„Ich will mein Leben nicht in einer digitalen Welt verbringen“
Der Augsburger Maro Verlag wurde wieder einmal ausgezeichnet. Verlegerin Sarah Käsmayr über Traditionen, ihre Liebe zu Gedrucktem und die Kalkulation von Preisen.
Frau Käsmayr, der Maro Verlag ist nun zum dritten Mal mit dem Deutschen Verlagspreis ausgezeichnet worden. Ist das Preisgeld von 24.000 Euro bei Ihnen eigentlich schon fester Bestandteil der Kalkulation?
Sarah Käsmayr: Nein, auf keinen Fall. Für den Deutschen Verlagspreis haben sich diesmal fast 350 unabhängige Verlage beworben. Es ist also keine Selbstverständlichkeit, diese Auszeichnung zu bekommen – die Jury entscheidet aufgrund der Bewerbung. Das Preisgeld gibt uns die Möglichkeit, flexibler über die Ausstattung der Bücher zu entscheiden und auch einen kalkulatorisch „unsinnigen“Titel wie einen Lyrikband in Erwägung zu ziehen. Der Preis unterstützt das Überleben unseres literarischen Programms, zumindest ein Stück weit. Es ist ein Glücksfall, dass wir wieder zu den ausgezeichneten Verlagen gehören, ich hätte es aber vielen anderen Kolleg:innen ebenfalls gegönnt. Wir strampeln ja alle. Aus diesem Grund fordern wir mit der Kurt Wolff Stiftung, in deren Vorstand ich seit letztem Jahr bin, auch eine strukturelle Verlagsförderung, wie es sie zum Beispiel in Österreich und der Schweiz gibt und für Programmkinos auch in Deutschland schon existiert.
Gibt es schon Pläne für das Preisgeld? Käsmayr: Als Erstes habe ich zu meinem Vater gesagt, dass wir nun den Roman „Leere Menge“der mexikanischen Autorin Verónica Bicecci als Hardcover statt als Broschur herausbringen können. Wir werden das Geld komplett in Bücher stecken. Im Herbst machen wir noch einen Titel, der übersetzt wird, und wir haben noch keine Aussicht auf eine Übersetzungsförderung, sprich dieses Geld wird in erster Linie unseren Übersetzer:innen, Lektor:innen, den erhöhten Papierpreisen und gestiegenen Produktionskosten zugutekommen. Alles, was wir nicht selbst in unserer Druckwerkstatt herstellen können, lassen wir vor Ort bei Augsburger Druckereien und Buchbindereien produzieren, selbst wenn es dort mehr kostet als in sogenannten Billiglohnländern.
Sie haben im Maro Verlag von Berlin aus die Programm- und Lektoratsarbeit übernommen, während Ihr Vater Benno Käsmayr sich von Augsburg aus um Vertrieb, Herstellung und Verwaltung kümmert. Setzen Sie andere Akzente als Ihr Vater oder führen Sie seine Arbeit fort?
Käsmayr: Beides. Wir haben nach wie vor ein Auge in die USA gerichtet. So ist letztes Jahr bei uns der Gedichtband von Wanda Coleman erschienen, einer großartigen Lyrikerin. Auch im Herbst werden wir wieder eine US-amerikanische Lyrikerin verlegen. Das ist eine Fortführung dessen, was bei Maro schon immer einen Platz gefunden hat, ein Versuch, eher unbekannten Schriftsteller:innen eine Stimme zu geben. Mit unserer Reihe MaroHefte mit Essays und Illustrationen verfolgen wir hingegen eine neue Ausrichtung, für die es aber einen Anknüpfungspunkt an die Tollen Hefte gibt, die in den 90er Jahren bei Maro erschienen sind. Eine Traditionsfortführung sozusagen.
Warum haben Sie die Hefte-Tradition wiederbelebt?
