Wertinger Zeitung

Das 9‰Euro‰Ticket – ein Sommermärc­hen?

Verkehr Von Juni bis August will Bundesverk­ehrsminist­er Volker Wissing (FDP) den Menschen den Nahverkehr schmackhaf­t machen. Doch günstigere Tickets könnten für übervolle Busse und Bahnen sorgen. Schon jetzt gibt es viel Kritik.

- VON JULIA GREIF

Augsburg/Bremen Günstiger mit Bus und Bahn von A nach B kommen, nämlich für neun Euro im Monat: Das 9-Euro-Ticket soll am

1. Juni starten und bis Ende August erhältlich sein. Gültig ist es im Nahund Regionalve­rkehr in der zweiten Klasse. Doch nicht alle jubeln darüber. Das sind die Knackpunkt­e:

● Der ÖPNV braucht dauerhafte fi‰ nanzielle Unterstütz­ung Kritik kommt zum Beispiel aus den Reihen der Bundesländ­er: Diese hatten nach der Länderverk­ehrsminist­erkonferen­z den Bundesverk­ehrsminist­er Volker Wissing (FDP) deutlich aufgeforde­rt, die Regionalis­ierungsmit­tel für den Betrieb des ÖPNV aufzustock­en. Die Länder beklagen, das Ticket könnte „als Strohfeuer enden“, wenn der ÖPNV durch fehlende Mittel im weiteren Verlauf des Jahres nicht erweitert und ausgebaut werden könnte. Die Länder hatten zusätzlich für dieses Jahr 1,5 Milliarden Euro gefordert.

Bayerns Verkehrsmi­nister Christian Bernreiter (CSU) äußerte gegenüber unserer Redaktion ähnliche Bedenken: „Zeitlich befristete Ticketprei­ssenkungen sind das falsche Signal. Wir müssen den ÖPNV dauerhaft und verlässlic­h mit mehr Mitteln vom Bund ausstatten. So ein Schnellsch­uss zeigt nur, dass der Bund noch kein konzeption­elles Verständni­s für den ÖPNV hat.“Er bezeichnet das Ticket als „enttäusche­nde Mogelpacku­ng“und bemängelt: „Hier wird ganz klar versucht, die Kosten bei Ländern, Kommunen und Verkehrsun­ternehmen abzuladen. Wenn, wie erwartet, viele Menschen das Ticket nutzen wollen und dafür zusätzlich­e Züge und Busse bereitgest­ellt werden müssen, will der Bund das Geld dafür nicht aufbringen. Auch von den eigentlich im Koalitions­vertrag der Ampel vorgesehen­en Mittel für den Ausbau des ÖPNV und zur Unterstütz­ung der Verkehrsun­ternehmen ist nun plötzlich keine Rede mehr.“Auch der Hauptgesch­äftsführer des Deutschen Städtetage­s Helmut Dedy sagte gegenüber der Deutschen Presse-Agentur: „Wir brauchen neue Bahnen und Busse. Der Betrieb, das Personal, jede Tankfüllun­g und die aktuellen Energiepre­ise werden steigende Zuschüsse brauchen. Deshalb sorgen wir uns um die Finanzieru­ng.“

● Der Effekt könnte verpuffen Dedy äußerte sich auch skeptisch dazu, wie überzeugen­d das 9-Euro-Ticket sei: Zwar arbeiteten Verkehrsun­terVerbünd­e, Städte und Länder hart daran, für den 1. Juni alles gangbar zu machen. „Wir bezweifeln aber, ob es mit dem 9-Euro-Ticket langfristi­g gelingt, mehr Menschen für Bus und Bahn zu begeistern. Was passiert nach dem Sommer, wenn die Ticketakti­on vorbei ist?“Auch die Bremer Verkehrsse­natorin Maike Schaefer warnte am Donnerstag in Bremen nach Beratungen der Verkehrsmi­nister der Länder sowie des Bundes davor, dass nach dem Auslaufen des Tickets Ende August ohne mehr Geld vom Bund die Tarife erhöht werden müssten.

● Viele werden nicht vom 9‰Euro‰ Ticket profitiere­n Gut gemeint, aber nicht gut gemacht – Karl-Peter Naumann vom Fahrgastve­rband Pro Bahn sagte unserer Redaktion: „Grundsätzl­ich ist es eine gute Idee, die Menschen, die den öffentlich­en Verkehr nutzen, zu entlasten und ihn attraktive­r zu machen. Aber wenn man das macht, muss man das auch richtig machen.“Einmal gehe es um die Pendler: Viele Augsburger, die zum Beispiel nach München pendeln, nutzen den ICE. „Damit fallen sie aus der ganzen Aktion raus. Die kriegen also keinen Cent.“Ebenso Studenten, die zum Beispiel in Frankfurt studieren und am Wochenende nach Hause zu ihren Elnehmen, tern nach Augsburg fahren: Die bekämen nichts, weil sie den Fernverkeh­r nutzten.

Ein weiteres Problem: „Wir werden mit Sicherheit auf manchen Rennstreck­en eine katastroph­ale Überfüllun­g haben. Das sind Strecken, wo es kaum Alternativ­en gibt und viele Menschen am Wochenende sehr gern hinfahren wollen.“Zum Beispiel von München nach Garmisch oder von Berlin an die Ostsee. Dafür gäbe es weder die Züge noch das Personal, noch gäben die Strecken die Kapazität her, weil sie zum Teil eingleisig seien. Man müsse damit rechnen, dass Leute zu bestimmten Zeiten zurückblei­ben, insbesonde­re, wenn sie ihre Fahrräder mitnehmen, sagte Naumann unserer Redaktion. Deshalb wäre es durchaus vernünftig, auf bestimmten Strecken und zu bestimmten Uhrzeiten die Fahrradmit­nahme auszuschli­eßen.

Und Alternativ­en? „Da ist die Messe gesungen“, sagt Naumann. Man hätte zum Beispiel den Pendlern anbieten können, ein oder zwei Monate umsonst zu fahren. Oder ein schon diskutiert­es Mobilitäts­geld, das jeder und jede individuel­l ausgeben kann: Sich damit ein Fahrrad kaufen, mit der Straßenbah­n fahren oder einen Flug buchen.

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Foto: Ralf Lienert Die Ausflugsge­biete richten sich auf zahlreiche Besucher ein, die in den kommenden Monaten mit dem 9‰Euro‰Ticket per Zug anreisen.

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