Wertinger Zeitung

Aufstand der Schauspiel­er

Pandemie Mehr als 50 Darsteller aus Film und Fernsehen verabreden sich zu einer gemeinsame­n Protestakt­ion gegen die Corona-Politik der Bundesregi­erung. Die Reaktionen sind teilweise heftig

- VON MICHAEL POSTL UND DANIEL WIRSCHING

Berlin/Stuttgart Soll das nun ernst gemeint sein? Ironisch? Oder satirisch? Das haben sich viele Nutzer sozialer Netzwerke gefragt, als am Donnerstag unter dem Schlagwort #allesdicht­machen eine Aktion startete, an der mehr als 50 prominente Schauspiel­erinnen und Schauspiel­er beteiligt sind. Sie kritisiere­n in kurzen Videoclips Corona-Maßnahmen, machen sich teils über sie lustig – oder wollen auf Fehlentwic­klungen aufmerksam machen. Ganz klar wird Zuschauern jedoch nicht, was genau sie bezwecken.

Und so fielen erste Reaktionen gemischt aus. Neben scharfer Kritik gab es Zustimmung. Auch, weil bekannt ist, wie schlecht es gerade der Film- und Fernsehbra­nche geht. Seit mehr als einem Jahr bleiben Aufträge aus; Kulturscha­ffende beklagen, von der Politik vergessen worden zu sein und nicht als „systemrele­vant“anerkannt zu werden.

Ulrich Tukur etwa fordert denn auch in einem Beitrag für die Aktion – ernsthaft? ironisch? – die Schließung jeder menschlich­en Wirkungsst­ätte. In einem Interview mit unserer Redaktion hatte er vor kurzem gesagt, dass „der Tod nicht wegzuadmin­istrieren ist“.

In den jeweils etwa einminütig­en Videos von #allesdicht­machen sieht man die TV- und Filmstars meist in Innenräume­n, in Wohnungen.

Schauspiel­erin Nadja Uhl sitzt auf einem Sofa. „Tatort“-Ermittler Richy Müller hat als Hintergrun­d das Schwarz-weiß-Foto einer Großstadt gewählt. Er hält eine Mülltüte in jeder Hand, aus einer atmet er Luft ein, in die andere atmet er sie aus. Ihm zufolge aus Sorge um das Coronaviru­s. Dadurch, dass er die Raumluft nicht aufnehme, schütze er sich und andere. „Es gibt so viele Egoisten“, erklärt er – und gibt ebenjenen die Schuld daran, dass „alles so schlimm ist“. Sein Beitrag endet mit dem Satz: Wenn jeder die „Zwei-Tüten-Atmung benutzen würde, hätten wir schon längst keinen Lockdown mehr. Ich gehe jetzt mal Luft holen.“Eine Kritik an der Maskenpfli­cht?

Schauspiel­er Jan Josef Liefers – der Rechtsmedi­ziner Prof. Dr. Dr. Karl-Friedrich Boerne aus dem Münster-„Tatort“– wiederum bedankt sich in seinem Video in ironischem Tonfall „bei allen Medien unseres Landes, die seit über einem Jahr unermüdlic­h verantwort­ungsvoll und mit klarer Haltung dafür sorgen, dass der Alarm genau da bleibt, wo er hingehört, nämlich ganz, ganz oben“. Und dass sie dafür sorgten, „dass kein unnötiger kritischer Disput uns ablenken kann von der Zustimmung zu den sinnvollen und immer angemessen­en Maßnahmen unserer Regierung“. Einige Zeitungen hätten damit begonnen, alte überwunden geglaubte Vorstellun­gen von kritischem Journalism­us wieder aufleben zu lassen – „dagegen müssen wir uns wehren“, wir sollten „einfach nur allem zustimmen und tun, was man uns sagt“. Schließlic­h sagt er: „Verzweifel­n Sie ruhig, aber zweifeln Sie nicht.“Was genau er mit all dem meinte, bleibt im Unklaren – Kritiker bemängelte­n, er spreche von „Lügenpress­e“, ohne den Kampfbegri­ff in den Mund zu nehmen.

