„Das ist der Kampf ihres Lebens“
Interview Bernd Bönte führte die Klitschko-Brüder als Manager zu mehreren Box-Weltmeistertiteln. Er sagt, wie er deren Einsatz im Ukraine-Krieg sieht und welche Erfahrungen er kurz vor der Annexion der Krim mit Putin gemacht hat.
Herr Bönte, Wladimir und Vitali Klitschko haben ihre Popularität im Boxring begründet. Seit Beginn des Ukraine-Kriegs sind beide aber vornehmlich in Militärkleidung inmitten der Kriegskulisse zu sehen. Wie surreal sind diese Bilder für Sie als ehemaliger Manager und langjähriger Freund der beiden?
Bernd Bönte: Ich würde gar nicht sagen, dass diese Bilder für mich surreal sind. Ich weiß noch, wie die beiden sich während der Orangenen Revolution 2004 oder beim Euromaidan 2013/14 auch unter Lebensgefahr für ihr Land engagiert haben. Auch das war ein Freiheitskampf. Der findet nun erneut statt, nur diesmal in einer völlig anderen Dimension. Es ist ein existenzieller Kampf um ihre Heimat, der größte ihres Lebens. Es geht um alles, um Freiheit oder Diktatur, Demokratie oder Autokratie. Wenn sie ihn verlieren, wird es das bisherige Zuhause von 40 Millionen Ukrainerinnen und Ukrainern nicht mehr geben. Die Menschen wissen auch, was in Russland mit Regimegegnern passiert: Die landen im Gefängnis oder auf dem Friedhof.
Eigentlich könnten es sich die Klitschkos leicht machen. Beide sind Multimillionäre. Warum tun sie sich dennoch den Horror dieses Kriegs an?
Bönte: Weil sie eine Mission haben. Es ist die, die jede Ukrainerin und jeder Ukrainer hat: Ihr Land soll gegen ein diktatorisches Regime verteidigt werden. Es sind ja ohnehin viele erfolgreiche Sportler – Boxer, Fußballer und andere – an der Front. Keiner müsste das tun. Für Wladimir und Vitali ist Kiew ihre Heimatstadt, beide leben dort. Vitali ist außerdem seit 2014 Bürgermeister der Hauptstadt, und das zeigt ja schon, mit wie viel Herzblut er sich für seine Heimat engagiert. Vitali steht bereits in seiner dritten Amtszeit, und die Menschen, die ihn gewählt haben, wussten immer: Das ist keiner wie seine Vorgänger, die den Job vor allem dazu nutzten, sich die Taschen vollzumachen. Vitali hat von Anfang an den Kampf gegen Korruption aufgenommen und viel für Kiew zum Positiven bewegt. Es wäre für Vitali das Ende eines Lebenstraums, wenn dieser Kampf gegen den russischen Aggressor verloren gehen würde.
Vitali Klitschko hat schon vor Ausbruch des Kriegs deutliche Worte an den Westen gerichtet, vor allem was
den Umgang mit Putin angeht. Trotzdem wurde lange auf Dialog gesetzt. Wie frustrierend war das für ihn?
Bönte: Vitali, Wladimir und ich haben uns schon während ihrer sportlichen Karriere viel über Politik und Geschichte unterhalten. Oft ging es dabei auch um Nord Stream 2. Und spätestens nach der Annexion der Krim stand für uns fest: Es ist ein absolutes No-Go, dass man diese für uns immer politische Pipeline weiter plant und umsetzt. Die Folgen dieser viel zu unkritischen, russlandfreundlichen Außenpolitik erleben wir nun alle schmerzlich, und das erpresserische Potenzial Russlands durch seine Energieexporte tritt heute deutlich zutage.
Sie hatten ihre persönliche Begegnung mit Vertretern des russischen Regimes im Oktober 2013, als Wladimir Klitschko in Moskau gegen den Russen Alexander Powetkin seinen Weltmeistertitel verteidigen musste. Sie führten damals die Verhandlungen.
