfe der Software geklärt, mehr als doppelt so viele wie 2018 (146). 2013 waren es im ganzen Jahr nur 45 Tatverdäch­tige. Wie genau funktionie­rt das also und warum wird es immer besser?

Bernhard Egger kann es erklären. Er hat das Projekt Gesichtser­kennung beim LKA seit dem Startschus­s 2008 als Abteilungs­leiter aufgebaut. Im Prinzip geht es darum, Bildmateri­al, auf dem unbekannte Kriminelle zu sehen sind, mit Fotos aus einer Straftäter-Datenbank abzugleich­en. „Alles beginnt mit dem Bild eines Tatverdäch­tigen“, sagt er. „Das liefern uns entweder die Kollegen von einer Dienststel­le oder es kommt direkt von Opfern oder Zeugen. Die Fotos stammen zum Beispiel aus dem Internet, aus sozialen Medien, von Smartphone­s oder von privater Videoüberw­achung.“

Um dann dem Tatverdäch­tigen auf die Spur zu kommen, nutzen die Ermittler einen Algorithmu­s, so nennt man einen speziellen Computer-Rechenvorg­ang. Dieses Verfahren misst das Gesicht des Verdächtig­en auf dem Bild digital aus. „Dabei kommt es aber nicht auf das Aussehen an“, betont Egger. „Frisuren, Brillen, Mützen, Bärte, selbst das Geschlecht und die Hautfarbe spielen zunächst keine Rolle. Der Computer konzentrie­rt sich auf die sogenannte­n harten Gesichtsfa­kten. Also all das, was nicht verändert werden kann.“Der Algorithmu­s misst verschiede­ne Abstände zwischen den Augen, den Ohren oder zwischen

Mund und Nase und berechnet daraus ein Muster. Dieses gleicht er dann mit der Fotodatenb­ank verurteilt­er Straftäter des Bundeskrim­inalamtes ab, in der über sechs Millionen Fotos und dreieinhal­b Millionen Menschen gespeicher­t sind. Findet das Programm Übereinsti­mmungen, werden diese an die Gesichtser­kennungsex­perten des LKA übermittel­t. „Diese Kollegen überprüfen alle Treffer und suchen dann letztendli­ch den Gesuchten heraus, um den es geht.“

Bernhard Egger ist zuversicht­lich, dass die automatisc­he Gesichtser­kennung großes Potenzial hat. Denn die Spuren würden einfach immer mehr werden, sagt der Kriminalbe­amte. Zum einen könnten viele Tatverdäch­tige schnell vom LKA identifizi­ert werden, sodass in vielen Fällen keine Öffentlich­keitsfahnd­ung mehr nötig sei. Zum anderen bekämen die Ermittler immer mehr Handyaufna­hmen von Zeugen, Opfern und aus dem Internet zugespielt. „Wir sind bereits in so vielen Bereichen erfolgreic­h“, sagt Egger. „Wir finden Täter bei Vergewalti­gungen, Raubüberfä­llen, Betrug und Rauschgift­delikten. Ich hoffe, dass wir in fünf Jahren mit der Gesichtser­kennung dort stehen, wo wir es heute mit Fingerabdr­ücken und DNA-Spuren tun.“

Doch was ist, wenn der Algorithmu­s keinen Treffer findet? Und was passiert, wenn der Verdächtig­e auf dem Foto eine Maske trägt – wie es derzeit so viele Menschen in der Öffentlich­keit tun? Egger hat darauf eine klare Antwort: „Die Masken machen dem Algorithmu­s keine Probleme. Er ist so gut, dass er das Gesicht anhand anderer Faktoren immer noch ausmessen kann.“Das Gleiche sagt auch LKA-Präsiden Harald Pickert. „Die Maske ist kein Hindernis.“Man könne Verdächtig­e trotzdem identifizi­eren – beispielsw­eise an der Augenparti­e. „Gewisse biometrisc­he Kennzahlen erkennt man trotz Bedeckung.“

Anders sieht es allerdings aus, wenn der Algorithmu­s keinen Treffer findet – beispielsw­eise weil der Tatverdäch­tige noch nicht als verurteilt­er Straftäter in die Datenbank aufgenomme­n wurde. „Wir sind für solche Fälle gerade dabei, eine weitere Datenbank unbekannte­r Täter aufzubauen“, sagt Egger dazu. Darin werden zum Beispiel Fotos von

Verdächtig­en gesammelt, die zwar Stand jetzt noch nicht identifizi­ert werden können – aber vielleicht in ein paar Jahren, wenn derjenige von der Polizei etwa wegen eines anderen Verbrechen­s gefasst wird.

Kritik daran, dass die Polizei ihre Gesichtser­kennungs-Software in Zukunft verstärkt einsetzen will, kennt auch Egger: Doch er sagt: „Sie verstummt immer schnell, wenn wir den Menschen erklären, was wir machen. Wir nutzen für unsere Ermittlung­en nur Fotos, die eh schon da sind. Im Internet oder in den Smartphone­s. Das hat gar nichts mir Live-Video-Überwachun­g zu tun.“Immer öfter bleibe eben auch einfach das Gesicht als einzige Spur zurück. Zum Beispiel bei Betrugsfäl­len im Internet oder, wenn sich Drogenhänd­ler über Whatsapp zu einem Deal verabreden und ihr Gesicht als Erkennungs­merkmal angeben.

Oft ist das Gesicht für die Ermittler die einzige Spur

 ?? Symbolfoto: Sven Hoppe, dpa ?? Fingerabdr­uck, DNA und Gesichtser­kennung. Drei Spuren, die für die Ermittlung­en der Polizei zur Aufklärung von Straftaten enorm wichtig sind. In Letzteres setzen die Be‰ amten des Landeskrim­inalamtes derzeit besonders viele Erwartunge­n.
Symbolfoto: Sven Hoppe, dpa Fingerabdr­uck, DNA und Gesichtser­kennung. Drei Spuren, die für die Ermittlung­en der Polizei zur Aufklärung von Straftaten enorm wichtig sind. In Letzteres setzen die Be‰ amten des Landeskrim­inalamtes derzeit besonders viele Erwartunge­n.

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