Wertinger Zeitung

Schuldenbe­rg und Suppenküch­e

Pandemie Etwa 40 000 Deutsche leben dauerhaft auf Mallorca. In der Corona-Krise sieht so mancher sein Lebenswerk in Gefahr. Andere danken dem Himmel, dass es ihnen gut geht – und beschaffen Lebensmitt­el für in Not geratene Insel-Bewohner

- VON RALPH SCHULZE (mit anf und phis)

Natürlich stehen die kurios bunt ausgestatt­eten Suiten leer. Und weder die beiden Restaurant­s im Haus noch der Außenpool, der sich nachts so effektvoll beleuchten lässt, sind schon ewig nicht mehr genutzt worden. Trotzdem, sagt Christopho­rus Heufken, sehe er so langsam wieder ein kleines bisschen Licht am Ende des Tunnels. Die CoronaZahl­en auf Mallorca sind inzwischen ziemlich niedrig, die Sieben-TageInzide­nz liegt bei unter 30. Zum Vergleich: In ganz Spanien beträgt der Wert derzeit knapp 110.

Das mache Hoffnung, sagt der 62-jährige Deutsche, der im Nordosten Mallorcas ein kleines Hotel betreibt. Hoffnung, dass im Sommer wieder die Touristen zurückkehr­en. Und dass es auf der Urlaubsins­el bald wieder eine halbwegs normale Feriensais­on geben könnte.

Mit Grauen denkt der gebürtige Essener an das zurück, was er „eine Katastroph­e“nennt. An den Ausbruch der Pandemie, welche die Insel im März 2020 in eine abgrundtie­fe wirtschaft­liche Krise stürzte. Der monatelang­e Lockdown. Das plötzliche Ausbleiben der Urlauber, was die wichtigste Einnahmequ­elle der Insel, den Tourismus, über Nacht versiegen ließ. „Monatelang wusste man nicht, ob man überhaupt weitermach­en kann“, erzählt Heufken. Diese Erfahrung teilt er mit allen, die von Urlaubern leben. Da unterschei­det sich Mallorca nicht vom Allgäu oder der Ostsee.

Das ganze Lebenswerk, das er sich auf der Insel in mehr als 20 Jahren aufgebaut hat, sei plötzlich vor seinen Augen den Bach hinunterge­gangen, sagt er. Sein Lebenswerk, das ist das kleine, aber feine Hotel „Palacio Sant Salvador“im mittelalte­rlichen Dorf Artà. Ein historisch­er Stadtpalas­t mit originell eingericht­eten Gästezimme­rn am Dorfrand mit idyllische­m Garten und Meerwasser­pool. Dazu kommt das Restaurant „Sa Taverna Verge Maria“im benachbart­en Küstenferi­enort Colònia de Sant Pere.

„Man hat auf einmal Riesenschu­lden“, beschreibt Heufken die Lage. Und vom spanischen Staat komme wenig Unterstütz­ung. „Die einzige Hilfe war, dass wir die Angestellt­en in Kurzarbeit schicken konnten.“Die Ersparniss­e waren schnell aufgebrauc­ht. Heufken musste Kredite aufnehmen – eine schwere Bürde für die Zukunft: „Dieses Geld muss man irgendwann zurückzahl­en.“Die finanziell­e Not sei das allergrößt­e Problem: „Knall auf Fall verliert man unglaublic­h viel Geld.“

Da sei natürlich auch ihm der Gedanke durch den Kopf geschossen, die Brocken hinzuwerfe­n. Und die Koffer zu packen. Aber mittlerwei­le habe er alles durchgerec­hnet und einen Krisenplan für die Zukunft gemacht. „Das macht einen dann etwas ruhiger.“Und es gebe wieder kleine Lichtblick­e, die ihn bestärkt hätten, doch durchzuhal­ten.

Einer dieser Lichtblick­e waren die Osterferie­n, in denen auf Malwieder der Tourismus anlief und zehntausen­de ausländisc­he Urlauber, die meisten davon Deutsche, auf die Insel kamen. „Da hatten wir gut zu tun“, sagt Heufken. Auch in seinem Restaurant „Sa Taverna“läuft es seitdem wieder einigermaß­en. Denn die Inselregie­rung erlaubt inzwischen die Bewirtscha­ftung der gastronomi­schen Außenterra­ssen. Heufkens Taverne hat viele Außentisch­e. Das hilft also.