Bönte: Dieser Kampf fand einige Monate vor der Krim-Annexion statt. Die Stimmung beim Kampf in Moskau war politisch aufgeladen wie keiner sonst in unserer langjährigen gemeinsamen WM-Karriere. Das war nicht nur Weltmeister Klitschko gegen den offiziellen Herausforderer
Powetkin, sondern wurde von der russischen Seite zum Duell zwischen der Ukraine und Russland hochstilisiert. Das Management von Powetkin, in dem unüberhörbar auch der russische Staat mitsprach, wollte etwa, dass die russische Anti-Doping-Agentur Rusada die DopingTests für beide Kämpfer übernimmt. Wir wussten um deren zweifelhaften Ruf und wollten, dass die Welt-AntiDoping-Agentur Wada zuständig ist; das lehnte die russische Seite ab. Am Ende kam es zu einer Kompromisslösung: Wladimir wurde von der deutschen Nada getestet. Und Powetkin, der Jahre später mehrfach positiv getestet wurde, von der Rusada. Für Putin war beim Punktsieg Wladimirs sogar ein Platz in der ersten Reihe der Moskauer Olympiahalle frei gehalten worden, er blieb aber leer. Zwei Wochen danach begann der sogenannte Euromaidan in Kiew, als sich die Ukrainerinnen und Ukrainer mit wochenlangen Protesten gegen Präsident Janukowitsch, die Marionette Putins, auflehnten und ihn am Ende zur Flucht nach Russland trieben.
Vitali Klitschko hat kürzlich gesagt, dass der Krieg sich „wie ein einzelner, nie enden wollender Tag“anfühlt. Zusammen mit Präsident Selenskyi gelten
Die Stimme der Klitschkos hat auch in Russland Gewicht
die Brüder als Stützen des ukrainischen Durchhaltevermögens. Geht ihnen trotzdem irgendwann die Luft aus?
Bönte: Das kann ich von außen nicht beurteilen. Aber ich kenne Vitali und Wladimir seit 25 Jahren und weiß: Die beiden zeichnete schon immer extreme Disziplin und Willensstärke aus. Und sie haben einen riesigen Antrieb. Sie wissen: Wenn wir hier nachlassen, wird unsere
Heimat als demokratisches System ausgelöscht und zu einem Satellitenstaat Russlands. Ich war oft in der Ukraine, habe dort viele Menschen kennengelernt und weiß: Sie werden in diesem Freiheitskampf niemals nachlassen.
Selenskyj und die Klitschkos steuern viel über ihre Social Media Auftritte.
Bönte: Das machen alle drei hervorragend. Präsident Selenskyj ist sicherlich das weltweite Gesicht dieses Freiheitskampfs. Vitali wendet sich in seinen Videos an die Bevölkerung Kiews, agiert als grandioser Mutmacher. Wladimir adressiert in perfektem Englisch die Weltöffentlichkeit. Aber alle drei sprechen auch auf
Russisch die Bewohner in Putins Reich an – zumindest jene, die die staatliche Zensur umgehen können. Man darf nicht vergessen, wie eng die Klitschkos mit Russland verbunden sind: Beide sind mit der Sprache aufgewachsen, ihre Mutter ist Russin, der verstorbene Vater Ukrainer. 2005 waren sie sogar Russlands Sportler des Jahres. Ihre Stimme hat auch in Putins Reich ein erhebliches Gewicht. Ich hoffe und bete, dass dieser Wahnsinn bald endet, aber auch, dass wir in Deutschland diesem Konflikt weiterhin dieselbe Aufmerksamkeit schenken wie in den vergangenen Wochen. Wir dürfen nie vergessen: Dieser existenzielle Freiheitskampf der Ukraine findet direkt vor unserer Haustür statt.
● Bernd Bönte Der 66jährige Sportjournalist promotete ab 2000 die KlitschkoBrüder, ist auch heu te noch Geschäfts führer der ge meinsamen Management Firma. Heute ver tritt er u. a. den Boxprofi Peter Kadiru und ar beitet als Experte.