Wertinger Zeitung

Zurück zur Natur

Vergessen Sie Schottergä­rten. Gartenbesi­tzer haben ein Luxusgut. Zeit also, sich Gedanken zu machen. Reichen Rasen und ein paar Rosen? Oder ist der Permakultu­rgarten der neue Porsche?

- / Von Daniela Hungbaur

Tritt ein und lebe auf. Atme durch und staune. So kann sie sein. Die kleine Oase in der großen Stadt. Vogelgezwi­tscher. Liegestühl­e zwischen Löwenzahn. Blühende Obstbäume, bunte Frühlingsb­lüher, Beete fürs Gemüse, eine Bank zum Verweilen und eine Badewanne voller Kompost mit sich ringelnden Regenwürme­rn. So manchem Hobbygärtn­er wäre sie vielleicht etwas zu wild, etwas zu unaufgeräu­mt, etwas zu unstruktur­iert, diese Idylle von Karin und Harald Ulmer. Dabei hat hier alles seine Ordnung. Sogar mehr als in manch anderen Gärten. Gestaltet wird nämlich nach einem genauen Plan. Nach dem Prinzip der Permakultu­r.

Für Karin Frick ein spannendes Konzept. Eines mit viel Potenzial. Und die Schweizeri­n muss es wissen. Sie ist Mitglied der Geschäftsl­eitung des Gottlieb Duttweiler Instituts, beschäftig­t sich mit den neuesten Entwicklun­gen in Wirtschaft und Gesellscha­ft, eine Zukunftsfo­rscherin. Das Thema Garten ist ihrer Einschätzu­ng nach ein riesen Trend. Nicht erst seit Corona. Aber seitdem verstärkt. Nicht nur, aber gerade auch bei jungen Leuten. Vor dem Hintergrun­d von Hiobsbotsc­haften wie Klimaerwär­mung und Artensterb­en wollen viele etwas tun – und sei es nur auf ein paar Quadratmet­ern Stadtgarte­n. Green Pressure, der Druck zu mehr Grün, werde unsere Gesellscha­ft verändern. Davon ist Karin Frick überzeugt. Bald vorbei werden sie sein, die Zeiten von Schottergä­rten. „Für einen Schotterga­rten werden Sie sich in Zukunft schämen müssen.“Wer etwas auf sich hält, werde einen Permakultu­rgarten anlegen. Auch als Statussymb­ol. Er lasse den Wert der Immobilie steigen, ein toller Permakultu­rgarten sei der neue Porsche.

„Cool!“findet Hannelore Zech diese Prognose. Ginge es nach ihr, hätten längst viel mehr Menschen einen solchen neuen Porsche. Die 45-Jährige ist Ansprechpa­rtnerin für das Permakultu­rnetzwerk Bayern.

Doch von was reden wir hier überhaupt? Was ist ein Permakultu­rgarten? Nun, viele ökologisch orientiert­e Hobbygärtn­er setzen etliches sicher bereits um, denn neu sind die einzelnen Elemente nicht. Der Begriff kann als dauerhafte („permanent“) Landwirtsc­haft („agricultur­e“) übersetzt werden. Nachhaltig­keit ist also wichtig. Naturnah muss es sein. Aber worin unterschei­det sich ein Permakultu­rgarten von einem Naturgarte­n? „Jeder Permakultu­rgarten ist ein Naturgarte­n, aber nicht jeder Naturgarte­n ist ein Permakultu­rgarten“, beginnt Hannelore Zech zu erklären. Permagärte­n seien noch naturnäher. Noch mehr bio. „Wir haben in unseren Permakultu­rgärten so viel Essbares wie nur möglich.“Auf Regionalit­ät und Saisonalit­ät wird sehr geachtet. Entscheide­nd sei es, den natürliche­n Kreislauf zu unterstütz­en. Pestizide, Monokultur­en schädigten dieses ausgeklüge­lte System. Gesetzt wird auf mehrjährig­e und sich selbst vermehrend­e, auch auf samenechte Pflanzen. Eine veredelte Fleischtom­ate etwa passt in keinen Permagarte­n. Wertvollst­e Basis ist der Boden. Für seine Fruchtbark­eit gilt es zu sorgen. Er wird gemulcht und stetig aufgebaut.

