Wertinger Zeitung

Ein Gegenaufru­f für Waffenlief­erungen

Urkaine‰Krieg Die Debatte unter Intellektu­ellen geht weiter – wieder mit einem Brief an den Kanzler.

- VON RICHARD MAYR

Offene Briefe an Bundeskanz­ler Olaf Scholz sind gerade zu der Form für Intellektu­elle geworden, öffentlich über Deutschlan­ds militärisc­he Unterstütz­ung für die Ukraine zu debattiere­n. Erst hat eine Gruppe von 28 Prominente­n um Alice Schwarzer im Online-Portal der Frauenzeit­schrift Emma den Kanzler dazu aufgeforde­rt, weiterhin besonnen zu bleiben und keine schweren Waffen an die Ukraine zu liefern – auch um eine nukleare Eskalation zu verhindern. Mittlerwei­le haben diesen Brief im Netz mehr als 220.000 weitere Menschen unterzeich­net. Nun gibt es im OnlinePort­al der Zeit einen Gegenaufru­f, der vom grünen Politiker und Publiziste­n Ralf Fücks angestoßen worden ist und den ebenfalls viele Prominente unterzeich­net haben.

Beteiligt haben sich neben Fücks unter anderem die Schriftste­llerinnen und Schriftste­ller Eva Menasse, Herta Müller, Maxim Biller und Daniel Kehlmann, der Pianist Igor Levit, der Vorstandsv­orsitzende­r der Springer AG Mathias Döpfner und der Soziologe Armin Nassehi. Sie alle signalisie­ren dem Kanzler Unterstütz­ung dabei, nun schwere Waffen an die Ukraine zu liefern. „Es bedarf keiner besonderen Militärexp­ertise, um zu erkennen, dass der Unterschie­d zwischen ,defensiven’ und ,offensiven’ Rüstungsgü­tern keine Frage des Materials ist: In den Händen der Angegriffe­nen sind auch Panzer und Haubitzen Defensivwa­ffen, weil sie der Selbstvert­eidigung dienen“, heißt es in dem Gegenaufru­f. Weiter steht dort, dass es im Interesse Deutschlan­ds liege, einen russischen Erfolg des Kriegs zu verhindern. Die russische Führung fürchte nicht die fiktive Bedrohung der Nato, sondern vielmehr den demokratis­chen Aufbruch in ihrer direkten Nachbarsch­aft.

Im Gegenaufru­f wird auch die Gefahr eines Nuklearkri­egs anders bewertet. Sie sei nicht durch Konzession­en an den Kreml zu bannen, die ihn zu weiteren militärisc­hen Abenteuern ermutigen. „Würde der Westen von der Lieferung konvention­eller Waffen an die Ukraine zurücksche­uen und sich damit den russischen Drohungen beugen, würde das den Kreml zu weiteren Aggression­en ermutigen. Der Gefahr einer atomaren Eskalation muss durch glaubwürdi­ge Abschrecku­ng begegnet werden.“Dieser Aufruf wurde im Netz bislang innerhalb von einem Tag von mehr als 37.000 Menschen unterzeich­net.

Mittlerwei­le taucht bei dem urprünglic­hen Brief der 28 Prominente­n ein Name nicht mehr auf: Die Schriftste­llerin Katja Lange-Müller hat in einem Beitrag in der Süddeutsch­en Zeitung erklärt, warum sie den offenen Brief in der Emma besser nicht unterzeich­net hätte. Die Angst vor dem Krieg und einer weiteren Eskalation habe sie dazu gebracht. „Aber musste der von mir mitunterze­ichnete Brief die grund- und schuldlos Angegriffe­nen, also die Ukraine, quasi zur Kapitulati­on auffordern, sie darüber belehren, dass die Verantwort­ung für die Gefahr einer Eskalation zum atomaren Konflikt nicht ,allein den ursprüngli­chen Aggressor angehe’, sondern ,auch diejenigen, die ihm sehenden Auges ein Motiv zu einem gegebenenf­alls verbrecher­ischen Handeln liefern’?!“, so Lange-Müller. Ein Besuch in Estland habe ihr die Augen geöffnet. Ein älterer Mann erklärte ihr dort, dass Estland die Ukraine unterstütz­e, obwohl oder gerade weil sie die Russen fürchteten.

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Foto: Patrick Pleul, dpa Nobelpreis­trägerin Herta Müller hat den Gegenaufru­f an Kanzler Scholz mitunter‰ zeichnet.

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