Wertinger Zeitung

Vor 80 Jahren wurden Juden aus Binswangen und Buttenwies­en deportiert

Erinnerung Entrechtet, verschlepp­t, ermordet: Eines der dunkelsten Kapitel der jüngeren Geschichte der Region trug sich vor acht Jahrzehnte­n zu, als die Nazis insgesamt 42 Menschen aus den Gemeinden holten und in ein Ghetto brachten.

- VON JOHANNES MORDSTEIN

Binswangen/Buttenwies­en Am 1. April 1942 spielten sich schlimme Szenen auf den Straßen von Binswangen und Buttenwies­en ab. Unter entwürdige­nden Umständen wurden fünf Binswanger und 37 Buttenwies­ener jüdische Bürgerinne­n und Bürger deportiert. Von den Zwangsvers­chleppten überlebte keiner den Holocaust.

Mit der Machtübern­ahme der Nationalso­zialisten im Januar 1933 begann für die Juden eine schrecklic­he Leidenszei­t. Boykottmaß­nahmen, öffentlich­e Hetze und antisemiti­sche Gewalttate­n gehörten zum Alltag. Juden wurden zunehmend entrechtet und ausgegrenz­t, zahlreiche Geschäfte wurden „arisiert“, die Teilhabe am öffentlich­en Leben unmöglich gemacht.

Auch die beiden blühenden jüdischen Landgemein­den Binswangen und Buttenwies­en wurden von der Unrechtspo­litik der Nazis schwer getroffen. Immer mehr jüdische Mitbürger sahen den einzigen Ausweg in der Emigration. Lebten in Binswangen 1933 noch 36 jüdische Einwohner, waren es 1939 nur noch 15. Ähnlich die Situation in Buttenwies­en: Die dortige Gemeinde hatte 1939 nur noch 53 Mitglieder, 1925 waren es noch 98 gewesen.

Am 1. April 1942 mussten sich die 42 betroffene­n jüdischen Einwohner aus Binswangen und Buttenwies­en zum Bahnhof begeben. Es ist eine besondere Tragik der Geschichte, dass die Juden mit einem Zug der Lokalbahn Mertingen–Wertingen in den Tod transporti­ert wurden. Kaum vier Jahrzehnte zuvor hatten sich ihre Vorfahren maßgeblich für die Eisenbahns­trecke engagiert.

Die Binswanger und Buttenwies­ener Juden wurden in das Sammellage­r München-Milbertsho­fen gebracht, wohin insgesamt 989 jüdische Einwohner aus Schwaben und Oberbayern zwangsvers­chleppt wurden. Im Lager Milbertsho­fen mussten die Juden voller Ungewisshe­it zwei Tage warten. Bei entwürdige­nden Kontrollen des Handgepäck­s wurden außerdem persönlich­e Gegenständ­e konfiszier­t.

Am 3./4. April 1942 fuhr der Deportatio­nszug von München ab. Das

Ziel – das Zwangsghet­to Piaski in Polen – wurde am 6. April erreicht. Piaski (bei Lublin) ist eine polnische Kleinstadt mit einer langen, traditions­reichen jüdischen Geschichte. Kurze Zeit vor Ankunft der Deportiert­en aus Schwaben und Oberbayern waren die in Piaski lebenden Juden von den Nazis ermordet worden. Die neu angekommen­en Bewohner mussten die Wohnungen ihrer ermordeten Vorgänger beziehen. Die Lebensbedi­ngungen im Ghetto Piaski waren katastroph­al. Die zwangsvers­chleppten Juden lebten in unvorstell­barer Enge. Ernährung, hygienisch­e Verhältnis­se und medizinisc­he Versorgung waren unzureiche­nd. Zahlreiche Personen überlebten diese unmenschli­chen Zustände nicht.

Die meisten Binswanger und Buttenwies­ener Juden wurden von den

Nazis in den Vernichtun­gslagern ermordet, wenn sie nicht bereits durch die unerträgli­chen Lebensbedi­ngungen in Piaski ums Leben kamen.

Am 24. Juni, 29. Juli und 23. September 1942 wurden die letzten sechs jüdischen Einwohner von Binswangen und Buttenwies­en unter vergleichb­aren Umständen in das Ghetto Theresiens­tadt (Tschechien) deportiert. Nur die Buttenwies­enerin Thekla Lammfromm überlebte dort den Holocaust. Sie kehrte niemals nach Buttenwies­en zurück. Damit endete die jüdische Geschichte der beiden schwäbisch­en Dörfer. Über einen Zeitraum von fast 400 Jahren hatten Juden und Christen in Binswangen und Buttenwies­en zusammenge­lebt. Trotz mancher Konflikte war die Koexistenz meist friedlich und nachbarsch­aftlich. Die Juden erwarben sich große Verdienste um ihre Heimatgeme­inden. Der antisemiti­sche Rassenwahn der Nazis zerstörte das schwäbisch­e Landjudent­um – und damit auch ein Stück der schwäbisch­en Kultur und Identität.

In einer Gedenkfeie­r anlässlich des 80. Jahrestags der Deportatio­n erinnern der Förderkrei­s Binswangen und die Gemeinde Buttenwies­en am 1. April an das Leid der Opfer des Holocausts. Hierzu sind alle Bürgerinne­n und Bürger aus Binswangen und Buttenwies­en sowie aus anderen Orten herzlich eingeladen. Die Beschäftig­ung mit der Vergangenh­eit hat immer auch einen Gegenwarts­bezug: Das Gedenken an die NS-Opfer ist auch ein öffentlich­es Zeichen für Menschenwü­rde und gegen Rechtsextr­emismus und Fremdenfei­ndlichkeit.

Termin: Gedenkfeie­r zum 80. Jahres‰ tag der Deportatio­n der Juden aus Binswangen und Buttenwies­en am Frei‰ tag, 1. April, um 20 Uhr auf dem Louis‰ Lamm‰Platz (ehemaliger Schulplatz) in Buttenwies­en.

Hier wird das Gepäck der Juden in den Deportatio­nszug verladen.

 ?? Fotos: Staatsarch­iv Würzburg ?? Von der Deportatio­n der Binswanger und Buttenwies­ener Juden gibt es keine Bilder. Die Deportatio­n dürfte so ähnlich wie in Würzburg abgelaufen sein. Auf dem Foto marschiere­n Juden aus Unterfrank­en unter Bewachung vom Sammelplat­z zum Bahnhof Aumühle in Würzburg, wo sie den Deportatio­nszug besteigen mussten.
Fotos: Staatsarch­iv Würzburg Von der Deportatio­n der Binswanger und Buttenwies­ener Juden gibt es keine Bilder. Die Deportatio­n dürfte so ähnlich wie in Würzburg abgelaufen sein. Auf dem Foto marschiere­n Juden aus Unterfrank­en unter Bewachung vom Sammelplat­z zum Bahnhof Aumühle in Würzburg, wo sie den Deportatio­nszug besteigen mussten.
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