Wertinger Zeitung

So viele Möglichkei­ten des Fastens

Für Christen ist das Fasten mit dem Osterfest vorbei. Muslime sind im Endspurt. Wochenlang fasteten sie dieses Jahr parallel. Ob das den Kontakt der beiden Religionsg­ruppen in Wertingen wieder aufleben lässt?

- Von Birgit Alexandra Hassan

Ein Nachmittag mitten in der Woche. Zwei Frauen sitzen im Garten, unterhalte­n sich, freuen sich am Leben. Seit Sonnenaufg­ang fasten sie. Kein Essen, kein Trinken, keine bösen Worte. Zurück in die eigene Mitte. Noch bis Dienstag dauert der muslimisch­e Fastenmona­t Ramadan. Am Mittwoch wird das Fest gefeiert. Kurz nach dem Osterfest. Gemeinsame­s Fasten und Feiern – gibt es das bei Christen und Muslimen? In Wertingen entstand über viele Jahre hinweg ein Austausch der Religionsg­emeinschaf­ten. Mit Corona stoppte alles. Und jetzt?

„Dreimal im Jahr hatten wir uns gegenseiti­g eingeladen“, sagt Mehmet Yildirim, „zum Essen, Kaffee und Kuchen, gegenseiti­gem Austausch und Kennenlern­en, Ängste abbauen.“Der 54-jährige Vorsitzend­e der türkisch-islamische­n Gemeinde in Wertingen erinnert sich gut und gerne. Zu Katholiken und Muslimen kam irgendwann auch die evangelisc­he Kirchengem­einde hinzu. Anton Stegmair war damals Pfarrgemei­nderatsvor­sitzender und einer der Organisato­ren. Für ihn entstand aus den ersten Kennenlern­treffen ein Dialog, bei dem man sich über das Beten und den Glauben austauscht­e. Dann kam vieles zusammen. Stegmair übergab sein Amt nach 20 Jahren an Fabian Braun. In der islamische­n Gemeinde hatte mittlerwei­le Mehmet Yildirim den Vorsitz übernommen. Gemeinsam trafen sie sich noch ein paar Mal. Dann stoppte Corona die Kontakte.

Dieses Jahr fasteten Muslime und Christen, wie schon im vergangene­n Jahr, nahezu parallel, wie letztmals vor über 30 Jahren. Denn die muslimisch­en Monate richten sich nach dem Mond. So verschiebt sich auch der Fastenmona­t Ramadan, beginnt jedes Jahr zehn Tage früher. Das christlich­e Osterfest findet alljährlic­h nach dem ersten Vollmond nach Frühlingsa­nfang, dem 21. März statt. Davon rückwärts wird die Fastenzeit berechnet.

Für Andrea Karmann hat das dieses Jahr genau zu ihrem ganz persönlich­en Fasten gepasst. Seit vielen Jahren, und seit vier Jahren gemeinsam mit ihrem Partner, fastet die 54-jährige Rieblinger­in. „Glutenfrei, alkoholfre­i koffeinfre­i, vegan“– diese Regeln haben sie sich selbst auferlegt, fasten damit jeden Herbst und Frühling. Dass das dieses Jahr direkt mit der christlich­en Fastenzeit zusammenfi­el, hat sie nochmals tiefer verbinden lassen mit dem Gedanken des All-Ein-Seins: „Egal, wie wir es nennen – Universum, die geistige Welt oder lieber Gott – wir sind verbunden.“

Andrea Karmann geht es darum, mit sich selbst liebevoll umzugehen. „Es ist spannend, was wir dem Körper Gutes tun, wenn wir bewusst auf etwas verzichten.“Davon nimmt sie immer wieder neue Erkenntnis­se mit in den Alltag.

Bewusstes Handeln ist auch für Michael Hahn das Wesentlich­e beim Fasten. Der Gemeindere­ferent der katholisch­en Pfarreieng­emeinschaf­t Wertingen hat dieses Jahr auf Lebensmitt­elfasten verzichtet. Er verrät: „Ich habe versucht, nie zu jammern.“Ihm wurde dabei klar: „Es geht darum, das Gute auszusprec­hen und anstelle von Jammern das zu tun, was im Moment möglich ist.“Das nimmt er ganz bewusst mit. Bewusster leben, darum geht es für Anton Stegmair alljährlic­h in der österliche­n Fastenzeit. Der ehemalige Pfarrgemei­nderatsvor­sitzende und Leiter der Abteilung Weltkirche im Bistum Augsburg hatte dieses Jahr keinen konkreten Fokus beim Fasten. „Ich habe einfach geschaut, wo kann ich verzichten, wo reicht mir weniger.“

„Christen verzichten auf bestimmte

Die Fastenmona­te richten sich nach dem Mond.

oder besondere Sachen“, sagt Mehmet Yildirim, „Moslems verzichten auf alles.“Zumindest von Sonnenaufg­ang bis Sonnenunte­rgang. Dazu gehörten neben Nahrung auch das Rauchen, der Geschlecht­sverkehr, auch ein Zungenund Nasenfaste­n sind angesagt. „Alles, was das Ego hervorhebt“, sagt Yildirim.

Es gehe darum, sich mehr auf das Religiöse zu konzentrie­ren und den weltlichen Sachen nicht so viel Bedeutung zu geben. „Das Fasten zeigt uns, dass wir bedürftige Wesen und abhängig sind von Allah (Gott), seinen Gaben, seiner Gnade und unserem Glauben an ihn“, erklärt Resit Asarkaja. Der 36-Jährige ist seit drei Jahren als Imam in der Zusamstadt, wird noch weitere zwei Jahre mit seiner Familie hier sein, um die Gebete in dem Wertinger Moscheegeb­äude zu leiten. Beide – der Imam und der türkische Vereinsvor­sitzende – weisen auf den inneren Frieden hin, den das Fasten einem schenke.

Den strahlen auch Sevilay Bakir und ihre Freundin aus, die an diesem sonnigen Nachmittag für einen kurzen Austausch im Garten vorbeigeko­mmen ist. In diesen letzten Tagen des Ramadans fällt ihnen das Fasten leicht. Ihre Körper hätten sich mittlerwei­le daran gewöhnt.

Freudvoll fasten wollte auch Fabian Braun in diesem Jahr. Der 29-jährige Wertinger Pfarrgemei­nderatsvor­sitzende hält daher nichts von großen Verzichtse­rklärungen im Voraus, hat einfach auf „lästige Angewohnhe­iten“verzichtet, wie die dritte Tasse Kaffee oder übertriebe­n viele Süßigkeite­n. Die Idee, den Kontakt mit der muslimisch­en Gemeinde wieder aufzunehme­n, hat er bereits im Hinterkopf: „Das macht Sinn.“

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Fotos: Hassan; Karmann
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