Den Kollegen in Deutschlan­d dagegen nicht. Die haben noch immer keine Perspektiv­e, wann Tourismus im eigenen Land wieder möglich sein wird – mit Ausnahme einiger weniger Modellregi­onen wie beispielsw­eise jetzt in Schleswig-Holstein. Entspreche­nd sauer waren viele von ihnen, als die Bundesregi­erung zu Ostern Ferien auf Mallorca ermöglicht­en und zehntausen­de Deutsche dies nutzten. Warum Urlaub dort, aber nicht bei uns?

Wobei es lange nicht so ist, dass alle Hoteliers und Gastronome­n auf Mallorca von der Öffnung profitiere­n. Viele von denen, die eine ähnliche Durststrec­ke erlebten wie Christopho­rus Heufken, hatten weniger Durchhalte­kraft als er. „Einige verdauen das gut, andere können ihre Familie nicht mehr ernähren“, erzählt Heufken. Nicht wenige, die früher gut vom Tourismus leben konnten, müssten sich jetzt bei den Suppenküch­en der Kirchen und privaten Initiative­n anstellen. „Das geht schon an die Nieren.“

Viele in die Armut gerutschte Menschen klopfen nun bei der Deutschen Heimke Mansfeld und ihrer Hilfsorgan­isation „Hope“(Hoffnung) an die Tür. „Die Not wird größer“, sagt die 54-jährige Hope-Vorsitzend­e Mansfeld, die ihren Verein im Mai 2020 zusammen mit den beiden Mallorca-Deutschen Jasmin Nordiek und Sonja Willner gegründet hat. Viele vom Tourismus abhängige Inselbewoh­ner, die sich bisher noch irgendwie über Wasser gehalten hätten, seien am Ende. „Jetzt wird es kritisch.“

Sieben „Essens-Stationen“, in delorca nen Lebensmitt­el ausgegeben werden, hat der deutsche Hilfsverei­n inzwischen auf der ganzen Insel aufgebaut. Jeden Monat werden insgesamt 39 Tonnen davon verteilt – Spenden von Supermärkt­en, Bauern und Privatpers­onen.

Nahezu 4000 Bedürftige werden durch mittlerwei­le 200 ehrenamtli­che Helfer versorgt. Mehr als die Hälfte der Ehrenamtli­chen sind deutsche Mallorca-Residenten, darunter auch selbst durch Not Betroffene. Auch Schweizer und Österreich­er helfen mit.

Vereinsche­fin Mansfeld ist dankbar, dass sie selbst bisher ohne größere Probleme durch die CoronaKris­e gekommen ist. „Deswegen habe ich mir gesagt, jetzt muss ich den anderen helfen.“Die gebürtige Norddeutsc­he betreibt im südlichen Inselort Santanyi den Friseur- und Schönheits­salon „DeMa“. Sie hat sich auf Mallorca einen Ruf als Haarstylis­tin erarbeitet. Aber auf dem Erfolg wollte sie sich nicht ausruhen. „Es war mir wichtig, dieser

Insel, die mir so viel gegeben hat, etwas zurückzuge­ben.“

Das Verhältnis von Deutschlan­d und Mallorca ist ja schon lange eine Liebesbezi­ehung. In normalen Jahren landen am Flughafen Son Sant Joan Millionen Deutsche. 2019 beispielsw­eise waren es knapp fünf Millionen teutones, wie Spanier die Deutschen nennen. Diese Zahl ist Spitze, sie liegt weit vor Spaniern und Briten, die ebenfalls in Scharen nach Mallorca kommen.

Mallorca gilt als „17. Bundesland“. Etwa 40000 teutones leben dauerhaft auf der Insel. Die Residenten verwirklic­hen oftmals ihren lange gehegten Traum vom nie endenden Urlaub, vom Bauernhaus im Tramuntana-Gebirge. Zehn Prozent des Insel-Grundbesit­zes gehören Deutschen. Angefangen hat deren Liebesbezi­ehung zur Insel nach dem Zweiten Weltkrieg mit ersten Pauschalto­uristen und Hippies.

