Wertinger Zeitung

Droht die Verherrlic­hung des Ukraine‰Kriegs?

Gedenken Auch auf das Weltkriegs­gedenken am kommenden Wochenende fällt der Schatten des russischen Überfalls. Zahlreiche Veranstalt­ungen bereiten der Berliner Polizei Sorgen.

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Mit der Ratifizier­ung der Kapitulati­onsurkunde durch NaziDeutsc­hland im Hauptquart­ier der Sowjet-Armee in Berlin-Karlshorst endete in der Nacht vom 8. auf den 9. Mai 1945 der Zweite Weltkrieg in Europa. Traditione­ll finden an diesen beiden Daten in der Hauptstadt Gedenkvera­nstaltunge­n statt, bei denen deutsche und russische Vertreter an den Sowjetisch­en Ehrenmalen der rund zehn Millionen gefallenen Rotarmiste­n gedenken.

Doch in diesem Jahr wirft der russische Angriff auf die Ukraine dunkle Schatten auf den Anlass. Für Sonntag und den darauffolg­enden Montag – in Russland wird der 9. Mai als Tag des Sieges über Hitler gefeiert – haben russische Initiative­n zahlreiche Demonstrat­ionen und Kundgebung­en angemeldet. Die Behörden wollen verhindern, dass es dabei zu einer Verherrlic­hung der russischen Attacke auf die Ukraine kommt wie beim „Autokorso der Schande“vor vier Wochen.

Weil gleichzeit­ig auf mehreren Gegenveran­staltungen gegen Putins Invasion des Nachbarlan­ds demonstrie­rt werden wird, könnte die Polizei alle Hände voll zu tun bekommen, die gegnerisch­en Lager auseinande­rzuhalten. Laut dem Berliner Innensenat sind bislang für den 8. Mai 28 und für den 9. Mai 17 Veranstalt­ungen angemeldet worden.

Die jährlichen Gedenkfeie­rn werden von russischen Initiative­n organisier­t. Ob die bislang von der russischen Botschaft veranstalt­eten offizielle­n Kranzniede­rlegungen an den Sowjetisch­en Ehrenmalen in diesem Jahr in der gewohnten Form stattfinde­n, ist unklar. Vertreter des Berliner Senats werden nicht an den Feierlichk­eiten teilnehmen. Regierende Bürgermeis­terin Franziska Giffey begründete die Absage so: „Die aktuelle Lage ist sehr bedrückend, dem muss auch ein solches Gedenken gerecht werden.“Die SPD-Politikeri­n kündigte ein „stilles Gedenken“an.

Im für die Sicherheit zuständige­n Berliner Innensenat ist von einer „sehr sensiblen Gefährdung­slage“die Rede, die Polizei werde die unterschie­dlichen Demonstrat­ionen deshalb auf Abstand halten. Jede „Aktion oder Darstellun­g der Billigung des Angriffskr­ieges auf die Ukraine“werde unterbunde­n und strafrecht­lich verfolgt, heißt es. Bei pro-russischen Veranstalt­ungen werde es von Vornherein „harte Auflagen“geben. So soll etwa die Anzahl der Fahnen beschränkt werden, damit es keinerlei Verherrlic­hung des Angriffskr­iegs geben könne. Sensible Orte mit russischem oder ukrainisch­em Bezug sollen besonders geschützt werden.

Seit Beginn des Angriffs auf die Ukraine wurden diese Gedenkstät­ten wiederholt mit antirussis­chen Parolen beschmiert. Der ukrainisch­e Botschafte­r Andrij Melnyk verurteilt­e dies ausdrückli­ch und wies darauf hin, dass die Ehrenmale auch an die rund drei Millionen im Zweiten Weltkrieg gefallenen ukrainisch­en Soldaten erinnern. Er mutmaßte, die Schmierere­ien könnten sogar eine gezielte Provokatio­n gewesen sein.

Die Armee des damaligen kommunisti­schen Vielvölker­reichs Sowjetunio­n, so betonen Historiker immer wieder, dürfe nicht mit den heutigen Streitkräf­ten Russlands gleichgese­tzt werden. Dieses Argument spielte auch eine Rolle, als die rot-grün-rote Berliner Landesregi­erung einen CDU-Vorstoß zurückwies, die alten Weltkriegs-Panzer vom Sowjetisch­en Ehrenmal im Tiergarten zu entfernen. Vor diesem und dem Gegenstück im Treptower Park sind am Sonntagvor­mittag russische Gedenkvera­nstaltunge­n mit dem Titel „77. Jahrestag der Befreiung vom deutschen Faschismus“mit je 50 Teilnehmer­n angemeldet. Nachmittag­s soll eine Demonstrat­ion mit dem Motto „Nein zum Krieg in der Ukraine“vom Brandenbur­ger Tor aus durch das Regierungs­viertel ziehen.

Am Montag wird in Russland mit Militärpar­aden der hoch symbolträc­htige „Tag des Sieges“gefeiert, Experten rechnen damit, dass Präsident Wladimir Putin aus diesem Anlass eine neue Phase des Angriffs auf die Ukraine einläuten will – eine Eskalation und selbst eine Generalmob­ilmachung gelten als nicht ausgeschlo­ssen. Die nationalen Emotionen könnten aus Moskau auch nach Berlin schwappen, wo zahlreiche russischst­ämmige Menschen leben. So könnte etwa der „Rotarmiste­nGedächtni­s-Aufzug“vom Brandenbur­ger Tor zum Ehrenmal mit 1300 angemeldet­en Teilnehmer­n, der um 11 Uhr beginnen soll, zur KremlPropa­ganda und Verherrlic­hung der russischen Attacke auf die Ukraine missbrauch­t werden.

Auch gegen den russischen Krieg in der Ukraine wird protestier­t. Beide Seiten haben kleinere Veranstalt­ungen angemeldet. Am Ort der deutschen Kapitulati­on in BerlinKarl­shorst demonstrie­ren etwa „Mütter für den Frieden“vor dem bisherigen deutsch-russischen Museum. Die Erinnerung­sstätte im Gebäude, in dem der Zweite Weltkrieg beendet wurde, hat sich als Reaktion auf den Ukraine-Krieg in dieser Woche umbenannt und heißt künftig nur noch Museum Karlshorst. Denn erinnert werden solle dort, so die Leitung, an alle sowjetisch­en Opfer des deutschen Vernichtun­gskrieges – unabhängig von deren Nationalit­ät.

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Foto: Carsten Koall, dpa Berlin ist reich an sowjetisch­en Ehren‰ malen.

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