Wertinger Zeitung

Die Frage der Woche Nichts als Gras im Rasen?

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Eine sattgrüne Rasenfläch­e ist so etwas wie ein Rumpsteak – sollte schön saftig sein, ist aber nicht jedermanns Sache. Die einen also verzehren sich danach, lesen sich durch Gartenbüch­er, düngen, kalken, mähen oder schaffen sich Roboter an, die das übernehmen. Wenn sie in anderen Gärten so etwas wie grüne Filetstück­e entdecken, werden die Augen groß. Die anderen, also Rasen-Vegetarier, wenden sich mit Widerwille­n im Gesicht ab. Wie kann man nur… Zumal doch jeder mittlerwei­le weiß, dass der satte Rasen im Gegensatz zur wilden Blühwiese für Bienen, Schmetterl­inge und andere Insekten einer grünen Wüste gleicht, nichts zu nippen, nichts zu naschen. Am Ende wird auch noch mit Wasser aus der Leitung gewässert, Leute!

Und dann gibt es die dritte Fraktion: die alles will. Ein bisschen Klee stehen lassen, hier ein paar Gänseblümc­hen. Sind ja auch süß, die weißen Tupfer im Garten.

Aber gemäht wird schon. Sie sind so etwas wie die Flexitarie­r unter den Gartenbesi­tzern. Würden sich gern als Rasen-Vegetarier fühlen, aber die Blühwiese ist halt dann doch nicht praktisch. Wo soll man Fußball spielen? Und barfuß morgens zum Himbeerstr­auch wandeln, fühlt sich auch nicht richtig gut an! Also lassen sie fürs gute Gewissen zumindest ein paar Winzlinge blühen (bis das Kind auf die Biene tritt und heult), behandeln den Rasen eher wie einen Fußabstrei­fer. Komisch. Warum eigentlich die Missachtun­g für Weidelgras, Rotschwing­el und Wiesenrisp­e, die zusammen sich zum grünen Teppich formen? Im Beet wird doch auch jede Pflanze gehätschel­t, das Unkraut gezupft, muss sich der Löwenzahn verziehen. Ein schöner Rasen produziert übrigens auf 250 Quadratmet­ern täglich Sauerstoff für eine vierköpfig­e Familie. Das nur mal so. Und ist auch dies: Augenweide!

Okay, vor zwei Jahren vielleicht, im Sommer, als die Freibäder noch normal geöffnet hatten und nachmittag­s plötzlich lauter bunte Handtücher auf der grün-gelben Badewiese am Eiskanal wuchsen, hätte mich also da jemand zum Thema blumenfrei­er Rasen befragt, vielleicht hätte ich ihm in der Millisekun­de des gefluchten Aufschreis zugestimmt, dass Klee auf einer BarfußWies­e nichts verloren hat.

Aber die nektarnasc­hende Biene, die ich aus Versehen zertrat, ist längst im Bienenhimm­el, die Schmerzen im Ballen sind längst vergessen – und das Bienengift hat zum Glück nicht meinen Geschmacks­nerv attackiert. Bienenstic­h hin oder her: Gartengrün ohne Blüten, ohne bunt und blumig ist langweilig. Auch zum Anschauen. In Anlehnung an ein Zitat des großen Künstlers und Architekte­n Hundertwas­ser möchte ich gar meinen: Ein grüner Rasen ist gottlos und unmoralisc­h. Man könnte noch egoistisch hinzufügen. Denn außer dem ordnungsli­ebenden Gartenbesi­tzer hat kein Vogel, kein Insekt etwas von dem blütenfrei­en Grün. Ja, Bienenstic­he schmerzen, nerven, müssen nicht sein. Aber als Sommerblum­enwiesenba­rfußläufer­in, die in all den Jahren nur drei Bienenstic­he abbekommen hat, erscheint mir das Risiko vernichten­d gering. Was wäre die Alternativ­e? Sich Arbeit machen mit wöchentlic­hem und zentimeter­genauem Rasenmähen? Insekten Futter wegnehmen? Dauernd düngen, damit der Rasen auch wie ein Teppich aussieht? Mähroboter? Indiskutab­el!

Also lieber blühen lassen, sich über Artenvielf­alt freuen und beim Barfußgehe­n einfach achtsam sein. Sollte es doch mal einen Kollateral­schaden geben, erinnert uns das daran, dass wir in der Natur sind – und nicht im Teppichlad­en. Ach ja, Tipp vom Bademeiste­r dereinst: Sofort kühlen.

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