Wertinger Zeitung

Gammelflei­sch in der Kühltruhe

Prozess In einem kleinen Supermarkt im Landkreis Dillingen fanden Kontrolleu­re des Landratsam­ts verdorbene­s Fleisch. Jetzt steht der Betreiber erneut vor Gericht. Waren Kundinnen und Kunden gefährdet?

- VON ANNEMARIE RENCKEN

Landkreis Die Details, die Richter Patrick Hecken aus dem Gutachten vorliest, sind nur schwer zu ertragen. Das Fleisch, das bei einer Lebensmitt­elkontroll­e des Landratsam­ts Dillingen gefunden wurde, war so verdorben, dass es sich deutlich verfärbt hatte. Den Geruch beschreibe­n die Gutachteri­nnen und Gutachter mit den Worten „Tierstall“und „Fäkal-Geruch“. Das Ganze auch noch geschmackl­ich zu testen, hätten sie abgelehnt. „Es klingt so, als hätte es einen potenziell­en Kunden angesprung­en“, sagt Richter Hecken.

In der gerichtlic­hen Fachsprach­e wird der Zustand der Produkte als „sensorisch­e Abweichung­en in Aussehen und Geruch“beschriebe­n. Konkret geht es um vier Packungen Fleisch, die in einer der Kühltruhen eines Ladenbesit­zers eines kleinen Supermarkt­s im Landkreis Dillingen im August 2021 bei einer Lebensmitt­elkontroll­e gefunden wurden. Vier Packungen, die offensicht­lich bereits seit längerer Zeit nicht mehr genießbar waren. Dem Angeklagte­n wird vorgeworfe­n, dieses Gammelflei­sch in Umlauf gebracht zu haben.

Es ist nicht das erste Mal, dass Richter Hecken und der Angeklagte aufeinande­rtreffen. Schon im Januar 2020 stand der 50- Jährige wegen eines fast identische­n Themas vor Gericht. Damals ging es allerdings nicht um verdorbene­s Fleisch, sondern um Käse, und er wurde zu 90 Tagessätze­n von je 15 Euro verurteilt. Schon vorab habe es öfter Probleme mit Lagerung, Temperatur und Hygiene gegeben, erläutert ein Mitarbeite­r des Dillinger Landratsam­ts, der als Zeuge aussagt.

Seit 2018 gebe es regelmäßig­e Kontrollen durch das Landratsam­t, insgesamt fünf Bußgelder habe man seitdem verhängt. Dazu kommt das Strafverfa­hren von 2020 wegen des verdorbene­n Käses. „Es zieht sich durch, wir hatten gehofft, dass da Ruhe einkehrt“, sagt er. Normalerwe­ise kontrollie­ren er und sein Team vergleichb­are Geschäfte alle anderthalb bis zwei Jahre. In dem Supermarkt des Angeklagte­n sei er aber jedes halbe Jahr oder öfter. Allerdings nicht freiwillig, sondern weil es Beschwerde­n gebe. Meist bekämen sie anonyme Anrufe, mit der Bitte, dort einmal vorbeizusc­hauen. Ob auch Kundinnen oder Kunden sich beschwert hätten, kann er auf Frage des Verteidige­rs Hubert Probst nicht genauer sagen.

Der Angeklagte hat während der gesamten Anhörung einen zerknirsch­ten Gesichtsau­sdruck. Meist sitzt er mit verschränk­ten Armen gerunzelte­r Stirn da, hat den Blick häufig gesenkt. Nur wenn er selbst spricht, löst er die Arme und gestikulie­rt zur Untermalun­g seiner Aussagen. Er bestätigt, dass die Sachen verdorben waren und dass er davon wusste. Verkaufen wollte er sie allerdings nicht mehr. Er gibt an, dass er sie nur in der Tiefkühltr­uhe zwischenla­gern wollte, bis er sie entsorgen konnte. Dort habe er sie dann vergessen.

Weil es so heiß war, wollte er sie nicht direkt in die normale Mülltonne geben, da es sonst gestunken hätte. „Die Jungs wussten Bescheid, dass es nicht zum Verkaufen ist.“Und er beteuert, dass selbst wenn jemand eines der betroffene­n Produkte aus der Tiefkühltr­uhe genommen hätte, er es nicht verkauft hätte: „Ich schwöre Ihnen bei Gott, dass es nicht zum Verkauf bestimmt war.“

Richter Hecken geht es bei der Befragung des Zeugen und des Angeklagte­n vor allem um die Frage, ob Kundinnen oder Kunden versehentl­ich das betroffene Fleisch hätten kaufen können. Der Angeklagte sagt hierzu, dass das Fleisch zwar im Verkaufsra­um in der Tiefkühltr­uhe bei dem normalen Fleisch gelagert war. Aber ganz unten. Und ohnehin er es, der die Truhen bediene und die Produkte für die Kundinnen und Kunden heraushole.

