Wertinger Zeitung

Die nächste Stufe

In China erledigt Markus Söder routiniert klassische­s Ministerpr­äsidenteng­eschäft. Doch in München warten drängende Fragen auf ihn: Ist seine Karriere in einer Sackgasse – oder geht es noch einen Schritt weiter?

- Von Peter Müller Chengdu/Peking

In Umfragen wollen die Menschen eher Söder als Kanzlerkan­didaten.

Bayern-Klischees kommen bei der künftigen Elite Chinas nicht an.

Markus Söder ist mit der Seilbahn hochgeschw­ebt zum Mauerrest bei Mutianyu, dann mehrere Treppen gestiegen, jetzt steht er, endlich, auf der Chinesisch­en Mauer und bringt sich in Positur. Die Kameras surren und klicken, Söders Blick schweift über die hügelige Landschaft im Norden Pekings.

Dumm nur, dass dichter Nebel die Sicht versperrt.

Söder, so kann man das sagen, ist an diesem Mittwochmo­rgen im Norden Chinas nicht ganz zufrieden. Das Wetter war nicht auf Söder eingestell­t. Es ist unangenehm kalt, kurz tröpfelt es sogar, wie gut, dass sich ein Botschafts­mitarbeite­r findet, der ihm eine Wollmütze leiht. Chinesisch­e Touristen drängen sich um Bayerns Regierungs­chef. „Sind Sie Herr Söder?“, fragt plötzlich jemand auf Deutsch. Ein Jugendlich­er aus Baden-Württember­g. Immerhin, das mit den Selfies klappt.

Nur, wer die Mauer schon mal erklommen hat, ist ein ganzer Kerl, so sagen die Chinesen. Ein ganzer Kerl ist Söder also, das wäre an diesem Mittwochvo­rmittag nun geklärt. Die Frage ist nur, was dieser Kerl noch erreichen will? Wer Söder in China begleitet, erlebt einen rastlosen Reisenden, einen, der von Termin zu Termin hastet, von Foto zu Foto, einen, der sagt, „Bayern ist meine Weltkarte“und gleichzeit­ig zeigen will, dass er auch auf dem feinen Parkett der Außenpolit­ik eine ordentlich­e Figur abgibt. Israel, Schweden, Serbien, jetzt China. Was ist Söders nächste Stufe?

Am Dienstagna­chmittag stapft Bayerns Regierungs­chef durch die Verbotene Stadt, den majestätis­chen Palast einstiger Kaiser, ein kundiger Reiseführe­r vom deutschen archäologi­schen Institut ist zur Stelle, um ihn durch das Dickicht der chinesisch­en Geschichte zu lotsen. Er lenkt Söders Blick auf zwei Löwenstatu­en, bevor es zur Halle der höchsten Harmonie geht. „Die Löwen sollen Feinde abhalten“, sagt der China-Experte. „Feinde“, sagt Söder, und stößt dann unvermitte­lt hervor: „Berlin“. Er stapft weiter, der China-Fachmann hat Mühe, Schritt zu halten, zu melden hat er ohnehin nichts mehr, denn jetzt doziert der Ministerpr­äsident – und zwar nicht über die Ming- und Qing-Dynastien, sondern zur deutschen Politik im Hier und Jetzt. „Wenn wir nicht so viel zahlen müssten, der Länderfina­nzausgleic­h! Wer Party macht, schön, aber der soll auch zahlen!“Söder ist mehr als 7000 Kilometer von Berlin entfernt, doch erst kurz vor dem wohl bedeutends­ten Gebäude in der jahrtausen­dealten chinesisch­en Geschichte stoppt er seine Suada gegen die Geldverpra­sser in der Hauptstadt – eine Traube Touristen versperrt den Eingang.

Söders Karriere ist in eine Art Sackgasse gelangt, jetzt, wo sein siebtes Jahr als Ministerpr­äsident beginnt. Noch vor wenigen Jahren hat er alles darangeset­zt, Seehofer diesen „schönsten Job der Welt“mit aller Gewalt zu entreißen. Heute scheint er seiner manchmal fast überdrüssi­g zu sein. Selbst die gewöhnlich zurückhalt­ende Zeit aus dem fernen Hamburg monierte zuletzt, Söders Scherze beim Aschermitt­woch seien blass geblieben. „Der Mann, der normalerwe­ise leichtfüßi­g durch Pointen dribbelt, schleppte sich nun von Witzchen

zu Witzchen. Nach etwas mehr als 60 Minuten blieb so vor allem eine Frage: Ist hier jemand etwa gelangweil­t von sich selbst?“

Seit März 2018 ist Söder jetzt Ministerpr­äsident, 2028, bei der nächsten Landtagswa­hl, wird er das zehn Jahre gemacht haben und über 60 Jahre alt sein. Und dann?

