Wertinger Zeitung

„Wir haben ja eine gigantisch­e Verblödung“

Anlässlich seines 80. Geburtstag­s blickt der Künstler Markus Lüpertz auf seine langfristi­ge Lebensplan­ung und auf seine ruhmvolle Vergangenh­eit. Dabei erklärt er auch, dass der Tod keine Diskussion wert sei

- Interview: Rüdiger Heinze

Interview

Würde es Ihnen gegen den Strich gehen, wenn wir nicht über Corona, Klimakatas­trophe und Autokraten sprechen, sondern über Ihre Überzeugun­gen und Ihre Kunst?

Markus Lüpertz: Ja. Nur. Ausschließ­lich. Finde ich wunderbar.

Jüngst erklärten Sie, Sie seien noch nicht da, wo Sie hinwollen, und hätten noch nicht gemacht, was Sie letztlich wollten. Das klingt nach eher mittelbis langfristi­ger Lebensplan­ung … Lüpertz: … langfristi­ger, langfristi­ger, langfristi­ger Lebensplan­ung…

Wo wollen Sie denn langfristi­g hin, was wollen Sie letztlich?

Lüpertz: Sehen Sie mal: Die europäisch­e Kultur lebt vom Scheitern. Das ist ihr Ziel. Aber es kommt auf das Niveau an, auf dem man scheitert. Und das ist eine Sehnsucht, ein Ideal, das man nur selbst definieren kann. Ob man das erreichen wird, das weiß man nicht. Aber es gibt das ewige Streben danach. Und das wird sich in meiner Kunst zeigen. Wahrschein­lich wird man mit diesem ewigen Streben auch von dannen gehen. Wir leben von dem Glauben, das Beste zu machen und zu wollen. Man hat eine permanente Unruhe seinen Leistungen gegenüber.

Werfen wir einen Blick zunächst in Ihre nähere Zukunft: In der kommenden Spielzeit werden Sie erstmals eine Oper inszeniere­n – und auch ausstatten: Puccinis „La Bohème“am Theater Meiningen unter dem dann neuen Intendante­n Jens Neundorff. Wie kam es dazu?

Lüpertz: Ich habe 2018 für Jens Neundorff, der damals in Regensburg Intendant war, schon eine Oper ausgestatt­et: Martin y Solers „Una cosa rara“. Das ist erstaunlic­herweise sehr gut angekommen, sodass ich jetzt hoffentlic­h erstmals mit eigener Regie „La Bohème“triumphal zu einer Lösung führen kann. Wissen Sie, ich habe ja Probleme mit diesen Opern-Inszenieru­ngen voller Foto, Film, Realismus. Ich finde, eine Bühne muss künstlich sein, sie muss wackeln, sie muss klappern, da muss mal eine Kulisse umfallen. Und die Kostüme sollten nicht Zeitbezüge haben, sondern der Fantasie eines Künstlers entspringe­n.

Und wieso speziell „La Bohème“? Lüpertz: Jens Neundorff hat mir Angebote aus dem kommenden Spielplan gemacht – und als gebürtiger Böhme habe ich gesagt, ja selbstvers­tändlich mache ich „La Bohème“. Außerdem bin ich ein großer Puccini-Fan. Er hat die Oper geschriebe­n, die ich auch gerne geschriebe­n hätte.

Und was war für Sie als ein Bohémien noch im Angebot?

Lüpertz: Es gab auch Richard Wagner im Programm. Aber da gilt: Wenn Wagner, dann nur in Bayreuth.

Als regelmäßig­er Festspielb­esucher in Salzburg und Bayreuth wissen Sie ja, wie schwer es ist, gute Personenre­gie zu führen. Haben Sie da keinen Bammel? Lüpertz: Nein, weil ich ja ein Maler bin. Ich sehe das aus der Sicht des Malers. Die Oper war von Puccini genannt: Aufzug in vier Bildern. Und ich bin für diese vier Bilder zuständig. Sie werden auf vier Bilder gucken. Bei den Personen müssen Sie sich das so vorstellen: Das sind sich knapp bewegende Figuren, die immer in Idealposit­ion stehen, um zu singen. Das Publikum schaut auf Bilder, da ist nicht viel drauf los. Die Bewegung müssen Sie schon mit Ihrer Fantasie vollenden. Das ist ein Experiment, das ich habe. Ich weiß ja nicht, ob es klappt.

Blicken wir mal zurück, aber lassen wir das Wort „Stolz“. Über welche persönlich­e künstleris­che Leistung der letzten 50 Jahre empfinden Sie die größte Freude? Oder anders gefragt: Bei welchem Werk aus Ihrer Hand würde es Sie am meisten schmerzen, wenn es die Nachwelt vergessen würde? Lüpertz: Das kann ich nicht beurteilen, das werde ich auch nicht beantworte­n. Das einzige Erfreulich­e, was ich sagen kann, das einzige Erfreulich­e, das ich spontan anführe, ist der Respekt von und die Freundscha­ft mit meinen Kollegen in dieser Zeit. Es gibt ja nur einen wirklichen Ruhm, und das sind der Respekt und die Achtung der Kollegen. Dann haben Sie ungefähr die Gewissheit, dass Sie in irgendeine­r Weise weiterlebe­n.

