„Das Haus ist schon sehr auf Kante genäht“
Interview Kathrin Mädler verlässt zum Ende der Spielzeit das Landestheater Schwaben. Ein Umbruch steht in Memmingen an. Die scheidende Intendantin zieht nicht nur ein Resümee, sie weist auch auf finanzielle Gefahren hin.
Frau Mädler, ihre letzte Spielzeit am Landestheater Schwaben in Memmingen geht bald zu Ende, die letzte große Premiere fand eben statt. Wie fühlt sich das nun an?
Kathrin Mädler: Ich bin schon wehmütig. Es ist immer so, dass nach Weihnachten die Spielzeit wie im Flug vergeht. In diesem Jahr gleich doppelt so schnell.
Sie müssen schon länger doppelt planen als Intendantin, noch für Memmingen, aber auch schon für das Schauspiel in Oberhausen.
Mädler: So ist es, seit über einem Jahr schon. In Memmingen haben wir schon die neuen Kollegen begrüßt, die ihren Spielplan verkündet haben. Die Übergänge greifen ineinander. Das ist eine hoch emotionale, arbeitsame, aufregende Zeit. Und ich finde es gleichermaßen wichtig, dass man einen guten, runden Abschluss findet.
Haben Sie schon Zeit gefunden, für sich ein Resümee unter sechs Jahre in Memmingen zu ziehen?
Mädler: In dieser aufregenden Zeit kommt das zu kurz. Für unser Publikum gestalten wir aber noch einen Abschlussabend. Auch ein großer Teil des Ensembles wird sich von Memmingen verabschieden, viele kommen mit mir nach Oberhausen. Wir wollen zum Abschied Szenen aus sechs Jahren zeigen.
Wie haben Sie Ihr Publikum in den sechs Jahren erlebt?
Mädler: Mir kommt es so vor, als ob wir einen gemeinsamen Weg zurückgelegt haben. Man sagt das immer so, aber in diesem Fall war es eine gemeinsame Beziehung. In dieser Intensität hätte ich das nicht erwartet. Wir haben sehr viel Neues ausprobiert, auch aktuelle Themen auf die Bühne gebracht, Uraufführungen. Die Menschen haben das herzlich aufgenommen und waren immer zum Austausch bereit und haben uns ihre Herzen geschenkt. Dafür bin ich wahnsinnig dankbar.
Sie verlassen Memmingen, eine Stadt mit 44.000 Einwohnern. Viel näher und intimer kann Stadttheater nicht sein?
Mädler: Das ist ein Schatz in dieser Stadt. Die Größe des Hauses, des Ensembles, aller eigenen Gewerke – das ist für eine Stadt von der Größe Memmingens außergewöhnlich. Das Theater wird geschätzt, auch von der Politik. Neben dem sehr engen Kontakt zu unserem Publikum hatten wir auch einen sehr engen Kontakt mit anderen Akteuren der Stadt. Das Theater spielt in der Stadtgesellschaft eine wichtige Rolle. Wir konnten Themen setzen und uns am zivilgesellschaftlichen Leben stark beteiligen.
In einer Stadt wie Nürnberg, wo Sie zuvor waren, ist das anders?
Mädler: Ganz anders. Da ist man ein Akteur unter vielen. Es gibt eine unüberschaubare Zahl von Diskursen. Das ist in Memmingen anders. Was wir gemacht haben, hatte eine höhere Wirksamkeit, das ist eine große Qualität der Kleinstadt.
Könnten Sie ein Beispiel nennen, wie Ihr Theater ein Thema in der Stadt gesetzt oder einen Diskurs angestoßen hat?
Mädler: Zum Beispiel „Nebel im August“, da gab es eine enge Zusammenarbeit in der Stadt, aber auch regional. Es ging um die Morde in der Pflege- und Heilanstalt in Irsee, die Robert Domes in seinem Buch beschrieben hat. Wir haben das von John von Düffel für die Bühne bearbeiten lassen. Am Ende hatten wir das Gefühl, dass wir nicht nur mit vielen Institutionen zusammengearbeitet haben, sondern dass das auch bei den Menschen ankam.
Sie sind auch mit der AfD aneinandergeraten.
Mädler:
Richtig. Wir haben „Ein deutsches Mädchen“auf die Bühne gebracht, diese Neonazi Aussteiger Biografie von Heidi Benneckenstein. Das hat die AfD auf den Plan gebracht. Im Bezirkstag haben sie den Antrag eingebracht, dass unser Programm zu politisch sei. Woraufhin wir allerdings sehr viel Rückenwind vom Bezirkstag bekommen haben für die Freiheit der Kunst und natürlich auch die Freiheit, unser Programm zu bestimmen.