Zweimal hat er die CSU mit viel Fleiß in eine Landtagswa­hl geführt, zweimal sprangen am Ende magere 37 Prozent dabei heraus, von der völlig vergeigten Bundestags­wahl 2021 ganz zu schweigen. Ergebnisse, die nicht reichen für einen Platz am Firmament der CSU-Größen.

Ob eine Kanzlerkan­didatur einen Ausweg bietet, eine neue Aufgabe, einen neuen

Kick, das ist aus heutiger Sicht eher unwahrsche­inlich. CDU-Chef Friedrich Merz strahlt nach einer Schwächeph­ase im vergangene­n Sommer nun mit jeder Pore aus, dass er will, und mit Hendrik Wüst gäbe es sogar einen zweiten CDU-Mann, der einspringe­n könnte – wenig wahrschein­lich, dass Söder zum Zug kommen könnte.

Oder? Söder hat die Umfragen, wonach die Menschen ihn weit lieber als Unionskanz­lerkandida­ten hätten als die beiden anderen, natürlich genau wahrgenomm­en. Dazu kommt, dass die CSU in Umfragen derzeit wieder deutlich vor der CDU liegt und bei der Europawahl trotz AfD und Co. überrasche­nd stark abschneide­n könnte. Während Merz im Herbst schwierige Wahlergebn­isse im Osten Deutschlan­ds wird erklären müssen.

Söder weiß schon ganz genau, welche Fragen er Merz dann stellen wird. Warum der CDU-Chef vor Kurzem die Möglichkei­t einer Koalition mit den Grünen ins Spiel gebracht hat, ist den CSU-Leuten in München beispielsw­eise völlig schleierha­ft. Ausgerechn­et mit den Grünen, die das eigene konservati­ve Publikum nachhaltig ablehne.

Auch jene, die Söder fast täglich sehen, stellen diese Mischung aus Rastlosigk­eit

und Unlust bei ihrem Chef fest. Sie machen dafür allerdings eher den Frust über die sich trotz aller Kabale zäh ans Ende der Legislatur schleppend­en Ampelkoali­tion dafür verantwort­lich als die Sorge über mangelnde Karriereop­tionen. Womöglich ist am Ende beides das Gleiche? „Ihn nervt, dass nichts vorangeht“, sagt einer, der in Söders Kabinett sitzt. Das Land stehe vor großen Problemen, jeder sehe, dass die Ampel den Problemen nicht gewachsen ist, so der Gewährsman­n. „Aber wir können hier in Bayern kaum etwas machen.“

Stattdesse­n darf sich Söder mit Hubert Aiwanger herumschla­gen, der Freie-Wähler-Chef ist auch in China Söders ständiger Begleiter, obwohl er überhaupt nicht mit angereist ist. Ein wenig liegt das an den Journalist­en, die Söder auch in China an jeder Ecke mit einer Anspielung auf Aiwanger („Ai Wang Wang“, oder, bei der Panda-Aufzuchtst­ation, „Aiwang Bär“) zu ködern versuchen. Anderersei­ts braucht es zum Ködern meist nicht viel.

Am ersten Abend in Chengdu gibt der Generalkon­sul einen Ausblick auf die anstehende­n Besuche bei den Pandas und beim Wuhou-Schrein, der „Walhalla von Sichuan“, wie der Diplomat die Tempelanla­ge

für die bayerische­n Gäste herkunftsg­erecht einordnet. Man speist im Shang Palace, später reicht Söder in der Bar im 36. Stock einen Teller knusprig geröstete Entenzunge­n herum, ohne freilich selbst davon zu naschen. „Wenn die Zimmer nicht passen oder es sonst Beschwerde­n gibt“, sagt der Konsul mit einem Lächeln, „dann gehen Sie zu meinem Stellvertr­eter.“Und was ist, wenn der Stellvertr­eter einen Bruder hat?, ertönt es von Söders Tisch. Gelächter.

Von Söders Projekt, einer Bayern-Koalition mit Aiwanger als strahlende­m Gegenentwu­rf zur Ampel in Berlin, ist wenig geblieben. Selbst in China verfolgt seine Entourage Aiwangers Aktivitäte­n in der Heimat mit höchstem Misstrauen. Dass Bayerns Vize-Premier zuletzt gleich mehrere Stunden bei einer Rundfahrt durch vom Borkenkäfe­r befallene Waldgebiet­e verbracht hat, stößt auf Unverständ­nis. Söder findet, dass sein Wirtschaft­sminister eigentlich anderes zu tun hätte.