Käsmayr: Die Hefte sind grundsätzlich erst mal schöne Objekte, aber wir wollten ihnen eine andere Ausrichtung geben. Die neue Reihe gebe ich gemeinsam mit dem Künstler Kolja Burmester heraus. In den Tollen Heften standen literarische Texte im Zentrum. In den MaroHeften veröffentlichen wir jetzt Essays zu bestimmten Themen und bilden unter anderem gesellschaftliche Diskurse ab. So haben wir zum Beispiel Hefte gemacht zu Verschwörungsideologien, zu Konsumkritik, zur Klimakrise, aber auch über die „Verteidigung der Traurig
Wir wollen große Themen in den Heften charmant kondensieren, sodass sie Einladungen sind, um tiefer in ein Thema einzusteigen. Der Trend geht ja leider dahin, dass Menschen lieber scrollen und von Bild zu Bild swipen. Diese Hefte dagegen sind einerseits haptisch und liebevoll gestaltet und andererseits beleuchten sie jeweils ein Thema ausführlicher. Das heißt, dass sie nicht 1:1 wiedergeben, was man auch in den Nachrichten sieht oder liest, sondern sich tiefer damit auseinandersetzen, dennoch in aller Kürze. 32 Seiten sind immer noch gut verdaulich, und das passt, so denken wir, in diese Zeit.
Wie finden Sie die Themen für die MaroHefte?
Käsmayr: Kolja Burmester und ich kennen uns seit über zehn Jahren.
Wenn einem von uns ein spannendes Thema begegnet, dann diskutieren wir ziemlich lange, bis wir uns dafür entscheiden, dazu ein Heft zu machen. In der Regel erscheinen immer zwei Hefte gemeinsam, und so entsteht unweigerlich eine Verbindung zwischen ihnen. Dabei ist es uns auch wichtig, verschiedene Akzente zu setzen. Wir wollen mit der Themenwahl nicht in einer Richtung festfahren. Es geht uns um politische, gesellschaftliche, aber auch heikle, also zum Beispiel tabubehaftete Themen. Zum Beispiel haben wir ein Heft über den Mythos Jungfernhäutchen und ein anderes über Abwasser und Kanalisation gemacht, das die Frage eruiert, ob Schmutzwasser wieder zu Trinkwasser wird. Wir versuchen, die Faktenlage im Blick zu haben, ohne das Poetische zu verlieren. Und das auch auf einer bildnerischen Ebene. Die Illustrationen spielen eine große Rolle.
Was hat Sie dazu bewogen, hauptberuflich in den Verlag einzusteigen? Käsmayr: Liebe zu Büchern und Inhalten. Ich bin ja Grafikdesignerin, lieber sage ich Buchgestalterin, denn das Gedruckte ist mein Lieblingsmedium. Für mich ist es ein Geschenk, dass ich in einen Verlag hineinwachsen durfte und ihn mit meinem Vater zusammen machen kann. Ich möchte allerdings heute niemandem raten, einen Verlag zu gründen.
Warum?
Käsmayr: Es ist mit vielen Hürden und Kosten verbunden, um die Strukturen aufzubauen, die nötig sind, also Verlagsvertreter:innen und Buchhandlungen, die einen kennen und die Programme verfolgen. Und auch wenn bei Maro nach über 50 Jahren diese Strukturen bestehen, haben wir oft Verkaufszahlen, bei denen wir die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Es steht in keinem Verhältnis zu der Arbeit. Dass es im Buchhandel immer weniger unabhängige Läden gibt, dafür aber immer mehr Filialen von Marktführern, macht unser Leben ebenfalls nicht leichter, weil wir dort nicht gelistet sind.
Ein Thema, das den Verlagen zu schaffen macht, ist die Papierknappheit. Spüren Sie das auch?
Käsmayr: Die Knappheit ist bisher noch nicht unser Problem: Wir haben Papiere gewählt, die noch ausreichend lieferbar sind. Allerdings sind die Preise enorm gestiegen, je nach Sorte zwischen 30 und 60 Prozent, das spüren wir.
Konnten deswegen Bücher nicht erscheinen?
Käsmayr: Nein, aber wir haben das Papier für unsere Frühjahrsproduktion rechtzeitig bestellt. Außerdem stellen wir nur kleine Auflagen her. Ein großer Konzernverlag hat da andere Probleme. Wenn wir 800 Bükeit“. cher drucken und 1500 Hefte, dann reden wir von einer halben Palette Papier, das kann nicht die globale Krise auslösen.