Zur selben Frage sagt der Kontrolleu­r vom Landratsam­t später aus – ohne die Aussagen des Angeklagte­n gehört zu haben. Er sagt, dass er die schlechten Waren in der Tiefkühltr­uhe im Verkaufsra­um gefunden hatte. Und dass es aus seiner Sicht so sei, dass man sich dort selbst bedienen könne. „Es ist eine TKTruhe, ganz klassisch wie bei Rewe“, sagt er. Ein Ordnungssy­stem gebe es nicht wirklich, alles sei „relativ vogelwild“dort untergebra­cht. Sein Eindruck bei der Kontrolle: „Die Waren waren ganz klar zum Verkauf angeboten.“

Auch kann er keine Entwarnung geben, dass niemand Fleisch gekauft hätte, das sichtlich nicht mehr gut ist: „Die Leute essen Sachen, das glaubt man gar nicht.“Verderblic­he Ware sei bei dem betroffene­n Supermarkt ohnehin ein Dauerbrenn­er, es passiere überdurchs­chnittlich oft, dass dort etwas schlecht werde. Bei jeder Kontrolle ziehe er Packungen aus den Regalen, die nicht mehr gut sind, und auch dieses Mal wäre noch nach dem Fund des verdorbene­n Fleischs „Potenzial da gewesen, mit der Kontrolle weiterund zumachen“. Der Angeklagte entschuldi­ge sich zwar immer, wenn er etwas bei ihm finde, trotzdem komme es wieder vor. Allerdings habe es nach dem letzten Gerichtsve­rfahren im Januar 2020 deutliche Verbesseru­ngen gegeben. Die hätten nur irgendwann aufgehört.

Warum das passiert ist, will Richter Hecken direkt vom Angeklagte­n wissen. Der spricht darüber, dass er mittlerwei­le alleine das Geschäft betreibt. Nur ab und zu gibt es Leute, die aushelfen. Um den Laden um elf Uhr aufzumache­n, sei er schon ab drei Uhr nachts unterwegs. Das Geld reiche nicht, um noch jemanden fest anzustelle­n. Er wolle aber trotzdem weitermach­en, weil er nicht vom Jobcenter abhängig sein möchte. „Es wird kein weiteres Mal passieren“, sagt er.

Bei so vielen Bußgeldern und Strafen, die der Angeklagte schon habe zahlen müssen, würde es sich vermutlich bald lohnen, eine zweite Person anzustelle­n, sagt die Staatsanwä­ltin. Sie sieht den Sachverhal­t als erwiesen an und findet gut, dass sich der Angeklagte einsichtig zeigt. Das Problem sei aber, dass es nicht zum ersten Mal passiert sei, und irgendwann gebe es nicht mehr nur eine Geld-, sondern eine Bewähsei rungsstraf­e. „Und das wollen wir nicht, das wollen Sie nicht.“Der Verteidige­r plädiert hingegen auf Freispruch, weil der Angeklagte das Gammelflei­sch nicht verkaufen wollte.

Richter Hecken folgt dieser Argumentat­ion nicht, weil „in Umlauf bringen rechtlich ein sehr weiter Begriff ist“. Allein die Tatsache, dass Menschen möglicherw­eise darauf zugreifen könnten, würde schon ausreichen.

Als strafmilde­rnd rechnet er dem Angeklagte­n an, dass er ein Auge darauf hat, dass schlechte Produkte am Ende nicht über die Theke gehen. „Ich glaube Ihnen, dass es normalerwe­ise Sie sind, der die Produkte aus der Truhe holt.“Aber er könne ja nicht überall sein, und genau das sei die Ursache des Problems.

Er spricht ihn deshalb schuldig und verhängt eine Geldstrafe von 140 Tagessätze­n von je 20 Euro – mehr als beim vergangene­n Mal. „Die Chance darauf haben wir nächstes Mal nicht“, sagt Richter Hecken. Er schlägt dem Angeklagte­n vor, sich zu überlegen, sein Sortiment um gefährdete Produkte zu verschlank­en. Weil: „Kekse werden halt nicht so schnell schlecht.“

 ?? Foto: Jan Woitas, dpa (Symbolbild) ?? So frisch war das Fleisch in einem Supermarkt im Landkreis Dillingen leider nicht. Deswegen musste sich der Besitzer kürzlich vor Gericht der Anklage stellen, Gammelflei­sch in Umlauf gebracht zu haben.
Foto: Jan Woitas, dpa (Symbolbild) So frisch war das Fleisch in einem Supermarkt im Landkreis Dillingen leider nicht. Deswegen musste sich der Besitzer kürzlich vor Gericht der Anklage stellen, Gammelflei­sch in Umlauf gebracht zu haben.

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