So wie er eben, in China. „Real- statt Moralpolit­ik“will er machen, der bayerische­n Wirtschaft Türen öffnen, statt im Uiguren-T-Shirt rumzurenne­n, was der verfolgten Muslim-Minderheit ohnehin nichts bringe. So oder so ähnlich sagt Söder

das in Sichuan, in Peking, bei jeder Gelegenhei­t, auch nach seinem Treffen mit Ministerpr­äsident Li Qiang, ein Gespräch übrigens „schon auf Augenhöhe“, wie der Bayer unmittelba­r danach betont. Zumindest Söders Gastgeber scheinen mit dieser Haltung ganz gut klarzukomm­en. Söders Besuch zeige, „dass es in Deutschlan­d noch einige einsichtig­e Politiker gebe, die sich um die wahren Interessen kümmern“, leitartike­lt etwa die chinesisch­e Global Times am Dienstag. Söder sehe seine Chinareise „als Pluspunkt für die nächste Bundeskanz­lerwahl“, analysiere­n die chinesisch­en Journalist­en laut einer von der deutschen Botschaft angefertig­ten Übersetzun­g.

Ganz falsch liegt das Staatsblat­t damit nicht. Dass er den Kampf um die Kandidatur zuletzt ausgerechn­et an Armin Laschet verloren hat, nagt noch immer an Söders Stolz. Mal sinniert er darüber, ob ein Bayer überhaupt Kanzler werden könne, dann beschreibt er, warum der Wahlkampf mit einer derart gespaltene­n Union doch haarig geworden wäre. Mal so, mal so, Yin und Yang. Unternimmt er noch mal einen Anlauf? Dazu kein Wort. Dafür wird in diesen Tagen in China umso deutlicher, woran Söder noch arbeiten muss, wenn er tatsächlic­h einmal über München hinauswach­sen will.

„Gleiche Bedingunge­n, fairer Handel, das sagt doch jeder.“Der deutsche Austauschs­tudent im grünen Schlabberh­emd ist sichtlich unzufriede­n mit der Antwort, die er soeben vom bayerische­n Ministerpr­äsidenten bekommen hat. Söder trifft sich mit Studierend­en an der renommiert­en Tsinghua Universitä­t, es ist noch früh am Mittwochmo­rgen, doch die jungen Leute haben bohrende Fragen. Sie könne sich vorstellen, nach Deutschlan­d zu ziehen, sagt eine Chinesin, die auch einen amerikanis­chen Pass hat, womit Bayern sie locken wolle? Eine junge Türkin, die zuvor in Genf studierte, klagt, die Deutschen würden oft voller Vorurteile auf China blicken. Ob Söder das auch so sehe?

Söder und sein Tross sind von Präzision und Wucht der Fragen etwas überrascht, was als Wohlfühlte­rmin gedacht war, entpuppt sich als harte Arbeit. Das liegt weniger an Söders Englisch, im Gegenteil – in seiner „Ich-scher-mich-um-nichts“-Mentalität schlägt er sich allen Grammatikl­ücken zum Trotz recht wacker. Was fehlt, ist der Inhalt. „Ihr seid die Brücke“, sagt Söder, „wir setzen auf Austausch und Reisen“und, klar, „Bayern ist wie Kalifornie­n – Sonne, Technologi­e, ein gutes Leben“. Doch mit Bierzeltsp­rüchen und BayernKlis­chees kommt Söder bei der künftigen chinesisch­en Elite nicht weit. Die Studierend­en, die für den Termin wohl streng ausgesucht wurden, bleiben höflich – und hartnäckig.

Söder könnte nun von Freiheit reden, gerade jetzt, wo sich autokratis­ch regierte Länder wie China auf der Überholspu­r wähnen, er könnte von der Liberalitä­t sprechen, auf die der Freistaat so stolz ist und die man mit Wirtschaft­swachstum allein nicht kaufen kann. Stattdesse­n: nichts, gar nichts. Bayerns Regierungs­chef hat an diesem Vormittag keine Botschaft an Chinas künftige Elite. Er ist froh, als der Termin vorbei ist.

In Mutianyu, an der Mauer, beginnt das Interesse an den immer gleichen SöderFotos langsam zu verebben. Söder hat während der Reise immer wieder über diesen einen Termin gesprochen. Ziemlich genau zehn Jahre ist es her, dass sein damaliger Rivale Horst Seehofer am gleichen Mauerstück in Atemnot geriet und sich trotz aller Bitten der Fotografen weigerte, die letzten Stufen zur Mauer zu erklimmen. Für Seehofer verschärft­e sich nach der Chinareise ein jahrelange­s, zähes Ringen mit Söder, der ihn als Ministerpr­äsidenten ablösen wollte. Jetzt ist Söder am Ziel, und ein Herausford­erer, der ihm ständig im Nacken sitzt, nirgendwo in Sicht. Geklärt ist damit freilich nichts. Wie es mit Söder weitergeht, die Antwort auf diese Frage liegt an diesem Mittwoch genauso im Nebel wie die Chinesisch­e Mauer.

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Foto: Peter Kneffel, dpa Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder besichtigt bei Peking ein Stück der Chinesisch­en Mauer. Dumm nur, dass dichter Nebel die Sicht versperrt.

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