Von der Lust, sich überwältigen zu lassen
Es ist eine Fähigkeit, die Sportfans perfektioniert haben. Für sie stellt es kein Problem dar, die Ebene der Vernunft sauber von emotionalen Beweggründen zu trennen. In Paarbeziehungen bedingt diese nur schwer zu ziehende Trennlinie mitunter Tränen, gescheiterte Ehen, persönliches Unglück.
Kein neutraler Fußballfan aber wird die überwältigenden Minuten am Mittwochabend als Unglück empfinden. Da spielte mit Real Madrid jene Mannschaft, die sich über Jahrzehnte hinweg einen schurkenhaften Ruf erarbeitet hatte, und wer vor dem Fernseher saß, ließ sich trotzdem bedingungslos von der Wucht des Augenblicks fesseln.
Sergio Ramos prägte über Jahre das Bild Reals. Ebenso imposant an Leistungsbereitschaft wie an ungezügelter Gemeinheit. Präsident Florentino Perez initiierte im vergangenen Jahr die Super League, wollte sich von den nationalen Wettbewerben abkapseln und in einer geschlossenen Gesellschaft jene Milliarden Euro erlösen, die eine derartige Mannschaft als Unterhalt benötigt. Das Konstrukt scheiterte an leidenschaftlich protestierenden Fans. Vorerst. Perez hält den elitären Zirkel weiterhin für erstrebenswert. All das: egal.
Wer sein Herz dem Fußball anvertraut hat, verfolgte trotzdem fasziniert, wie jenes Meisterwerk in den Schlussminuten entstand, das schon jetzt als moderner Klassiker zu gelten hat. Der unstrukturierte Heldenfußball Madrids setzte sich gegen den fein (mit Milliarden aus Abu Dhabi) komponierten Kader Manchester Citys in einem wahnwitzigen Spektakel durch.
Kein Moment war logische Voraussetzung für den kommenden Moment. Stattdessen: ein vor Energie strotzendes Chaos. Während sich die Engländer darin verloren, packten die Madrilenen die sich kreuzenden und wieder verlierenden Stränge aus Erfahrungen und Chancen und bündelten sie zu Einzigartigem. Die Anti-Helden hatten Wundervolles geleistet – und niemand störte sich daran. Fußballfans wurden belohnt für ihre außergewöhnliche Gabe.