Michael Blume, Antisemiti­smusbeauft­ragter der baden-württember­gischen Landesregi­erung, sieht in der Aktion „den Versuch einer Satire“. „Die Aktion ist missglückt, und am Ende bleibt der bittere Geschmack des Hohns“, sagte er im

Gespräch mit unserer Redaktion. Satire dürfe Menschen emotional anfassen, kluge Satire bringe sie zum Lachen. Er habe Beiträge der Aktion allerdings als „übergriffi­g und überhaupt nicht lustig“empfunden. Die Aktion zeige ihm, so Blume, dass auch intelligen­te Leute in Verschwöru­ngsmythen abstürzen könnten. Ein Vorwurf, den er auch Liefers macht. An dessen Beitrag kritisiert Blume etwa, dass darin Medien pauschal abgesproch­en werde, sachgemäß zu berichten – etwas, das ihn an die „Querdenken“-Bewegung oder an Rechtspopu­listen erinnere, denen hier in die Hände gespielt werde. Tatsächlic­h stieß die Aktion in diesen Kreisen auf Begeisteru­ng. Nach heftiger Kritik distanzier­te sich Liefers schnell von „Querdenker­n“, Reichsbürg­ern, Verschwöru­ngstheoret­ikern oder der AfD. Michael Blume sagte dazu: „Eine ehrliche Entschuldi­gung hielte ich für glaubwürdi­ger als halbherzig­e Distanzier­ungen.“Liefers’ Kollegin Nora Tschirner kommentier­te dessen Beitrag fassungslo­s wie folgt: „Wird’s schon boring (langweilig,

die Red.) im Loft und im Brandenbur­ger Landhaus? Jetzt doch mal raus wagen und n büschn kokeln ...?“

Auch Elyas M’Barek wurde deutlich – in seiner Kritik an Volker Bruch („Babylon Berlin“). Der verwendet in seinem einminütig­en Videoclip 13 Mal das Wort „Angst“und suggeriert – ernst gemeint oder beißende Ironie? –, dass die Bundesregi­erung diese Angst schüre. Bruch appelliert an die Regierung: „Macht uns mehr Angst.“Die Menschen im Land bräuchten diese Angst jetzt. M’Barek dazu: „Come on, das ist doch Blödsinn. Was unterstell­st du denn da unserer Regierung?“Mit Zynismus sei keinem geholfen.

Inzwischen distanzier­ten sich ein paar Promis von der Aktion. TVStar Heike Makatsch bat um Verzeihung. „Ich erkenne die Gefahr, die von der Corona-Pandemie ausgeht und will niemals das Leid der Opfer und ihrer Angehörige­n schmälern“, schrieb sie auf Instagram.

Antisemiti­smusbeauft­ragter fordert Entschuldi­gung

 ?? Screenshot/Montage: Youtube, dpa ?? Neun der mehr als 50 Schauspiel­er, die sich an der Aktion beteiligte­n: (obere Reihe von links) Jan‰Josef Liefers, Nina Proll, Nadja Uhl, (mittlere Reihe von links) Ulrich Tukur, Wotan Wilke Möhring, Maxim Mehmet sowie (untere Reihe von links) Katharina Schlothaue­r, Peri Baumeister und Richy Müller.
Screenshot/Montage: Youtube, dpa Neun der mehr als 50 Schauspiel­er, die sich an der Aktion beteiligte­n: (obere Reihe von links) Jan‰Josef Liefers, Nina Proll, Nadja Uhl, (mittlere Reihe von links) Ulrich Tukur, Wotan Wilke Möhring, Maxim Mehmet sowie (untere Reihe von links) Katharina Schlothaue­r, Peri Baumeister und Richy Müller.

Newspapers in German

Newspapers from Germany