„China macht uns Sorgen“
Interview Hildegard Müller ist Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie. Durch die Lockdowns in China und fehlende Zulieferteile sieht sie die Branche in Deutschland zusätzlich unter Druck. Was die Bundesregierung nun tun muss.
Müller, erhöht der Überfall Russlands auf die Ukraine den Druck auf Deutschland, noch schneller auf Elektromobilität umzusteigen? Hildegard Müller: Der Krieg in der Ukraine hält uns den Spiegel vor Augen: Wir dürfen bei unseren Anstrengungen für mehr Klimaschutz, auf dem Weg von fossilen zu erneuerbaren Energien nicht nachlassen – im Gegenteil: Wir müssen die Ärmel noch höher krempeln. Der Ausbau der erneuerbaren Energien ist dabei entscheidend: Wir müssen jetzt eine planvolle Energie-Außenpolitik betreiben.
Was heißt das konkret?
Müller: Wir müssen offensiver weltweit mit Ländern Energie-Partnerschaften schließen und uns damit Zugang zu erneuerbaren Energien verschaffen. Mit in Deutschland erzeugter Wind- und Solarenergie allein werden wir die Energiewende nicht stemmen. Außerdem muss eine funktionierende WasserstoffWirtschaft schnellstmöglich realisiert werden. Wir brauchen zudem eine Rohstoff-Außenpolitik, um ausreichend Rohstoffe unter anderem für die Elektromobilität zur Verfügung zu haben. Diese Energieund Rohstoff-Außenpolitik sichert Jobs, lässt neue entstehen und hilft Menschen und Unternehmen, die großen Herausforderungen, wie beispielsweise die Umstellung von Verbrennerauf Elektromotoren, erfolgreich zu meistern.
Schaffen wir den Kraftakt?
Müller: Das kann gelingen, wenn wir es in Zukunft vermeiden, von einzelnen Ländern zu abhängig zu sein, was bestimmte Rohstoffe betrifft. Das ist eine Lehre aus unserer noch immer zu großen Abhängigkeit von russischem Gas. Als Autoindustrie stehen wir hier ausdrücklich hinter der Bundesregierung, die sich dagegen entschieden hat, zu schnell russisches Gas abzubestellen: Das würde Deutschland und Europa mehr als Russland schädigen. Natürlich ist es jetzt wichtig, dass russisches Gas durch Lieferungen aus anderen Ländern ersetzt wird. Dabei dürfen wir aber nicht den enormen alternativen Bedarf an erneuerbarer Energie aus den Augen verlieren.
Was muss die Bundesregierung hier jetzt anpacken?
Müller: Der Wettbewerb ist groß, international werden die Märkte für erneuerbare Energien aktuell noch viel zu oft ohne Deutschland verteilt. Nordafrika bietet unendliches Potenzial durch riesige Solar- oder auch Windparks. Die Regierung muss hier jetzt schnell handeln. Was Rohstoffe betrifft, gilt gleiches für Südamerika. Die Partnerschaften sind übrigens auch zum Wohl der exportierenden Länder und sorgen auch dort für Wachstum und Wohlstand. Die Globalisierung ist nicht gescheitert, sondern, was Energie und Rohstoffe betrifft, wichtiger und entscheidender denn je. Russlands Bruch des Völkerrechts macht die Zusammenarbeit mit anderen Ländern nötiger denn je.
Doch drohen uns Wohlstandsverluste? Müller: Die Autoindustrie spürt die negativen wirtschaftlichen Auswirkungen des Krieges in der Ukraine. Seit Jahresbeginn wurden 1,1 Millionen Pkw in Deutschland produziert, zwölf Prozent weniger als im Vergleichszeitraum des Vorjahres, das aufgrund der Corona-Pandemie ein bereits schwaches Jahr war. Das Wiederaufflackern von Corona in China mit daraus folgenden Lockdowns setzt unserer Branche natürlich zusätzlich zu, Zulieferteile werden nun verspätet geliefert, weil Häfen geschlossen sind. China macht uns also Sorgen. Deswegen haben wir unsere Prognose zurückgenommen: Jetzt gehen wir nur noch von 2,75 Millionen Neuzulassungen aus.
Trotz aller Widrigkeiten treibt die deutsche Autoindustrie den Wandel von Verbrenner- zu Elektroautos voFrau ran. Und immer mehr Bürgerinnen und Bürger greifen zu.
Müller: Die Autoindustrie treibt die Transformation entschlossen voran – gleichzeitig ist es noch ein langer Weg, bis im Jahr 2030 nach dem Plan der Bundesregierung 15 Millionen Elektroautos auf deutschen Straßen unterwegs sein sollen. Um das zu erreichen, müsste ab heute etwa jedes zweite neu zugelassene Auto ein Elektroauto sein.
