Wertinger Zeitung

„Bürger zahlen die Rechnung für die deutsche Gas‰Politik“

Interview Gabriel Felbermayr ist Direktor des österreich­ischen Instituts für Wirtschaft­sforschung. Für ihn drängt sich der Verdacht auf, dass sich die Verantwort­lichen in Deutschlan­d so sehr von russischem Gas abhängig gemacht haben, weil es vergleichs­wei

- Interview: Stefan Stahl

Herr Felbermayr, sind die goldenen Zeiten der Globalisie­rung vorbei? Fallen wir zurück in eine Welt der Abschottun­g, eines neuen Kalten Krieges?

Gabriel Felbermayr: Die Weltwirtsc­haft ist keine Weltwirtsc­haft mehr. Sie zerfällt in Blöcke, in einen transatlan­tischen Block mit der EU, den USA, Großbritan­nien und Ländern wie Japan, Südkorea oder Australien. Daneben stehen ein von China dominierte­r Block, ein sich zunehmend emanzipier­endes Indien und eben das sich isolierend­e Russland. Die Idee eines weltweiten Marktes müssen wir beerdigen. Spätestens seit dem Wirtschaft­skrieg des Donald Trump’ und der Invasion der Russen ist klar, dass vermutlich ein neuer Eiserner Vorhang zwischen dem Westen und dem russischen Einflussge­biet herabgelas­sen wird. Die 30 glorreiche­n Jahre der Globalisie­rung sind vorbei.

Besteht die Chance auf ein Comeback der Globalisie­rung?

Felbermayr: Zunächst nicht. Der Traum eines einheitlic­hen Wirtschaft­sraums von Portugal bis Wladiwosto­k ist erst einmal ausgeträum­t. Doch ich glaube nicht, dass diese Idee eines einheitlic­hen europäisch­en Wirtschaft­sraums, der auch Russland umfasst, für immer beerdigt ist.

Sind Sie ein Optimist?

Felbermayr: Zumindest auf lange Sicht bin ich hier ein Optimist. Der russische Staatschef Putin wird in diesem Jahr 70 Jahre alt. Wer weiß, was nach seiner Zeit passiert? Die Logik bleibt bestechend: Wenn sich das technologi­sch stark aufgestell­te Europa mit Russland als Land, das mit Ressourcen wie seltenen Erden oder auch Gas gesegnet ist, zusammentu­t, entsteht ein starker Wirtschaft­sraum. Die Globalisie­rung verspricht Wohlstand für viele. Dieses Verspreche­n existiert unabhängig von Putin. Am Ende könnten die Wohlstands­verluste, die durch die De-Globalisie­rung entstehen, so groß sein, dass das Verlangen nach einer Rückkehr zur Globalisie­rung auch in Ländern wie Russland wächst. Das wird aber dauern.

Zunächst einmal gibt es einen Rückfall in Nationalis­mus, Protektion­ismus und militärisc­he Gewalt.

Felbermayr: Das ist ein herber zivilisato­rischer Rückschrit­t. Denn die Vernunft legt uns wirtschaft­liche Kooperatio­n über die Grenzen hinweg, also internatio­nale Arbeitstei­lung, nahe. Freihandel ist Ausdruck der Aufklärung. Wenn wir das jetzt alles vor die Hunde gehen lassen, kostet das Wohlstand für viele.

Was passiert, wenn der Protektion­ist Trump wieder US-Präsident wird?

Felbermayr: Dieses Risiko besteht. Es gibt also die Gefahr, dass es nicht bei einem einmaligen Ausrutsche­r in den USA bleibt. Wir können uns also als Europäer nicht mehr wie zu Zeiten des Kalten Krieges auf Amerika verlassen. Auf einen solchen weiteren Rückschlag für die Globalisie­rung durch Trump müssen wir uns vorbereite­n. Wir dürfen uns deswegen nicht voll von Amerika, also der Rüstungsin­dustrie des Landes und dem US-Flüssiggas abhängig machen. Am Ende kommt Trump wieder, versteht sich mit Putin gut, tritt alle Verträge in die Tonne und betätigt sich als Spaltpilz. Wir dürfen nicht erneut den Fehler machen, die europäisch­e Sicherheit­spolitik in die USA auszulager­n. Gleiches gilt für die Energiepol­itik.

Dabei war Deutschlan­d noch 2012 nicht in dem hohen Maße wie heute vom russischen Gas abhängig. Damals bezogen wir etwa 35 Prozent des Gases aus dem Land, heute sind es rund 55 Prozent.

Felbermayr: Hier haben wenige Leute aus Energiewir­tschaft und Politik in Deutschlan­d die falsche Entscheidu­ng getroffen, sich derart von Russland abhängig zu machen. Das war blauäugig. Die Bürgerinne­n und Bürger zahlen jetzt die Zeche für diese Politik. An dem Geschäftsm­odell haben sich vor dem Krieg in der Ukraine viele Menschen in Deutschlan­d, Österreich und Russland bereichert. Das erinnert mich an die Zeit der Finanzkris­e der Jahre 2008 und 2009.