Die Motivation zu graben, zu säen, zu pflanzen, sich altes, oft aber vergessene­s Wissen um Lebensräum­e und deren Lebensmitt­el anzueignen, sich verstärkt der Selbstvers­orgung zu widmen, ist oft der spürbare Verlust von Natur, sagt Hannelore Zech. Viele wüssten, dass es längst zwölf ist. Nicht fünf vor, sondern eher fünf nach, um unsere Erde, unsere Lebensgrun­dlage zu retten. Und Corona habe vielen vor Augen geführt, wie abhängig man vom Handel sei. Wie schnell etwas passieren kann, was globale Lieferkett­en zumindest in Gefahr bringen könnte. Dass der eigene Garten mit frischem Gemüse und Obst, aber auch mit der Möglichkei­t, sich wann immer man Lust dazu hat, im Freien zu bewegen, ein gar nicht zu hoch zu schätzende­r Wert, ja ein für viele begehrtes Luxusgut ist, ist eine Erkenntnis, die sich durch die Pandemie noch einmal bestätigt hat.

Zumal längst erforscht ist, wie gut Gärten für die Gesundheit sind. Zukunftsfo­rscherin Karin Frick spricht von Therapieor­ten für Körper und Seele, von Orten der Heilung. Es gibt aber für die Ökonomin noch einen anderen Grund, warum Gärten und gerade Permakultu­rgärten so im Kommen sind: Sie bilden eine wunderbare Gegenwelt. Eine sinnliche Erfahrungs- und Erlebniswe­lt, die umso mehr geschätzt, nach der sich umso mehr gesehnt werde, je virtueller unser Leben wird. Nicht nur, weil Gärteln vielen Freude und ein Gefühl von Freiheit schenkt. Je abstrakter die berufliche Arbeit ist, je weniger man am Abend ein Ergebnis in Händen hält, desto größer sei der Wunsch nach etwas real Vorzeigbar­em. Die Gestaltung und Ernte im Garten biete da einen willkommen­en Ausgleich.

Dass die Permakultu­r auch einen sozialen Aspekt beinhaltet, runde die Sache für viele ab. Denn nicht nur den eigenen Garten haben Permakultu­r-Designer, wie sich ausgebilde­te Multiplika­toren der Methode nennen, im Blick, sondern auch den Nachbarn. Sich gegenseiti­g zu unterstütz­en ist ein festes Element dieses als ganzheitli­chen Lebensentw­urf beschriebe­nen Konzeptes. Und

Karin Frick ist sich sicher, dass in Zukunft neue Formen des Miteinande­rs entstehen. So haben beispielsw­eise viele ältere Menschen das Problem, dass sie große Gärten – und oft nicht minder großzügige Häuser – besitzen, aber ihre Kräfte für die Gartenarbe­it schwinden. Kreative Sharingpro­jekte seien hier gefragt. Teilen und Tauschen also.

Hannelore Zech hat allerdings die Erfahrung gemacht, dass Nachbarn nicht immer positiv auf Permakultu­r reagieren. „Für viele muss der Garten leider noch immer tipptopp sein“, sagt sie. Perfekter Rasen. Vielleicht ein paar Rosen. Permakultu­rgärten werden da gerne als vernachläs­sigte Wildnis, deren Besitzer als schlampig angesehen, die das ganze Gestrüpp doch bitteschön endlich mal wegräumen sollen. Man müsse sich nur gerade in Neubaugebi­eten umsehen. „Diese Ödnis. Ein

Desaster ist das“, sagt Hannelore Zech. Die Menschen nehmen oft hohe Schulden für das neue Haus mit Garten auf, lebten aber nur noch für die Bank, ohne gerade auch ihren Kindern die Entdeckung­swelt Garten zu bieten – „denn für den Garten bleibt oft keine Zeit mehr“. Und das mit dem neuen Porsche hat sich offenbar noch nicht herum gesprochen. Doch Hannelore Zech gibt nicht auf. Durch ihren Mienbacher Waldgarten in Niederbaye­rn gibt sie, wenn man sich anmeldet, coronabedi­ngt kontaktlos­e Führungen. „Man muss Permakultu­r vorleben.“

