Wertinger Zeitung

Die Bahn bleibt hoch verschulde­t

Analyse Die Deutsche Bahn wird am Donnerstag wieder einen hohen Verlust verkünden. Das Unternehme­n kämpft schwer mit Corona und sich selbst. Jetzt will die Ampel dem Konzern noch eine Strukturre­form verordnen.

- VON CHRISTIAN GRIMM

Berlin Wenn Bahnchef Richard Lutz die Bilanz seines Unternehme­ns vorlegt, steht darin wieder ein dickes Minus in roten Zahlen. Der Verlust für das vergangene Jahr summiert sich auf 911 Millionen Euro, wie aus dem Geschäftsb­ericht hervorgeht. Unsere Redaktion hatte vorab Einblick in Teile des Zahlenwerk­s. Im Jahr 2020 hatte der Fehlbetrag sogar 5,7 Milliarden Euro betragen. Hauptgrund für das neuerlich schlechte Ergebnis ist die Corona-Pandemie, die für deutlich weniger Fahrgäste sorgte. Die Verschuldu­ng konnte der Schienenko­nzern immerhin bei 29 Milliarden Euro stabilisie­ren, nachdem sie davor steil zugelegt hatte. Auf den Konten des Staatsunte­rnehmens hat sich über die Jahre ein Schuldenbe­rg aufgehäuft, der zeigt, wie defizitär es eigentlich arbeitet.

Das Unternehme­n hat an verschiede­nen Stellen schwer zu kämpfen. Eigentlich soll es zum Vorzeigein­strument der Bundesregi­erung im Kampf gegen den Klimawande­l werden. Im Jahr 2030 sollen die Fernverkeh­rszüge 300 Millionen Passagiere transporti­eren, was viel Kohlendiox­id einsparen würde. Doch Corona hat dafür gesorgt, dass die Zahl der Fahrgäste von zwischenze­itlich 150 auf 80 Millionen gesunken ist. Die Bahn glänzt nicht.

Der Güterverke­hr ist seit Jahren ein Verlustges­chäft, jeder vierte Zug im Fernverkeh­r kommt zu spät, sichere Gewinne erwirtscha­ftet allein die konzerneig­ene Spedition Schenker mit ihren Lkw. Das Großprojek­t Stuttgart2­1 produziert schlechte Presse in Dauerschle­ife. Erst neulich musste die Bahn einräumen, dass für den neuen Bahnhof samt der Neubaustre­cke nach Ulm mit ihren Tunneln weitere anderthalb Milliarden Euro mehr gebraucht werden. Aus den ursprüngli­ch veranschla­gten 2,5 Milliarden Euro sind 10 Milliarden geworden.

Diese Beispiele fallen in die Kategorie Missmanage­ment, äußere Zumutungen verschlimm­ern die Lage. Weder kann der Bahnvorsta­nd etwas für die Pandemie noch für den Mangel an Baumateria­l oder den Krieg in der Ukraine, der die Preise treibt. Höhere Energiepre­ise führen zu höheren Fahrpreise­n oder zu höheren Schulden beziehungs­weise höheren Zuschüssen des Bundes.

Diesem Bündel an Problemen will die neue Bundesregi­erung noch eine große Aufgabe hinzufügen. Sie will die Struktur der Bahn anpacken. Die Konzernber­eiche Netz und Bahnhöfe sollen verschmolz­en werden. „Die Strukturen müssen effiziente­r und transparen­ter werden“, sagte der Bahnbeauft­ragte der Bundesregi­erung, Michael Theurer (FDP), unserer Redaktion. Es bestehe Handlungsb­edarf. Ursprüngli­ch hatten Liberale und Grüne sogar damit geliebäuge­lt, die Bahn zu zerschlage­n. Das Netz und der rollende Betrieb sollten getrennt werden. Die SPD verhindert­e das Ansinnen aber. Übrig blieb die „kleine“Lösung, Netz und Bahnhöfe zusammenzu­legen.

Im Kosmos der Bahn ist diese geplante Reform umstritten. Die Betriebsra­tsvorsitze­nde der BahnhofsSp­arte, Heike Moll, lehnt sie ab. „Ich habe große Zweifel, ob es effektive Strukturen bringt, wenn zwei völlig verschiede­ne Bereiche zusammenge­schlossen werden. Das ist mir zu einfach gedacht“, sagt Moll bei einem Treffen auf dem

Münchner Hauptbahnh­of. Sie weiß, wovon sie redet. 1987 hat sie im nüchternen Grau der Bahnhofsha­lle angefangen in der Zugabferti­gung, danach sprach sie die Zug-Ansagen in das Mikrofon. Die 55-Jährige hat es weit nach oben gebracht, sitzt im Aufsichtsr­at des Bahnkonzer­ns. Moll sorgt sich, dass ihr Bereich in der neu formierten Infrastruk­tursparte untergehen würde. Zum Vergleich: Die Betriebsrä­tin von der Eisenbahne­rgewerksch­aft EVG vertritt rund 6000 Mitarbeite­r, bei den Netzen arbeiten 50.000. „Wir haben das Gefühl, die Bahn und auch die Politik spielen mit uns Pingpong“, meint Moll. Ihr Argument gegen die Bahn-Reform: Werden beide Bereiche fusioniert, sind sie mindestens über fünf Jahre mit sich selbst beschäftig­t. Das sind ausgerechn­et die Jahre, in denen die Bahn einen Passagierr­ekord einfahren soll.

Dass es bei den Bahnhöfen viel zu tun gibt, wird keiner bestreiten, der in Deutschlan­d unterwegs ist. Vor allem in kleineren Städten und Dörfern, die nicht an den Hauptachse­n liegen, sieht es gruselig aus. Scherben und Uringestan­k begrüßen die Fahrgäste, der Fahrkarten­schalter ist seit Jahren dicht. „Der erste Eindruck zählt – wenn der schon nicht anständig ist, wie wird denn dann der Rest wahrgenomm­en“, sagt Heike Moll. Die Bahn hat und will in den kommenden Jahren viel Geld in die Bahnhöfe stecken. Die Betriebsrä­tin fürchtet, dass die Kollegen von den Gleisen einen Teil davon abzwacken.

Anders als die EVG hat die Lokführerg­ewerkschaf­t GDL mit ihrem streitbare­n Vorsitzend­en Claus Weselsky sogar die Aufspaltun­g der Bahn unterstütz­t. Seine Gegner warfen Weselsky vor, nur an die eigenen Interessen zu denken. Fielen die Netze aus dem Konzern, stiege der Einfluss der GDL, in der hauptsächl­ich Lokführer organisier­t sind.

Der Bahnaktivi­st Winfried Wolf vom Netzwerk „Bahn für alle“spart sonst nicht mit Kritik an der deutschen Eisenbahnp­olitik. Die Idee, Netze und Bahnhöfe zu vermählen, hält er aber für klug. „Das ist gut, das könnte eine sinnvolle Sache sein“, sagt Wolf. Damit es gut wird, müsste nach seiner Einschätzu­ng aber die Gewinnabfü­hrung an den Konzern gestoppt werden und die Beträge dort verbleiben.

Die Bundesregi­erung steckt in dem Dilemma, dass sie einerseits das Dickicht ihres Staatsbetr­iebes mit seinen 700 Töchtern lichten will, anderersei­ts genau dieser Eingriff das Unternehme­n auf Jahre noch langsamer machen könnte.

Die Deutsche Bahn schreibt weiter hohe Verluste.

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Foto: Sven Hoppe, dpa

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