Das war die Freude, kommen wir zum Ärger. Was in Ihrem künstleris­chen und/oder persönlich­en Lebenslauf würden Sie heute – im Rückblick – am liebsten ungeschehe­n machen? Lüpertz: Alle Kritiken über mich.

Sie haben eine Philosophi­n für Berlin geschaffen sowie eine Aphrodite für Augsburg, Sie haben um Paris drei Grazien geschaffen und dazu sechs Tugenden. Hätten auch Kassandra und die Rachegötti­n Nemesis für Sie antik-klassische Motive sein können? Lüpertz: Medea spukt mir gerade im Kopf herum. Wir werden sehen. Vielleicht entwickelt sich Medea auch zu den anderen beiden. Wissen

Sie, die Titel der Figuren, die ich mache, oder auch ein Thema, das ich bearbeite, ist ein Anlass. Irgendwann dann fängt die Skulptur selbst an zu sprechen. Und dann erzählt sie Ihnen was – und wie sie aussehen will. Und dann kann die Skulptur plötzlich ein ganz anderes Thema werden.

Das waren die Frauen. Kommen wir zu den Männern. Da gibt es Beethoven in Bonn und Leipzig, Mozart in Salzburg. Wäre für Sie als Musikliebh­aber auch Brahms in Hamburg etwas? Lüpertz: Jetzt ist erst einmal Robert Schumann für Düsseldorf im Gespräch, der Ort der Schumann-Gesellscha­ft. Ich versuche die Musik, das Weibliche, das Musische, das Poetische in irgendeine­r Form in eine Figur zu packen.

Was meinen Sie, worin sind Sie altersmild­e geworden, worin altersscha­rf? Lüpertz: Ich weiß nicht. Ich weiß nicht, was Alter ist.

Man kann ja sagen, dass Sie gerade mit Ihren Plastiken häufig angeeckt sind. Hat das Ihrer Meinung nach nur etwas mit sich selbstvers­tändlich wandelnden Schönheits­idealen zu tun oder mit mehr?

Lüpertz: Die Bildende Kunst hat ja eine Entwicklun­g durchgemac­ht. Aber wenn Sie keine Vergleiche anstellen können und wenn Sie das Wissen von Vergleiche­n nicht haben, wenn Sie also die Entwicklun­g nicht nachvollzi­ehen können, ist alles, was in der Malerei und in der Bildenden Kunst passiert, für Sie unverständ­lich. Und dann bleiben Sie an den Äußerlichk­eiten hängen. Wir haben ja im Moment eine gigantisch­e Verblödung, was die Bildende Kunst betrifft – und das geht bis hin zur Literatur. Letztens habe ich gelesen, dass man über Marcel Proust und seinen Roman „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“einen Comic macht. Man nimmt Ihnen also, wenn Sie das anschauen, noch die Vorstellun­g einer Fantasie. Das, was im Kopf passieren muss, wird auch noch geliefert. Wir sind als Künstler, da wir von Gott kommen und der liebe Gott uns ja gesagt hat, wir sollen die Welt gestalten oder erklären – wir sind als Künstler am Verdämmern. Die Bildung und Schulung ist nicht mehr da.

„Ich weiß nicht, was Alter ist“

Aus dieser Einschätzu­ng spricht jetzt schon ein wenig Altersschä­rfe. Aber zum Schluss zu den letzten Dingen: Sie sind zum Katholizis­mus konvertier­t, wie halten Sie es mit dem Glauben rund um Ihren 80. Geburtstag? Oder ist diese Frage zu intim? Lüpertz: Nein. Man kann natürlich glaubenslo­s leben, aber man kann auch mit Glauben leben. Beides ist einem persönlich überlassen. Also wenn ich bezüglich der Vorstellun­g meines Todes und der Ewigkeit, die daraus folgt, den Glauben an eine gewisse Zukunft habe, ist das doch angenehmer, als wenn man in ein Nirwana verfällt. Der Tod ist eigentlich keine Diskussion wert.

Der Künstler Markus Lüpertz wurde am 25. April 1941 in Reichenber­g geboren, dem heutigen Liberec in Tschechien. 1970 Stipendiat der Villa Romana Florenz. 1974 Professor für Malerei an der Staatliche­n Aka‰ demie der Bildenden Künste Karlsru‰ he. 1986 Professor, ’88 Rektor der Kunstakade­mie Düsseldorf. Lüpertz hatte rund um die Jahrtausen­dwen‰ de mit Zustimmung des Augsburger Stadtrats die Skulptur „Aphrodite“geschaffen – ein Geschenk der Verle‰ gerin Ellinor Holland für den Platz vor St. Ulrich. Nach Protest und Um‰ schwenken des Stadtrats steht die „Aphrodite“heute vor dem Verlags‰ haus der Augsburger Allgemeine­n Zeitung. Derzeit arbeitet Lüpertz an der Ausgestalt­ung von sieben U‰Bahn‰Stationen in Karlsruhe. (AZ)

 ?? Foto: Uli Deck, dpa ?? Markus Lüpertz, aufgenomme­n in seinem Haus in Karlsruhe
Foto: Uli Deck, dpa Markus Lüpertz, aufgenomme­n in seinem Haus in Karlsruhe

Newspapers in German

Newspapers from Germany