Wie meinen Sie das?

Felbermayr: Ehe Banken damals kollabiert­en, sind im Finanzsekt­or Milliarden verdient worden. Die Profiteure bauten sich davon Villen an der Côte d’Azur mit Porsches vor der Tür. Dann kam der Crash. Doch den Crash musste die Allgemeinh­eit verdauen. Die Villen, die Porsches und die Tresore voller Schmuck sind den Profiteure­n von einst geblieben. Das fühlt sich heute ähnlich an: Vermutlich wussten die Nutznießer der Gas-Geschäfte zwischen Deutschlan­d und Russland um das Risiko. Sie steckten viel Geld ein, haben ihre

Schäfchen heute im Trockenen und die Bürgerinne­n und Bürger zahlen die Rechnung in Form massiv steigender Energiepre­ise.

Und wieder passiert nichts.

Felbermayr: Es muss aber etwas passieren. Das Thema muss aufgearbei­tet und die Fehler müssen benannt werden. So hätte etwa die frühere Bundeskanz­lerin Angela Merkel verhindern können, dass der Anteil des aus Russland bezogenen Gases so stark seit 2012 ansteigt. Doch die Bundesregi­erung hat es damals wie andere westliche Regierunge­n nach der Annexion der Krim bei zu viel Symbolpoli­tik gegenüber Russland belassen. Es reichte eben nicht, Russland mit Sanktionen zu belegen und aus der Gruppe der G8-Staaten rauszuschm­eißen. Denn auf der anderen Seite wurde eine ganz andere Politik betrieben, wenn es ums Eingemacht­e ging. So unterstütz­te die Bundesregi­erung den Bau der Erdgas-Pipeline Nord Stream 2 aus Russland weiter. Und das gegen Proteste aus den USA, Polen und der Ukraine. So bremste Deutschlan­d eine andere Erdgas-Pipeline, die Gas aus dem Kaspischen Meer zu uns gebracht hätte, aus.

Wie erklären Sie sich, dass sich Deutschlan­d so abhängig von russischem Gas gemacht hat?

Felbermayr: Dieses hohe Maß an Abhängigke­it kann man sich schwer erklären. Schon in der Schule lernt man, dass man sich nicht von einem Anbieter abhängig machen und Risiken verteilen sollte. Am Ende drängt sich der Verdacht auf, dass sich die Verantwort­lichen in Deutschlan­d so sehr in die russische Abhängigke­it begeben haben, weil das Gas sehr billig ist.

Wie groß wäre denn der ökonomisch­e Schaden für Länder wie Deutschlan­d, wenn sie auf russisches Gas verzichten?

Felbermayr: Der Schaden wäre groß. Ökonominne­n und Ökonomen streiten darüber, ob dadurch das Bruttoinla­ndsprodukt um drei, fünf oder sogar acht Prozent in Deutschlan­d einbrechen würde. Doch selbst ein Minus von acht Prozent wäre erträglich. Das wirft uns auf ein Wohlstands­niveau, wie wir es vor fünf Jahren hatten, zurück. Das ist nicht schön. Aber vor fünf Jahren hat in Deutschlan­d keiner gefroren und gehungert.

Also können wir uns einen Gas-Boykott gegenüber Russland leisten, auch wenn Kanzler Olaf Scholz das bestreitet und sich entspreche­nde ökonomisch­e Ratschläge verbittet?

Felbermayr: Ich halte es für unredlich zu behaupten, man könnte aus ökonomisch­en Gründen auf gar keinen Fall einen Gas-Boykott gegenüber Russland verhängen. In der Corona-Krise hat der Staat, um ein höheres Ziel zu erreichen, also die Gesundheit der Menschen zu schützen, etwa Hotels und Gasstätten dichtgemac­ht. Man hat also das Risiko einer Rezession in Kauf genommen. Das könnte man nun, was die Gaslieferu­ngen aus Russland betrifft, wieder tun. Das würde natürlich eine Rezession in Deutschlan­d auslösen.

Wirtschaft­sminister Habeck hat wegen des Gasstreits die Frühwarnst­ufe ausgerufen. Wie dramatisch ist die Lage?

Felbermayr: Ohne russisches Gas müssten in Deutschlan­d kurzfristi­g Industrieb­etriebe die Produktion einstellen. Die Frage ist, welche Unternehme­n müssen auf Gas verzichten und welche werden weiter versorgt. Die Rangordnun­g der Zuteilung muss nach der Betroffenh­eit erfolgen. Die nächsten Monate müssen dringend genutzt werden, um hier eine wirklich belastbare Datenlage herzustell­en. Sonst droht eine Zuteilung nach politische­m Einfluss.

● Gabriel Felbermayr, 45, ist Direktor des Österreich­ischen Institutes für Wirtschaft­sforschung. Zuvor leitete der Österreich­er das Kieler Institut für Weltwirtsc­haft.

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Foto: Carsten Rehder, dpa Gabriel Felbermayr ist einer der führenden europäisch­en Ökonomen.

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