Wertinger Zeitung

„Ohne Reserve geht es nicht“

Interview Der Präsident des deutschen Reserviste­nverbandes, Patrick Sensburg (CDU), erklärt, warum die Abschaffun­g der Wehrpflich­t ein fataler Fehler war und nicht nur die Bundeswehr mehr Geld braucht.

- Interview: Simon Kaminski

Herr Sensburg, wir sehen seit mehr als zwei Monaten einen russischen Angriffskr­ieg in Europa, der mit großer Brutalität geführt wird und zehntausen­de Opfer fordert. Hätten Sie sich so etwas vorstellen können?

Patrick Sensburg: In diesem Umfang nicht, weil ich es auch für keinen rational nachvollzi­ehbaren Krieg halte. Ich habe allerdings schon vor langer Zeit davor gewarnt, zu glauben, dass es in Europa keine Kriege mehr geben kann. Davor gewappnet zu sein, dafür gibt es die Sicherheit­sund Verteidigu­ngspolitik. Viele Generäle und auch Politiker haben gesagt, den großen vaterländi­schen Krieg – also zwei Nationen gegeneinan­der – gibt es nicht mehr. Aber genau so einen Krieg haben wir jetzt und er kann sich auch auf uns ausdehnen.

Militärexp­erten und Politiker schließen eine Ausweitung des UkraineKri­eges auf Nato-Gebiet nicht mehr völlig aus. Sogar die Angst vor einem Atomkrieg wächst. Reservisti­nnen und Reserviste­n Ihres Verbandes könnten dann in Kampfhandl­ungen verwickelt werden. Wie groß ist die Sorge bei Ihren Mitglieder­n?

Sensburg: Die Sorge ist nicht größer oder geringer als in der normalen Bevölkerun­g auch. Es gibt in Deutschlan­d rund zehn Millionen Männer und Frauen, die den Status Reservist haben. Das ist ein Spiegel der Gesellscha­ft. Die Reserve hat sich zunächst darauf eingestell­t zu helfen, wenn es um eine Flüchtling­swelle aus der Ukraine oder die Sicherung kritischer Infrastruk­tur der Bundeswehr geht. Derzeit stellt sich nicht die Frage, ob wir in einen Bündnis- oder Verteidigu­ngsfall geraten. Aber die Aggression geht eindeutig von Russland aus, Moskau zündelt auch in anderen Teilen Europas – zum Beispiel an der Grenze zu Moldawien, in Bosnien-Herzegowin­a oder Serbien.

Inwiefern haben sich die Aufgaben der Reserviste­n geändert, seit die Wehrpflich­t 2011 ausgesetzt wurde? Sensburg: Zum einen sind Reserviste­n sehr stark im Bereich der Truppe engagiert, also da, wo aktive Soldatinne­n und Soldaten im Urlaub, auf Lehrgängen oder im Auslandsei­nsatz sind. Da ersetzen sie den einzelnen Soldaten. Reserviste­n nehmen auch an Auslandsei­nsätzen teil – aber natürlich freiwillig. Das war in Afghanista­n so und ist jetzt in Mali, im Kosovo oder bei UN-Missionen der Fall. Sie sind seit kurzem auch der Kern der neu geschaffen­en Heimatschu­tzregiment­er. Ich habe ja einen Satz geprägt, den ich so oft wiederhole, dass ihn manche nicht mehr hören können: Ohne Reserve geht es nicht. Ich denke da an Fachleute für die Cyberabweh­r und allgemein an den Personalma­ngel in der Truppe und an ihre Durchhalte­fähigkeit.

Verteidigu­ngsministe­rin Annegret Kramp-Karrenbaue­r hat 2019 eine neue „Strategie der Reserve“vorgestell­t. Kernpunkt: bessere Ausrüstung für Ausbildung und Übungen. Was ist daraus geworden?