Welche Erfahrung hätten Sie in Ihrer zeit in Memmingen lieber nicht gemacht?
Mädler: Es ist jetzt ein bisschen langweilig, wenn ich sage: Corona. Aber mir wären die sechs Jahre ohne die Pandemie und die Einschränkungen lieber gewesen. Das hat uns an den Theatern zermürbt.
Vorbei ist es ja immer noch nicht. Mädler: Ehrlich gesagt hat es in den letzten drei Monate die meisten Erkrankungen gegeben, was bei uns immer dazu führt, dass wir umbesetzen müssen. Dazu gab es immer die Angst, dass wir gar nicht spielen können.
Wie schätzen Sie die finanziellen Auswirkungen der Pandemie ein?
Mädler: Das ist jetzt ein heikler Punkt für die Kultur. Denn jetzt muss man entscheiden, wie es mit der Förderung weitergeht. Auf uns kommen Ausgabensteigerungen aufgrund des höheren Mindestlohns zu. Gerade am Landestheater sind Steigerungen der Gagen dringend nötig, da muss man wirklich was tun. Das Haus ist schon sehr auf Kante genäht, etwa was die Besetzung der Stellen in den Gewerken angeht, da findet sich oft nur eine Person. Das Haus bewegt sich immer am Rand der Überforderung. Für Kürzungen gibt es null Spielraum.
Wenn Sie den Blick auf das Kommende richten, ist das ja Kulturschock pur. Sie kommen aus dem Allgäu in den Ruhrpott, aus der Kleinstadt an die Großstadt.
Mädler: Das stimmt. Das ist Ruhrpott pur. Aber ich freue mich total auf die Region, auf das Kontrastprogramm.
Tut Ihnen das gut als Künstlerin und Intendantin?
Mädler: Auf jeden Fall wird das große Inspiration sein.
Wie gehen Sie da jetzt ran? Sie können ja nicht das Gleiche machen wie in Memmingen?
Mädler: Natürlich bringen wir unser Verständnis, was wir mit Theater erreichen wollen, mit. Aber dann treten wir mit unserer Kunst ja auch in einen Austausch. Wir müssen jetzt herausfinden, was für Themen, Interessen, Temperaturen in der Stadt und Region herrschen.
Wie lange dauert so ein Kennenlernen? Sie planen ja jetzt von Memmingen aus.
Mädler: Mit dem ersten Spielplan nehmen wir die Fährte auf. Das ist eine These. Wenn wir dann im ersten Jahr unseren zweiten Spielplan vorbereiten, fängt das Kennenlernen, das Aufeinanderzugehen an. Dann entstehen spezifische Projekte, eigene Farben, in dem, was man macht und wie man sich entwickelt. Ich erhoffe mir neue Impulse, ein Wachsen durch das, was wir in der Stadt und mit den Menschen dort erleben.
Welches Thema werden Sie in Ihrer ersten Oberhauser Spielzeit setzen? Mädler: Bei der Planung war der Ukraine-Krieg noch nicht ausgebrochen, hat sich die Zeitenwende noch nicht so deutlich abgezeichnet. Aber wir hatten das Gefühl, uns in einer wahnsinnig porösen, brüchigen und beängstigenden Zeit zu befinden. Unser Ansatz ist: Wie finden wir uns darin als Gemeinschaft? Wie schaffen wir es, miteinander eine Zukunft zu entwickeln? Durch den Kriegsausbruch hat sich die Akzentuierung noch einmal verschoben. Das wird auch in Inszenierungen zu sehen sein.
Gibt es Stücke direkt zum Krieg? Mädler: Wir helfen geflüchteten Künstlerinnen und Künstlern, schauen, ob es Möglichkeiten von Gastspielen und Auftritten für sie gibt. Das machen wir natürlich. Aber ich bin vorsichtig, den Ukraine-Krieg ganz konkret in Stücken zu verarbeiten. Theater ist eine Gegenwartskunst, ganz klar. Aber wir müssen immer aufpassen, dass wir jetzt nicht aus der eigenen Betroffenheit heraus Schnellschuss-Aktionen machen, die der Komplexität und Dramatik der Lage nicht gerecht werden und sich dann arrogant draufsetzen würden.
Kathrin Mädler, geboren 1976 in Osnabrück, hat 2016 die Leitung des Landestheaters Schwaben über nommen. Am 25. Juni steigt in Memmingen das Abschiedsfest: „Von Herzen – Liebesszenen aus sechs Jahren Memmingen“.