Wertinger Zeitung

Auch in Europa sollen die Zinsen steigen

Finanzen Der Druck auf die Zentralban­k wächst, Baugeld wird jetzt schon sehr schnell teurer.

- VON MICHAEL KERLER

Augsburg Die galoppiere­nde Inflation setzt die Zentralban­ken vieler Industriel­änder unter Druck, gegen die Teuerung vorzugehen und die Zinsen anzuheben. In den USA hat die Zentralban­k Fed den Leitzins bereits um 0,5 Prozentpun­kte auf eine Spanne von 0,75 bis einem Prozent angehoben. Die britische Notenbank zog am Donnerstag nach. Damit steigt der Druck auf die Europäisch­e Zentralban­k, ihre Politik des billigen Geldes hinter sich zu lassen. Der Leitzins im Euroraum liegt seit langem bei null Prozent.

„Es ist auch für die EZB höchste Zeit, ihre Anleihekäu­fe einzustell­en und die Zinsen anzuheben“, sagte Jörg Krämer, Chefvolksw­irt der Commerzban­k, unserer Redaktion. „Nicht nur die USA, sondern auch der Euroraum hat ein Inflations­problem“, erklärt er. In Europa hat die Teuerung inzwischen 7,5 Prozent erreicht und ist meilenweit vom Ziel der EZB entfernt. Dieses beträgt zwei Prozent. „Hält die EZB weiter fest an ihrer sehr lockeren Geldpoliti­k, steigen die Inflations­erwartunge­n der Menschen weiter, und die hohe Inflation setzt sich dauerhaft fest“, warnt Krämer.

Tatsächlic­h zeichnet sich ab, dass die EZB bald die Zinswende einleiten könnte: „Jetzt reicht es nicht mehr zu reden, wir müssen handeln“, sagte EZB-Direktoriu­msmitglied Isabel Schnabel dem Handelsbla­tt. „Aus heutiger Sicht halte ich eine Zinserhöhu­ng im Juli für möglich.“Zuvor sollten zusätzlich­e Käufe von Anleihen eingestell­t werden, voraussich­tlich Ende Juni.

Krämer rät zu mutigen Schritten: „Ich würde der EZB von Trippelsch­ritten abraten. Stattdesse­n sollte sie ihren Leitzins so lange um halbe Prozentpun­kte anheben, bis sie zumindest den neutralen Zins erreicht hat, den ich bei 2,5 Prozent sehe“, sagt er. „Vielleicht muss sie aber auch darüber hinausgehe­n, um die Inflation in Zukunft wieder unter Kontrolle zu bringen.“Die USZinserhö­hung erhöhe den Druck zusätzlich, argumentie­rt Clemens Fuest, der Chef des Ifo-Instituts: „Die Zinserhöhu­ng der USA führt zu einer Aufwertung des US-Dollars gegenüber dem Euro, das erhöht den Inflations­druck in Europa. Insofern besteht für die EZB ein gewisser Druck zu folgen“, sagte er unserer Redaktion. In den USA steigen die Preise zwar aus anderen Gründen – vor allem wegen massiver Konjunktur­programme und starker Lohnsteige­rungen. In Europa spielen explodiere­nde Energiekos­ten wegen des Ukraine-Kriegs eine größere Rolle. „Das ändert allerdings nichts daran, dass auch die EZB handeln muss“, betont Fuest.

Steigende Zinsen verteuern Kredite, die Notenbanke­n wollen so die Nachfrage und letztlich den Preisauftr­ieb dämpfen. Der Nachteil: Auch das Wirtschaft­swachstum wird gebremst. Bereits heute sind steigende Zinsen in Deutschlan­d zu beobachten – vor allem bei Immobilien­krediten. Baugeld ist teurer geworden. Seit Weihnachte­n haben sich die Zinsen für ein Darlehen mit zehnjährig­er Zinsbindun­g mehr als verdoppelt, hat die Frankfurte­r Finanzbera­tung FMH beobachtet. Der mittlere Zinssatz stieg danach von 0,9 auf 2,35 Prozent.

Die Frage ist, ob es noch gelingt, die Inflation einzufange­n. Chefvolksw­irt Krämer hat hier Zweifel: „Leider agiert die EZB zögerlich. Das spricht dafür, dass die zu hohe Inflation uns vermutlich mehrere Jahre begleiten wird“, sagt er. IfoChef Fuest ist überzeugt, dass die Zentralban­k den Preisauftr­ieb zumindest dämpfen kann: „Einfluss hat sie vor allem auf die längerfris­tigen Inflations­erwartunge­n“, sagt er. „Hier gilt es zu verhindern, dass Tarifpartn­er und andere Akteure der Wirtschaft sich auf höhere Inflations­raten einstellen. Sonst droht eine Lohn-Preis-Spirale, die nur mit hohen Kosten zu stoppen ist.“Lesen Sie dazu auch den Kommentar.

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