MaroVerlegerin Sarah Käsmayr.
Der Maro Verlag ist ja eng mit dem Mythos verbunden, Bukowski für Deutschland entdeckt zu haben. Kann man in dieser Spur immer weiterfahren oder muss man sich davon auch lösen? Käsmayr: Diese Spur gibt es nur bedingt. Für die Medien ist das natürlich immer eine schöne Geschichte, und ohne Bukowski gäbe es den Verlag vermutlich nicht, das ist richtig, aber das war in den 70er Jahren. In über 50 Jahren Verlagsgeschichte haben wir sehr viel mehr Stimmen verlegt. Es ist nur schwer, Aufmerksamkeit für Schriftsteller:innen zu bekommen, die noch nicht so bekannt sind, von denen wir aber überzeugt sind.
Was ist für einen kleinen Verlag besonders wichtig, um bestehen zu können? Käsmayr: Grundsätzlich, dass es Menschen gibt, die sich für unsere Titel und Themen interessieren. Einmal natürlich Buchhändler:innen, die unsere Bücher und Hefte auslegen. Also überhaupt Orte für unsere Bücher, das ist das Erste. Das Zweite ist, dass wir Menschen brauchen, die in Buchhandlungen gehen, um sich dort umzuschauen oder beraten zu lassen. Aber auch Lesende, die unseren Social-Media-Profilen folgen oder unseren E-MailNewsletter abonnieren und ab und an entscheiden, dass die nächsten 20 Euro der Maro Verlag bekommt, wenn sie ein Buch kaufen. Wobei diese Summe ja nicht bei uns landet. Ein großes Problem ist, dass viele Menschen nicht wissen, wie Buchpreise kalkuliert werden, und es schwer zu vermitteln ist, warum ein Buch 24 Euro kostet. Und selbst das ist oft noch zu billig.
Was bleibt Ihnen?
Käsmayr: Der Großhändler bekommt 50 Prozent Rabatt. Von den anderen 50 Prozent minus Mehrwertsteuer bezahlen wir Honorare an Autor:innen, Buchgestalter:innen, Illustrator:innen, die Verlagsvertreter, die Herstellung und den Versand, unsere Miete etc.. Was letztendlich beim Verlag bleibt, ist ein sehr kleiner Bruchteil dieser 24 Euro. Wie viele Menschen an einem Buch beteiligt sind, ist vielen nicht klar. Bei uns sind die Kosten deswegen meist erst gedeckt, wenn ein Großteil der Auflage verkauft ist.
Dass die Leipziger Buchmesse abgesagt wurde, hat ja vor allem die kleinen Verlage getroffen. Wie stehen Sie zu diesem Thema?
Käsmayr: Die Buchmessen sind ein geeigneter Ort, Bücher zu präsentieren und damit sich diese berüchtigten Zufallsbegegnungen ergeben, aus denen unter anderem interessante Bücher entstehen. Ich finde sie unverzichtbar. Wir haben zwar aus finanziellen Gründen seit Jahren keinen Stand mehr, aber ich bin trotzdem auf die Messen gefahren. Jetzt überlegen wir, ob wir uns nicht trauen, mit dem Preisgeld mal wieder einen Stand zu machen. Im März waren wir auf der Pop-up-Messe in Leipzig, und das war fantastisch.
Also sind Sie froh über diese Initiative der Kulturstaatsministerin, die die Buchmesse in Leipzig sichern soll. Käsmayr: Ja, absolut. Also ich will mein Leben nicht in der digitalen Welt verbringen. Ich wünsche mir immer noch Begegnungen mit Menschen, obwohl sich das mittlerweile fast altmodisch anhört.
● Sarah Käsmayr studierte Grafik Design an der Hochschule der Künste in Bremen. 2006 volontierte sie im MaroVerlag. Zusammen mit ihrem Vater Benno Käsmayr führt sie den Verlag.
„Papierknappheit ist nicht unser Problem“