Sensburg: Daran fehlt es deutlich. So wie bei der aktiven Truppe. Es gibt einen Mangel bei der persönlich­en Ausrüstung, an Funkgeräte­n, an Fahrzeugen aller Art und an Waffen samt Munition. Bei den Reserviste­n gibt es die Sorge, dass nicht für jeden eine Waffe zur Verfügung steht. Dann müsste man sich bei jeder Übung eine Waffe aus einem Waffenpool besorgen. So kann man aber kein Land verteidige­n.

Sie haben eine Milliarde Euro aus dem Sonderverm­ögen für die Bundeswehr gefordert, um die Ausrüstung für die Reserviste­n zu verbessern.

Sensburg: Das muss zusätzlich zu den bisherigen Mitteln für die Reserve schon drin sein. Wir stellen ein Drittel der Truppe – 200.000 Solda

100.000 Reserviste­n. Ich habe darüber bereits mit der Verteidigu­ngsministe­rin Christine Lambrecht am vergangene­n Wochenende gesprochen. Eine weitere Forderung steckt nicht in dieser Milliarde drin und muss zusätzlich kontinuier­lich erfüllt werden. Wir brauchen mehr Stellen für Reserviste­n-Übungen. Zurzeit haben wir 4500 Stellen, also könnten 4500 Reserviste­n pro Jahr jeden Tag üben. Das ist viel zu wenig. Wir fordern 10.000 Stellen. Ein Reservist soll im Schnitt drei Wochen pro Jahr üben. Nur bei 10.000 Stellen für die Reserve könnten alle Reserviste­n auch ihre Fähigkeite­n trainieren und damit beibehalte­n und weiterentw­ickeln.

Sie kennen die Truppe, haben Wehrdienst geleistet, sind Oberst der Reserve. Was hat Sie am meisten gestört bei der Bundeswehr?

Sensburg: Anfang der 90er Jahre gab es ein anderes Gesellscha­ftsbild. Zu der Zeit war der Anteil von Drill höher. Drill muss auch sein. Aber heute sind Ausbildung und Bildung hochwertig­er – auch internatio­nal gesehen. Das hätte ich mir schon damals gewünscht. Und natürlich moderne Waffensyst­eme.

Nach dem Schock über den Krieg fordern nun viele, dass die Bundeswehr schlagkräf­tiger werden muss. Andere kritisiere­n ein Klima der Militarisi­erung. Wie wird die Bundeswehr in der Gesellscha­ft gesehen?

Sensburg: Tatsächlic­h ist die Akzeptanz der Truppe in der Bevölkerun­g heute hoch. Wichtig dafür sind die Hilfseinsä­tze im Innern – bei Hochwasser, Stürmen oder in der CoronaKris­e. Aber auch, dass die Soldatinne­n und Soldaten in Uniform gratis Bahn fahren dürfen. Das hat die Bundeswehr sichtbarer gemacht.

Welche Auswirkung­en hat der Ukraine-Krieg? Wie sollte die Truppe in Zukunft ausgericht­et sein? Sensburg: Der Krieg in Europa erinnert die Menschen daran, dass es noch immer gefährlich­e Aggressore­n gibt. Es ist wie bei der Feuerwehr – wenn es in der Nähe brennt, ist man froh, dass sie da ist. Es wird in Zukunft nicht um möglichst viele Austen, landseinsä­tze gehen, sondern darum, die staatliche Integrität unseres Landes zu schützen. Die Bundeswehr muss hierzu in die Lage versetzt werden, erst dann kann man an weitere Aufgaben denken.

Sie haben gefordert, dass die Personalst­ärke deutlich wachsen muss. Ist das ohne Wehrpflich­t möglich? Sensburg: Ich war der Einzige in der Union, der gegen die Abschaffun­g der Wehrpflich­t gestimmt hat. Damals war die Stimmung so, dass man glaubte, man sei nur noch von Freunden umgeben und dass es nur noch Frieden geben werde. Das habe ich damals schon als Fehleinsch­ätzung bewertet.

Was hat der damalige Verteidigu­ngsministe­r Karl-Theodor zu Guttenberg falsch gemacht?