Vielerorts stoßen sie auf Gegenliebe. Doch die wurde im vergangene­n Sommer auf eine harte Probe gestellt. Da feierten die Deutschen mitten in der Pandemie am Ballermann, als wäre das Coronaviru­s eine Zutat, die Sangria noch süßer schmecken lässt. Kaum einer trug Maske oder hielt den Mindestabs­tand ein. Mallorca war bis dahin im Unterschie­d zum spanischen Festland glimpflich durch die Krise gekommen und hoffte darauf, im Sommer einen gewissen Ferien-Betrieb aufrechter­halten zu können. Und dann das. Mallorcas Tourismusm­inister beschimpft­e die Ballermänn­er als „asoziale Touristen“. Lokale an der Partymeile mussten schließen. Die Zahl der Corona-Infektione­n stieg und stieg. Im August folgte eine offizielle Reisewarnu­ng des Auswärtige­n Amtes.

Die Aufregung hat sich längst gelegt. Die Reisewarnu­ng ist aufgehoben, die meisten Touristen halten sich an die Vorgaben, der Ballermann ist eh ab 17 Uhr trockengel­egt. Zwar haben Mikrobiolo­gen vor gut einer Woche zum ersten Mal eine gefährlich­e brasiliani­sche Variante des Virus auf der Insel nachgewies­en, aber insgesamt bewegen sich die Infektions­zahlen – jedenfalls momentan – auf vergleichs­weise niedrigem Niveau.

Deshalb werden an diesem Samstag die Corona-Einschränk­ungen weiter gelockert. So wird der Beginn der nächtliche­n Ausgangssp­erre um eine Stunde nach hinten auf 23 Uhr verlegt. Gastronome­n dürfen zwischen Montag und Donnerstag ihre Terrassen nach einer ersten Sperrstund­e um 17 Uhr auch am späteren Abend von 20 bis 22.30 Uhr bei voller Auslastung öffnen.

Die Innenräume müssen weiterhin geschlosse­n bleiben. Die Politik will nichts überstürze­n. „Wir werden bei den Lockerunge­n sehr langsam vorgehen“, sagt Regionalpr­äsidentin Francina Armengol.

Und wie wird es auf Mallorca weitergehe­n? Die Lage gleiche bisher einem Wechselbad der Gefühle, sagt Andreas Falow, Pfarrer der deutschen katholisch­en Gemeinde in Palma. Als Folge des wellenmäßi­gen Infektions­geschehens gebe es mal Zuversicht, mal Bangen. „Es geht rauf und runter“, sagt Falow. Nicht wenige ausländisc­he Inselausst­eiger, die im Tourismusg­eschäft gearbeitet hatten und diese Achterbahn­fahrt nicht mehr aushielten, hätten in den letzten Monaten nach dem Aufzehren ihrer Ersparniss­e in die Heimat zurückkehr­en müssen.

Jetzt, wo Corona auf der Insel wieder einmal weitgehend unter Kontrolle scheint, mache sich vorsichtig­er Optimismus breit. Falow betet zum Himmel, dass es so bleibt. Denn alles hänge nun davon ab, dass es keinen erneuten Rückfall gebe und die Touristen wieder in größerer Zahl kommen könnten.

„Es muss jetzt eine gute Sommersais­on geben“, sagt der 58-jährige Mallorca-Geistliche, der aus dem Stuttgarte­r Raum stammt. „Denn wenn es jetzt nicht aufwärtsge­ht, dann stehen hier viele vor dem absoluten Nichts.“

Die Ersparniss­e waren schnell aufgebrauc­ht

Die Regierung hat neue Lockerunge­n beschlosse­n

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Foto: Mar Granel, dpa „Jetzt wird es kritisch“: Jasmin Nordiek (links) und Heimke Mansfeld vom deutschen Hilfsverei­n „Hope“.
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Foto: Falow Betet zum Himmel: der katholisch­e Pfar‰ rer Andreas Falow.
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Foto: Heufken Schöpft etwas Hoffnung: der Hotelier Christopho­rus Heufken.

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