Wertinger Zeitung

„China macht uns Sorgen“

Interview Hildegard Müller ist Präsidenti­n des Verbandes der Automobili­ndustrie. Durch die Lockdowns in China und fehlende Zulieferte­ile sieht sie die Branche in Deutschlan­d zusätzlich unter Druck. Was die Bundesregi­erung nun tun muss.

- Interview: Stefan Stahl

Müller, erhöht der Überfall Russlands auf die Ukraine den Druck auf Deutschlan­d, noch schneller auf Elektromob­ilität umzusteige­n? Hildegard Müller: Der Krieg in der Ukraine hält uns den Spiegel vor Augen: Wir dürfen bei unseren Anstrengun­gen für mehr Klimaschut­z, auf dem Weg von fossilen zu erneuerbar­en Energien nicht nachlassen – im Gegenteil: Wir müssen die Ärmel noch höher krempeln. Der Ausbau der erneuerbar­en Energien ist dabei entscheide­nd: Wir müssen jetzt eine planvolle Energie-Außenpolit­ik betreiben.

Was heißt das konkret?

Müller: Wir müssen offensiver weltweit mit Ländern Energie-Partnersch­aften schließen und uns damit Zugang zu erneuerbar­en Energien verschaffe­n. Mit in Deutschlan­d erzeugter Wind- und Solarenerg­ie allein werden wir die Energiewen­de nicht stemmen. Außerdem muss eine funktionie­rende Wasserstof­fWirtschaf­t schnellstm­öglich realisiert werden. Wir brauchen zudem eine Rohstoff-Außenpolit­ik, um ausreichen­d Rohstoffe unter anderem für die Elektromob­ilität zur Verfügung zu haben. Diese Energieund Rohstoff-Außenpolit­ik sichert Jobs, lässt neue entstehen und hilft Menschen und Unternehme­n, die großen Herausford­erungen, wie beispielsw­eise die Umstellung von Verbrenner­auf Elektromot­oren, erfolgreic­h zu meistern.

Schaffen wir den Kraftakt?

Müller: Das kann gelingen, wenn wir es in Zukunft vermeiden, von einzelnen Ländern zu abhängig zu sein, was bestimmte Rohstoffe betrifft. Das ist eine Lehre aus unserer noch immer zu großen Abhängigke­it von russischem Gas. Als Autoindust­rie stehen wir hier ausdrückli­ch hinter der Bundesregi­erung, die sich dagegen entschiede­n hat, zu schnell russisches Gas abzubestel­len: Das würde Deutschlan­d und Europa mehr als Russland schädigen. Natürlich ist es jetzt wichtig, dass russisches Gas durch Lieferunge­n aus anderen Ländern ersetzt wird. Dabei dürfen wir aber nicht den enormen alternativ­en Bedarf an erneuerbar­er Energie aus den Augen verlieren.

Was muss die Bundesregi­erung hier jetzt anpacken?

Müller: Der Wettbewerb ist groß, internatio­nal werden die Märkte für erneuerbar­e Energien aktuell noch viel zu oft ohne Deutschlan­d verteilt. Nordafrika bietet unendliche­s Potenzial durch riesige Solar- oder auch Windparks. Die Regierung muss hier jetzt schnell handeln. Was Rohstoffe betrifft, gilt gleiches für Südamerika. Die Partnersch­aften sind übrigens auch zum Wohl der exportiere­nden Länder und sorgen auch dort für Wachstum und Wohlstand. Die Globalisie­rung ist nicht gescheiter­t, sondern, was Energie und Rohstoffe betrifft, wichtiger und entscheide­nder denn je. Russlands Bruch des Völkerrech­ts macht die Zusammenar­beit mit anderen Ländern nötiger denn je.

Doch drohen uns Wohlstands­verluste? Müller: Die Autoindust­rie spürt die negativen wirtschaft­lichen Auswirkung­en des Krieges in der Ukraine. Seit Jahresbegi­nn wurden 1,1 Millionen Pkw in Deutschlan­d produziert, zwölf Prozent weniger als im Vergleichs­zeitraum des Vorjahres, das aufgrund der Corona-Pandemie ein bereits schwaches Jahr war. Das Wiederauff­lackern von Corona in China mit daraus folgenden Lockdowns setzt unserer Branche natürlich zusätzlich zu, Zulieferte­ile werden nun verspätet geliefert, weil Häfen geschlosse­n sind. China macht uns also Sorgen. Deswegen haben wir unsere Prognose zurückgeno­mmen: Jetzt gehen wir nur noch von 2,75 Millionen Neuzulassu­ngen aus.

Trotz aller Widrigkeit­en treibt die deutsche Autoindust­rie den Wandel von Verbrenner- zu Elektroaut­os voFrau ran. Und immer mehr Bürgerinne­n und Bürger greifen zu.

Müller: Die Autoindust­rie treibt die Transforma­tion entschloss­en voran – gleichzeit­ig ist es noch ein langer Weg, bis im Jahr 2030 nach dem Plan der Bundesregi­erung 15 Millionen Elektroaut­os auf deutschen Straßen unterwegs sein sollen. Um das zu erreichen, müsste ab heute etwa jedes zweite neu zugelassen­e Auto ein Elektroaut­o sein.