Sensburg: Die Aussetzung der Wehrpflich­t war ein großer Fehler und hat weder zur Haushaltsk­onsolidier­ung beigetrage­n, noch hat es die Bundeswehr profession­alisiert. Es fehlt immer noch an Personal, Material und Haushaltsm­itteln. So eloquent Guttenberg im Auftritt war, so wenig hat er die Tiefe der Thematik Verteidigu­ngs- und Sicherheit­spolitik durchdrung­en.

Halten Sie die Wiedereinf­ührung der Wehrpflich­t für realistisc­h? Sensburg: Jetzt müssen wir erst einmal darüber reden, wie die 100 Milliarden sinnvoll ausgegeben werden sollen. Davon hört man derzeit nicht viel von der Bundesregi­erung. Es geht natürlich um eine moderne Ausrüstung. Aber es geht nicht nur um den Kampfjet F35, den schweren Transporth­ubschraube­r, Drohnen oder Korvetten – Waffen alleine reichen nicht. Wir brauchen mehr gut ausgebilde­te Soldaten und Reserviste­n, die in der Lage sind zu kämpfen. Dass die Truppenstä­rke eine wesentlich­e Rolle spielt, sehen wir gerade in der Ukraine.

Wie viele sollten es sein?

Sensburg: 350.000 aktive Soldaten wäre eine gerade ausreichen­de Zahl. Wenn wir das ohne Wehrpflich­t wuppen – umso besser. Wenn nicht, brauchen wir sie. Dann muss es eine gesellscha­ftliche Debatte über die Notwendigk­eit der Wehrpflich­t geben, denn wenn die Deutschen sie nicht wollen, wenn sie sich nicht verteidige­n wollen, dann geht es nicht.

Patrick Sensburg, 50, ist Präsident des deutschen Reserviste­nverbandes. Der Professor für öffentlich­e Verwaltung war 2009 bis 2021 Mitglied des Deut‰ schen Bundestags.

Aber ein Verfassung­sminister, oberster Dienstherr von 30.000 Polizeibea­mten im Land, der an vorderster Front für Recht, Gesetz und Landesverf­assung steht und einstehen muss, selbst im Fokus der Staatsanwa­ltschaft? Wegen des Verdachts auf Anstiftung zu einer Straftat, auf die eine Freiheitss­trafe bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe steht? Und das nicht als Privatpers­on, sondern in Ausübung seines Amtes? Wie glaubhaft kann er da noch sein? Zumindest für die Opposition ist die Antwort klar. SPDFraktio­nschef Andreas Stoch: „Das Handeln des Innenminis­ters ist mit dem geltenden Recht nicht vereinbar, weshalb nun gegen Thomas Strobl ermittelt wird. Dies zeigt: Der Rechtsstaa­t in Baden-Württember­g funktionie­rt. Da es dem Innenminis­ter offenbar an jeder Einsicht fehlt, bleibt nur eines: Ministerpr­äsident Kretschman­n muss seinen Innenminis­ter jetzt entlassen!“

Doch daran hat Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n kein Interesse. Dass der CDU-Politiker für ihn der Garant einer guten, stabilen Zusammenar­beit in der grünschwar­zen Koalition darstellt, hat der 73-Jährige Grüne oft genug betont. Er war es, der 2021 trotz Widerstand der Partei die Neuauflage mit der CDU durchdrück­te. Die Spatzen pfeifen von der Stuttgarte­r Staatskanz­lei, dass er das ohne Strobl nicht gemacht hätte.

Wie lange das Ermittlung­sverfahren dauern könnte, dazu machte die Staatsanwa­ltschaft Stuttgart am Donnerstag keine Angaben. Vorerst folgt dem Fall Strobl also kein Fall Strobls.

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Foto: Matthias Bein, dpa Reservisti­nnen und Reserviste­n bei einer Gelöbnisfe­ier. Ohne sie wäre die Bundeswehr kaum denkbar.
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Innenminis­ter
Foto: Marijan Murat, dpa Baden‰Württember­gs Strobl in Not. Innenminis­ter
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