Wertinger Zeitung

„Er will dahin zurück, wo er war“

Radsport Hinter Emanuel Buchmann liegen harte Jahre. Jetzt will er beim Giro d’Italia zeigen, dass wieder mit ihm zu rechnen ist – auch wenn die Vorbereitu­ng „nicht perfekt“war.

- VON RUBEN STARK

Augsburg Am legendären Col du Tourmalet änderte sich für Emanuel Buchmann vieles. Als der Ravensburg­er vor drei Jahren den Stars der Szene eindrucksv­oll die Stirn bot, ja, sie bisweilen sogar abschüttel­te, war er endgültig in der Rundfahrer­elite angekommen. Der Pyrenäen-Riese wurde quasi sein Erweckungs­berg auf dem Weg zum vierten Gesamtrang bei der Tour de France.

Seither sucht der 29-Jährige dieses Gefühl, diesen Flow, der ihn scheinbar so spielerisc­h leicht über die Giganten des Hochgebirg­es trug, der aber auch Erwartunge­n schürte. An diesem Freitag startet Buchmann beim Giro d’Italia den nächsten Versuch, zu finden, was aus unterschie­dlichen Gründen verloren ging. „Er will dahin zurück, wo er war“, sagte sein Bora-hansgroheT­eamchef Ralph Denk unserer Redaktion. „2019“, ergänzte Denk, „war ein Traum, da war er auf TopNiveau, da ist alles glatt gelaufen.“

Danach eben nicht mehr. 2020 stürzte Buchmann beim letzten großen Test für die Tour und war körperlich zu angeschlag­en für Heldentate­n. Vergangene­s Jahr hatte er schon einmal den Kampf um das Maglia Rosa zu seinem Highlight erhoben, war auch lange bestens unterwegs, bis ihn ein erneuter Crash auf Platz sechs liegend aus dem Rennen nahm. Und nun? Selbstzwei­fel? Kann Buchmann diese Erinnerung­en abstreifen wie einen Rucksack, den man nicht mehr benötigt?

Klar, versichert Denk: „Das belastet ihn nicht groß.“Und Ex-Profi Rolf Aldag, der seit dieser Saison bei Bora die sportliche Leitung innehat, unterstrei­cht, dass Buchmann mit Rückschläg­en gut umgehen könne. „Er ist kein großer Zweifler, er ruht in sich und geht seinen Weg“, sagte der 53-Jährige. Und dieser Weg soll Buchmann nun im Idealfall aufs Podium einer dreiwöchig­en Rundfahrt bringen. „Ich möchte erst mal schauen, wie ich reinkomme“, sagte er selbst, „man wird erst im Rennen sehen, wie gut ich wirklich bin.“

Akribisch hat sich der Oberschwab­e dafür vorbereite­t, war insgesamt vier Wochen im Höhentrain­ingslager in der Sierra Nevada. Nichts sollte ihn ablenken, nichts sollte ihn abbringen von seinen Plänen. Dann aber kam im Frühjahr wie bei so vielen Profis eine Erkrankung, die etwas Substanz kostete. Aldag bezeichnet­e die Rückkehr grippaler Infekte im Peloton insgesamt als „massiv“. Kombiniert mit Coronafäll­en und den im Radsport obligatori­schen Sturzverle­tzungen eine Mischung, die Teams an den Rand ihrer Möglichkei­ten brachte. Bei Bora waren bis Ende März über zwei Drittel der Profis von Krankheit oder Verletzung betroffen und selbst Monumente wie Paris-Roubaix konnten nur mit einem Rumpfkader absolviert werden. So ist eben auch für Buchmann der Weg zur Italien-Rundfahrt „nicht perfekt“(Aldag) gewesen.

Da jedoch die Giro-Entscheidu­ng wohl erst in der dritten RundfahrtW­oche fällt, muss die (noch) fehlende absolute Top-Form nicht unbedingt ein Nachteil sein. „Jeder Tag, an dem ein Klassement­fahrer nicht hinfällt, keinen Platten hat und keine Zeit verliert, ist ein guter Tag“, beschrieb Aldag, denn das Finale um die golden geschwunge­ne Trofeo Senza Fine sei „so schwer. Dass Emu in Panik verfällt, kann ich mir nicht vorstellen, selbst wenn er mal eine Minute verliert.“

Es ist die Ruhe, die immer wieder Thema wird, wenn es um den besten deutschen Kletterer geht. Die Ruhe, die ihn auf dem Rad auszeichne­t und die Ruhe, beinahe Zurückhalt­ung, die er auch öffentlich verkörpert.

„Emu ist kein Supertalen­t, er ist ein ganz harter Arbeiter und manchmal zu ruhig nach außen. Aber ich mag das auch, er ist halt nicht die Rampensau“, sagte Denk schmunzeln­d. „Ich weiß, dass er wahnsinnig viel für den Giro investiert hat. Er wird abliefern, davon bin ich überzeugt.“

Und ganz allein muss Buchmann die Verantwort­ung auch nicht schultern. Neben Buchmann bekommen der Niederländ­er Wilco Kelderman und der Australier Jai Hindley eine Kapitänsro­lle im BoraAufgeb­ot, zu dem ebenfalls der frühere Tour-Etappensie­ger Lennard Kämna gehört. Ein Führungs-Dreigestir­n, in dem jeder so seine Malaise hatte in den zurücklieg­enden Wochen – Kelderman einen Sturz, Hindley wie Buchmann eine Erkrankung. Es sei „taktisch ein Vorteil“, meinte der Deutsche. „Es nimmt auch etwas Druck.“

Die Konstellat­ion könnte sich aber schon unmittelba­r nach dem Ungarn-Ausflug mit Start in Budapest ändern. Die vierte Etappe führt auf Sizilien an den Flanken des Ätna hinauf. „Da kannst du schon die Schuhe verlieren“, meinte Aldag. Buchmanns sitzen diesmal hoffentlic­h bis zum Ziel am 29. Mai in Verona ganz fest auf dem Pedal.

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Foto: Bernd Thissen, dpa Vor drei Jahren fuhrt Emanuel Buchmann auf den vierten Platz der Tour de France. Jetzt will er in Italien an diesen Erfolg anknüpfen.

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