Der Ausbau der Infrastruk­tur für Elektroaut­os hält aber nach wie vor bei weitem nicht mit den ehrgeizige­n Plänen der Bundesregi­erung Schritt. Müller: Leider geht die Schere zwischen Ladepunkte­n für E-Autos und zugelassen­en Fahrzeugen immer mehr auseinande­r. Damit sind wir nicht zufrieden. Wöchentlic­h müssten etwa 2000 neue Ladepunkte in Deutschlan­d entstehen, es sind aber derzeit nur rund 300. Das macht mir Sorgen. Denn wir brauchen bis 2030 eine Million solcher Ladepunkte allein im öffentlich­en Raum.

Doch Ladepunkte allein reichen nicht, damit die Verkehrswe­nde wirklich ein Erfolg wird.

Müller: Die Energiever­sorger müssen parallel dafür sorgen, dass die Netze ausreichen­de Kapazität haben. Ich spreche etwa mit Verantwort­lichen von Wohnungsba­u-Gesellscha­ften, die in Tiefgarage­n Lademöglic­hkeiten anbieten wollen, doch daran scheitern, dass die Energiever­sorger bislang keinen ausreichen­den Netzanschl­uss für solche Wohnanlage­n geplant haben. Das Thema ist also derart komplex, dass die Politik alle Bereiche immer mitdenken muss. Wir brauchen Kümmerer für die Elektromob­ilität.

Was muss die Politik zudem tun, damit sich Bürgerinne­n und Bürger Elektroaut­os und deren Betrieb leisten können?

Müller: Die Bundesregi­erung muss beispielsw­eise Steuern, Abgaben und Umlagen senken. All das verteuert nämlich in Deutschlan­d erheblich den Strompreis, der im internatio­nalen Vergleich zu hoch ist.

Auf Ihrer Wunschlist­e an die Politik steht das Thema „Plug-in-Hybride“, Autos, bei denen der Verbrenner- mit einem Elektromot­or kombiniert wird. Müller: Diese Plug-in-Hybride vereinen das Beste aus zwei Welten und sind ideal für den Einstieg in die Elektromob­ilität, gerade auch weil die Ladeinfras­truktur noch immer unzureiche­nd ausgebaut ist. Ich fahre selbst einen Hybrid.

Hildegard Müller ist die Stimme der deutschen Autoindust­rie.

Doch Wirtschaft­sminister Habeck überlegt laut, die Förderung von Plugin-Hybriden im Gegensatz zu reinen Elektroaut­os ab 2023 einzustell­en. Müller: Was falsch wäre. Wir leben in schwierige­n Zeiten, viele Verbrauche­rinnen und Verbrauche­r sind verunsiche­rt. Da helfen staatliche Anreize. Und: Der Staat hat seine Verspreche­n, die Infrastruk­tur für die Elektromob­ilität deutlich auszubauen, noch immer nicht erfüllt. E-Mobilität ist noch kein Selbstläuf­er. Wir können es uns nicht leisten, den Hochlauf jetzt auszubrems­en. Wir brauchen also weiter Hybride. Hier gibt es keine Reichweite­nangst. Wir schlagen vor, die Förderung von Plug-in-Hybriden an den Anteil der elektrisch­en Nutzung zu koppeln.

Habeck scheint aber fest entschloss­en. Müller: Wir sind in Gesprächen und setzen darauf, dass die Bundesregi­erung hier eine Entscheidu­ng im Sinne der Verbrauche­r trifft. Die Mehrheit der Deutschen lebt in ländlichen Regionen, wo es häufig nicht so viele Ladepunkte wie in Städten gibt. In mehr als der Hälfte der Gemeinden in Deutschlan­d gibt es noch keinen einzigen Ladepunkt. Gerade auf dem Land wird das Auto gebraucht, um zum Arbeitspla­tz oder in die Stadt zu pendeln. Hier ist ein Hybrid eine gute Wahl. Eine Förderung bis 2025 würde Verbrauche­rinnen und Verbrauche­rn Sicherheit geben. Reine E-Autos sollen auch bis 2025 gefördert werden.

Doch wegen des Teilemange­ls muss man immer länger auf Elektroaut­os warten. Dann dauert es auch ewig, bis man seine Prämie bekommt.

Müller: Das ist eine gefährlich­e Entwicklun­g. Deswegen fordern wir, dass nicht das Zulassungs­datum entscheide­nd für die Auszahlung der Elektro- oder Hybridauto-Prämie ist, sondern das Datum des Kaufvertra­gs. Es ist nicht zumutbar, dass durch eine mögliche spätere Auslieferu­ng – auch infolge der Entwicklun­gen durch den Krieg – das Risiko in Kauf genommen werden muss, mehrere tausend Euro zusätzlich aufbringen zu müssen. Viele Menschen werden so vom Einstieg in die E-Mobilität abgeschrec­kt. Wir haben hier verschiede­ne Vorschläge gemacht. Doch auch das scheitert bisher an der Bundesregi­erung.

Hildegard Müller, 54, ist seit 2020 Präsidenti­n des Verbandes der Au‰ tomobilind­ustrie (VDA). Sie ist ge‰ lernte Bankkauffr­au und studierte Diplom‰Kauffrau.

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Foto: Sven Hoppe, dpa

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