Ärzte am Limit
Pandemie Corona macht auch vor Praxen nicht halt. Bayerns Hausärztechef Markus Beier spricht von „heftigen Wochen“und einem Dreiklang, der die Mediziner an ihre Grenzen bringt.
Wemding Wer in der Wemdinger Praxis von Friedrich Eberhard nach einem Termin wegen der geschwollenen Lymphknoten fragen will, wird nach ein paar Sekunden auf den Anrufbeantworter abgeschoben: „Sehr geehrter Patient“, robotert die Stimme der Gegensprechanlage einem entgegen. „Die Praxis muss leider weiterhin coronabedingt geschlossen bleiben.“Man solle sich doch bitte an die Kolleginnen und Kollegen in der Umgebung oder an den ärztlichen Bereitschaftsdienst wenden. Ende der Durchsage.
Dass die Lage in Krankenhäusern seit Wochen vor allem wegen Infektionen unter den Angestellten angespannt ist, ist bekannt. Von „Krankenständen bis zu 20 Prozent“sprach die bayerische Krankenhausgesellschaft neulich. Einzelne Häuser hätten sich bereits zeitweise von der Notfallversorgung abmelden müssen. Wieder werden planbare Operationen verschoben.
Nur liest man inzwischen auch auf Arztwebsites von gehäuften Personalausfällen, von eingeschränkten Sprechzeiten, von verschlossenen Praxistüren. Unterspült die anhaltende Omikron-Welle gerade ganz unbemerkt das Fundament der deutschen Gesundheitsversorgung – die Allgemeinmedizin?
Markus Beier sagt: Ja. Der Landesvorsitzende des Bayerischen Hausärzteverbands (BHÄV) klagt: „Die Last der Omikron-Welle verteilt sich hauptsächlich auf die Praxen. Dort werden über 90 Prozent aller Infizierten behandelt und getestet.“Es ist eine Dreifachbelastung, die in der aktuellen Pandemiephase auf die Ärztinnen und Ärzte losbricht: Sie sollen impfen. Sie sollen testen. Sie sollen den Normalbetrieb am Laufen halten. Und das alles, während immer mehr Personal in Quarantäne sitzt.
Beier spürt das in seiner eigenen Praxis in Erlangen: „Diese Woche habe ich zum ersten Mal wieder alle Angestellten zur Verfügung“, sagt er. „Aber in den vergangenen sechs Wochen ist immer jemand ausgefallen. Das war heftig.“Viele Mittagspausen seien organisatorischen Aufgaben gewichen: Testen, Impfen, Papierkram. Montags sei teils die Telefonanlage lahmgelegt gewesen, weil so viele Patientinnen und Patienten anriefen, die über das Wochenende Symptome bekommen hatten.
„Es wird alles versucht, um die Sache aufrechtzuerhalten. Alle sind ziemlich am Limit. Seit Monaten herrscht ein Dauerausnahmezustand“, sagt Beier. Den Krankenausfall taxiert er ähnlich hoch wie die Krankenhäuser, auf „20 bis 30 Prozent“. Viele Praxen würden im reduzierten Betrieb laufen, Videosprechstunden eingerichtet, die Öffnungszeiten verkürzt, Routinekontrollen und Vorsorgeuntersuchungen geschoben werden. Es klingt nach dem Dilemma der Kliniken. Dass Praxen schließen müssten, sei laut Beier aber „die Ausnahme“.
Jakob Berger zählt zu diesen Ausnahmen. Der Bezirksvorsitzende der schwäbischen Hausärzte hatte seine Praxis für zehn Tage zugesperrt. Er war selbst infiziert, fand keine Vertretung. „Ich kenne auch viele Kollegen, die wegen Personalmangels geschlossen haben“, sagt er. „Das Problem ist Omikron. Wir haben viel Kontakt zu Infizierten.
Und auch wenn wir alle drei- oder viermal geimpft sind, lüften, desinfizieren, Maske tragen – einen vollständigen Schutz gegen diese Variante gibt es nicht.“Gleichzeitig hört der Ansturm auf seine Dienste nicht auf. Erst Anfang der Woche seien seine Patientinnen und Patienten wieder bis vor die Tür Schlange gestanden – wegen der PCR-Tests, erzählt Berger. „Der Druck ist groß. Ich bin fast den ganzen Tag mit Covid beschäftigt. Ich mache Überstunden, um meine multimorbiden Patienten versorgen zu können. Aber man hat für sie nicht so viel Zeit, wie man gern hätte.“
Die Kassenärztliche Vereinigung Bayern (KVB) gibt unterdessen leichte Entwarnung: „Tageweise schließen einzelne Praxen, aber von einem flächendeckenden Ausfall kann keine Rede sein“, sagt Sprecher Axel Heise. Schon im Januar hatte die KVB ein zweites Sicherheitsnetz gespannt, das einen Ausfall der medizinischen Grundversorgung auffangen sollte: Schließen zu viele Praxen, würden zunächst die
Bereitschaftsärzte einspringen, die die Vereinigung über einen eigenen Pool koordiniert. Als zweite Stufe stünde der Hausbesuchsdienst in der Hinterhand. „Aus unserer Sicht ist die Aktivierung dieses Mechanismus aber noch nicht notwendig gewesen“, sagt Heise.
Und jetzt, wo Deutschland lockert – im politischen Sinn, aber auch im persönlichen Umgang mit der Pandemie? Wo Masken fallen, wenn auch nicht – das konkretisierte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) am Dienstag – in den Arztpraxen? „Wir wissen einfach nicht, wie sich die Lage weiterhin entwickeln wird“, sagt Heise.
Hausärzteverbands-Chef Beier will die Politik zunächst einmal loben und wagt dafür einen Blick in die Vergangenheit: Dass asymptomatisches Gesundheitspersonal sich seit Januar nach 48 Stunden freitesten könne, sei eine große Entlastung gewesen. Aber die zukünftige Lage in den Praxen? „Die wird sich nicht entspannen. Dabei bräuchten wir alle mal eine Verschnaufpause.“
Patienten stehen vor der Praxis Schlange