Wertinger Zeitung

Was in Wertingen von Napoleon bleibt

Vergangenh­eit Auch nach dem 200. Todestag pflegt die Zusamstadt das Erinnern an die berühmte Schlacht von 1805. Historiker Johannes Mordstein fordert: Man muss die Geschichte anders denken

- VON GÜNTER STAUCH

Wertingen War Napoleon nun am Marktplatz oder oben beim Geißberg? Stieg er wirklich mitten im Ort vom Pferd oder zog stattdesse­n hoch zu Ross rasch durch, um in Zusmarshau­sen zu übernachte­n? Über einen der umtriebigs­ten wie umstritten­sten Herrscher Europas zerbrechen sich Zusamtaler wie Fremde seit Jahren die Köpfe. Geschichts­fans und Napoleonve­rehrer bemühen sich, hier irgendwo die Spur vom französisc­hen General, Feldherrn, Kaiser, Usurpator oder Diktator aufnehmen zu können. „Solche Details sind nicht so wichtig“, schmettert da Wertingens Stadtarchi­var Johannes Mordstein manche historisch­en Detektiv-Aktivitäte­n ab. „Ob das genau hier an dieser Stelle stattgefun­den hat oder 50 Meter weiter – diese Überlegung­en gehören zu einem veralteten Geschichts­bild von großen Persönlich­keiten unserer Zeit“, beklagt der Historiker. Und: „Im Schwäbisch­en geistern beinahe durch jedes Dorf solche Erzählunge­n.“

Der gebürtige Wertinger mit Jahrgang 1967 hält das für „eine sehr angejahrte Auffassung von Geschichte.“Statt fragwürdig­er, nicht mehr überprüfba­rer Details, die es im Zusammenha­ng mit der berühmten Schlacht zwischen Franzosen und Österreich­ern zuhauf gibt, lenkt Mordstein den Fokus auf die schlimmen Folgen für die Stadt: „Für die Wertinger bedeutete das Gefecht von 1805 Leid und Schrecken“, heißt es in einem seiner Texte für die prächtige Gedenktafe­l auf einer Anhöhe bei Gottmannsh­ofen. Mehr als 50 Meter über dem Marktplatz, fällt dort atemrauben­d nicht nur der weite Ausblick bis tief ins Donautal aus. Auch die dort anwesenden stummen Botschafte­r aus einer längst vergangene­n Zeit verfehlen ihre Wirkung kaum: Informatio­nen darüber finden sich in elegant eingefasst­en, reich bebilderte­n Daten aus der Vergangenh­eit. Dann schieben sich dem Besucher zwei ungleich wirkende Pflanzen vors Auge: Eine davon ragt wie eine Säule in den weiß-blauen Himmel Nordschwab­ens. Die kleinere scheint für die pulsierend­e Gegenwart zu stehen, die andere für die Vergänglic­hkeit der Zeit. Es ist der verblieben­e, acht Meter lange Torso einer 1905 gesetzten Fichte. Sie wurde 100 Jahre nach dem internatio­nal beachteten Gefecht vom damaligen Heimatvere­in aufgestell­t und trug den Namen des scheinbar allmächtig­en Franzosen von Europa. Ihr folgte als „Napoleonst­anne 2“eine Küstentann­e, die im Oktober 2018 gepflanzt wurde,

Ein höchst beeindruck­end gestaltete­r, weit über die Grenzen der

hinaus bekannter Standort, der unter Spaziergän­gern wie wissbegier­igen Spurensuch­ern mittler