Der Ausbau der Infrastruktur für Elektroautos hält aber nach wie vor bei weitem nicht mit den ehrgeizigen Plänen der Bundesregierung Schritt. Müller: Leider geht die Schere zwischen Ladepunkten für E-Autos und zugelassenen Fahrzeugen immer mehr auseinander. Damit sind wir nicht zufrieden. Wöchentlich müssten etwa 2000 neue Ladepunkte in Deutschland entstehen, es sind aber derzeit nur rund 300. Das macht mir Sorgen. Denn wir brauchen bis 2030 eine Million solcher Ladepunkte allein im öffentlichen Raum.
Doch Ladepunkte allein reichen nicht, damit die Verkehrswende wirklich ein Erfolg wird.
Müller: Die Energieversorger müssen parallel dafür sorgen, dass die Netze ausreichende Kapazität haben. Ich spreche etwa mit Verantwortlichen von Wohnungsbau-Gesellschaften, die in Tiefgaragen Lademöglichkeiten anbieten wollen, doch daran scheitern, dass die Energieversorger bislang keinen ausreichenden Netzanschluss für solche Wohnanlagen geplant haben. Das Thema ist also derart komplex, dass die Politik alle Bereiche immer mitdenken muss. Wir brauchen Kümmerer für die Elektromobilität.
Was muss die Politik zudem tun, damit sich Bürgerinnen und Bürger Elektroautos und deren Betrieb leisten können?
Müller: Die Bundesregierung muss beispielsweise Steuern, Abgaben und Umlagen senken. All das verteuert nämlich in Deutschland erheblich den Strompreis, der im internationalen Vergleich zu hoch ist.
Auf Ihrer Wunschliste an die Politik steht das Thema „Plug-in-Hybride“, Autos, bei denen der Verbrenner- mit einem Elektromotor kombiniert wird. Müller: Diese Plug-in-Hybride vereinen das Beste aus zwei Welten und sind ideal für den Einstieg in die Elektromobilität, gerade auch weil die Ladeinfrastruktur noch immer unzureichend ausgebaut ist. Ich fahre selbst einen Hybrid.
Hildegard Müller ist die Stimme der deutschen Autoindustrie.
Doch Wirtschaftsminister Habeck überlegt laut, die Förderung von Plugin-Hybriden im Gegensatz zu reinen Elektroautos ab 2023 einzustellen. Müller: Was falsch wäre. Wir leben in schwierigen Zeiten, viele Verbraucherinnen und Verbraucher sind verunsichert. Da helfen staatliche Anreize. Und: Der Staat hat seine Versprechen, die Infrastruktur für die Elektromobilität deutlich auszubauen, noch immer nicht erfüllt. E-Mobilität ist noch kein Selbstläufer. Wir können es uns nicht leisten, den Hochlauf jetzt auszubremsen. Wir brauchen also weiter Hybride. Hier gibt es keine Reichweitenangst. Wir schlagen vor, die Förderung von Plug-in-Hybriden an den Anteil der elektrischen Nutzung zu koppeln.
Habeck scheint aber fest entschlossen. Müller: Wir sind in Gesprächen und setzen darauf, dass die Bundesregierung hier eine Entscheidung im Sinne der Verbraucher trifft. Die Mehrheit der Deutschen lebt in ländlichen Regionen, wo es häufig nicht so viele Ladepunkte wie in Städten gibt. In mehr als der Hälfte der Gemeinden in Deutschland gibt es noch keinen einzigen Ladepunkt. Gerade auf dem Land wird das Auto gebraucht, um zum Arbeitsplatz oder in die Stadt zu pendeln. Hier ist ein Hybrid eine gute Wahl. Eine Förderung bis 2025 würde Verbraucherinnen und Verbrauchern Sicherheit geben. Reine E-Autos sollen auch bis 2025 gefördert werden.
Doch wegen des Teilemangels muss man immer länger auf Elektroautos warten. Dann dauert es auch ewig, bis man seine Prämie bekommt.
Müller: Das ist eine gefährliche Entwicklung. Deswegen fordern wir, dass nicht das Zulassungsdatum entscheidend für die Auszahlung der Elektro- oder Hybridauto-Prämie ist, sondern das Datum des Kaufvertrags. Es ist nicht zumutbar, dass durch eine mögliche spätere Auslieferung – auch infolge der Entwicklungen durch den Krieg – das Risiko in Kauf genommen werden muss, mehrere tausend Euro zusätzlich aufbringen zu müssen. Viele Menschen werden so vom Einstieg in die E-Mobilität abgeschreckt. Wir haben hier verschiedene Vorschläge gemacht. Doch auch das scheitert bisher an der Bundesregierung.
Hildegard Müller, 54, ist seit 2020 Präsidentin des Verbandes der Au tomobilindustrie (VDA). Sie ist ge lernte Bankkauffrau und studierte DiplomKauffrau.