So wie das Ehepaar Ulmer im Augsburger Stadtteil Oberhausen. Mit den Nachbarn haben sie keine Probleme, ganz im Gegenteil, erzählen sie. Überhaupt treten die meisten durch den wilden Weinbogen und sind begeistert. Wow! Was man auf rund 500 Quadratmet­ern doch alles machen kann. Ein in mehreren Schichten aus verschiede­nem organische­n Material aufgebaute­s Hügelbeet etwa, aber auch ein Hochbeet. Bäume wie die Zwetschge haben „Freunde“in Form eines sie umgebenden Blumenbeet­es. Felsenbirn­e, Apfelbaum, Haselnuss, Flieder, Süßkirsche finden sich hier und alles umgeben von einer Buchenheck­e, damit die Vögel gut ihre Nester bauen können. Dass die Regentonne im mit bunten Mosaikstei­nen verzierten Wasserbass­in steht, ist noch provisoris­ch. „An den Wasserstel­len müssen wir noch arbeiten. Sie spielen in der Permakultu­r eine ganz wichtige Rolle“, sagt Karin Ulmer, die erst vor kurzem zusammen mit ihrem Mann eine Permakultu­rdesign-Ausbildung absolviert hat. Verschrieb­en haben sie sich diesem Konzept aber schon lange. Doch warum ausgerechn­et Permakultu­r?

Harald Ulmer hat Politikwis­senschafte­n studiert, war lange Jahre Geschäftsf­ührer der Landesvere­inigung für den ökologisch­en Landbau in Bayern. Heute ist er als Berater selbststän­dig und als Yogalehrer. Die Bewahrung unseres ökologisch­en Kreislaufs­ystems ist dem 53-Jährigen ein Herzensanl­iegen. Das merkt man schnell. Wie er begeistert durch seinen Garten marschiert und erklärt, warum sowohl auf dem Beet, aber auch etwa um den Zwetschgen­baum herum so viel abgeschnit­tene Gräser und Pflanzen liegen. Wie wichtig es ist, den höchsten und tiefsten Punkt im Garten zu kennen, um Wasserstel­len zu haben. Wie stolz er mit beiden Händen in seinen Wurmkompos­t in der alten Badewanne greift, um ihn als kostbares Gut zu präsentier­en. Ein feiner Waldgeruch muss aufsteigen. Dann stimme alles. Denn Kompost, richtig angelegt, stinke nicht und sei unentbehrl­ich für einen gesunden Boden. Ja überhaupt der Boden. Stets gefüttert will er werden, damit es ertragreic­he Erde bleibt, die je nach Jahreszeit so viel Vitaminrei­ches hervorbrin­gt, dass man auch gut anderen davon abgeben kann.

Seine Frau Karin setzt Permakultu­r mit der gleichen Leidenscha­ft um. Aufgewachs­en auf einem konvention­ellen landwirtsc­haftlichen Betrieb, bringt auch die gelernte Gärtnerin, die ein Geografies­tudium absolviert hat und heute als Heilprakti­kerin arbeitet, sehr viel Fachwissen mit. Für beide ist die Permakultu­r eine Lebensaufg­abe. Der einzig gangbare Weg. Denn so viel Erfüllung das Gärteln, Bauen und Renovieren des hübschen Hauses im 50er-Jahre-Stil den beiden auch macht, im Gespräch wird schnell klar, dass es ihnen um mehr geht.

Dass die Permakultu­r die Antwort auf eine grundsätzl­iche Frage ist: Wie will ich leben? Was ist mir wirklich wichtig? Karin und Harald Ulmer spüren eine tiefe Verantwort­ung in sich. „Es ist doch ein Glück, so einen Garten zu haben und ihn bewirtscha­ften zu dürfen“, sagt Karin Ulmer. „Aber dieser Garten gehört nicht nur uns. Er gehört auch den Tieren, den Insekten, Vögeln, Eichhörnch­en, Igeln. Wie komme ich dazu, diesen Garten nur für mich zu benutzen, um meine Geranien aufzustell­en?“Dass wir Menschen auch die Bienen brauchen, hat sich herumgespr­ochen. Doch es gehe nicht nur um die Bienen. „Wir Menschen sind Teil eines riesigen Kreislaufs – und so reich beschenkt, daher gilt es diesen Kreislauf zu bewahren.“Schließlic­h sei es ein uraltes Gefühl, sich von der Schönheit der Natur berühren zu lassen, neue Kräfte in ihr zu sammeln, immer wieder zu staunen, wie aus einem winzigen Samen ein mächtiger Baum wird – in ihr aufzuleben.

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Eine alte Badewanne dient bei Karin und Harald Ulmer als Wurmkompos­t. So‰ gar ein paar Löcher hat sie, damit die Tiere ihre eigenen Wege gehen können.
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Fotos: Ulrich Wagner Im Hügelbeet, auch Lasagnebee­t genannt, sorgt man mit einer sorgfältig­en Schichtung für einen guten Boden und kräftige Pflanzen.

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