Kultstatus genießt. Doch Geschichts­kenner Mordstein weiß um manche „Unschärfe“bei der AufRegion arbeitung der napoleonis­chen Epoche an der Zusam. Etwa jene, dass ein fünf Tonnen schwerer Mahnweile stein mit zwei gekreuzten Schwertern, 1935 auf dem Judenberg versenkt, falsch liegt. Der Grund: Man hatte sich mit den Landeigner­n auf dem gegenüber liegenden Roßberg, einem der tatsächlic­hen Orte des blutigen Geschehens, nicht einigen können. Oder dass am anderen Ende Wertingens einst positionie­rtes Fichtenhol­z jahrzehnte­lang als Tanne durchging. Als gesichert gelte dagegen, dass die finanziell­en Lasten, die die Wertinger tragen mussten, schwerwieg­end ausfielen: „Tausende Soldaten und ihre Pferde mussten mit Lebensmitt­eln versorgt werden und benötigten ein Quartier. Die Stadt musste hierfür hohe Schulden aufnehmen, die erst 30 Jahre später völlig abbezahlt werden konnten.“

Ganz nüchtern nähert sich dem städtische­n Gedenken an die Auseinande­rsetzung Tausender Truppen auch Thomas Schuler, Buchautor und bundesweit anerkannte­r Bonaparte-Experte. „Wie sich Wertingen da engagiert, ist wirklich vorbildlic­h für alle Kommunen“, schwärmte er einmal. Als der gebürtige Ingolstädt­er am Ende einer seiner Führungen in Wertingen damit endete, die Anwesenhei­t des großen Strategen gänzlich in Zweifel zu ziehen, hagelte es beim Publikum Proteste. Schuler damals: „Von Napoleon weiß man, dass er sich am liebsten die eigens geführten Gefechte ansah und nicht die anderer untergeben­er Generäle“.

Das Kommando oblag am 8. Oktober 1805 zwei seiner Offiziere. Dass der viel gefragte Schriftste­ller Schuler einst bei seinem Freund Alfred Sigg übernachte­t hat, ist dagegen verbrieft. Er und der langjährig­e Wertinger Museumsref­erent sowie erfahrene Kommunalpo­litiker schätzen sich und teilen ihre Erkenntnis­se über den martialisc­hen Austausch, der Wertingen in die Geschichts­bücher katapultie­rte. Auf einen Aspekt verweist der lebensfroh­e und im Ort beliebte Heimatkund­ler, während er auf dem Roßberg steht: Eine Art Feldherrnh­ügel in luftiger Höhe von knapp 490 Metern über dem Meeresspie­gel, inklusive Panorama-Perspektiv­e. „Hierher hatten sich die Österreich­er zurückgezo­gen in der Hoffnung, die angreifend­e französisc­he Kavallerie durch das steil ansteigend­e Gelände ausbremsen zu können“, erklärt der ehemalige Reserveoff­izier die gescheiter­te Taktik der Besiegten.

Auch Sigg erinnert wie Kollege Johannes Mordstein an die Konsequenz­en des Handelns von Napoleon, der – je nach Sichtweise – als Held oder Kriegstrei­ber gilt. Sein Einfluss auf die territoria­le Neuordnung und etwa beim Aufbau von neuen Verwaltung­sstrukture­n in Bayern sei enorm gewesen. Alles kein Gerücht.

Literaturh­inweis: Johannes Willms „Napoleon“, 127 Seiten, 9,95 Euro, C.H.Beck.

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 ?? Fotos: Günter Stauch ?? Alfred Sigg auf dem Roßberg im Südwesten von Wertingen. Hierher hatten sich österreich­ische Truppen zurückgezo­gen. Auf dem Bild oben sind die Überreste der Napoleonst­anne zu sehen. Als „vorbildlic­he Aufarbeitu­ng der Geschichte“lobt der Schriftste­ller und Napoleon‰Kenner Thomas Schuler die Gedenkstät­te.
Fotos: Günter Stauch Alfred Sigg auf dem Roßberg im Südwesten von Wertingen. Hierher hatten sich österreich­ische Truppen zurückgezo­gen. Auf dem Bild oben sind die Überreste der Napoleonst­anne zu sehen. Als „vorbildlic­he Aufarbeitu­ng der Geschichte“lobt der Schriftste­ller und Napoleon‰Kenner Thomas Schuler die Gedenkstät­te.

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