So viele Möglichkeiten des Fastens
Für Christen ist das Fasten mit dem Osterfest vorbei. Muslime sind im Endspurt. Wochenlang fasteten sie dieses Jahr parallel. Ob das den Kontakt der beiden Religionsgruppen in Wertingen wieder aufleben lässt?
Ein Nachmittag mitten in der Woche. Zwei Frauen sitzen im Garten, unterhalten sich, freuen sich am Leben. Seit Sonnenaufgang fasten sie. Kein Essen, kein Trinken, keine bösen Worte. Zurück in die eigene Mitte. Noch bis Dienstag dauert der muslimische Fastenmonat Ramadan. Am Mittwoch wird das Fest gefeiert. Kurz nach dem Osterfest. Gemeinsames Fasten und Feiern – gibt es das bei Christen und Muslimen? In Wertingen entstand über viele Jahre hinweg ein Austausch der Religionsgemeinschaften. Mit Corona stoppte alles. Und jetzt?
„Dreimal im Jahr hatten wir uns gegenseitig eingeladen“, sagt Mehmet Yildirim, „zum Essen, Kaffee und Kuchen, gegenseitigem Austausch und Kennenlernen, Ängste abbauen.“Der 54-jährige Vorsitzende der türkisch-islamischen Gemeinde in Wertingen erinnert sich gut und gerne. Zu Katholiken und Muslimen kam irgendwann auch die evangelische Kirchengemeinde hinzu. Anton Stegmair war damals Pfarrgemeinderatsvorsitzender und einer der Organisatoren. Für ihn entstand aus den ersten Kennenlerntreffen ein Dialog, bei dem man sich über das Beten und den Glauben austauschte. Dann kam vieles zusammen. Stegmair übergab sein Amt nach 20 Jahren an Fabian Braun. In der islamischen Gemeinde hatte mittlerweile Mehmet Yildirim den Vorsitz übernommen. Gemeinsam trafen sie sich noch ein paar Mal. Dann stoppte Corona die Kontakte.
Dieses Jahr fasteten Muslime und Christen, wie schon im vergangenen Jahr, nahezu parallel, wie letztmals vor über 30 Jahren. Denn die muslimischen Monate richten sich nach dem Mond. So verschiebt sich auch der Fastenmonat Ramadan, beginnt jedes Jahr zehn Tage früher. Das christliche Osterfest findet alljährlich nach dem ersten Vollmond nach Frühlingsanfang, dem 21. März statt. Davon rückwärts wird die Fastenzeit berechnet.
Für Andrea Karmann hat das dieses Jahr genau zu ihrem ganz persönlichen Fasten gepasst. Seit vielen Jahren, und seit vier Jahren gemeinsam mit ihrem Partner, fastet die 54-jährige Rieblingerin. „Glutenfrei, alkoholfrei koffeinfrei, vegan“– diese Regeln haben sie sich selbst auferlegt, fasten damit jeden Herbst und Frühling. Dass das dieses Jahr direkt mit der christlichen Fastenzeit zusammenfiel, hat sie nochmals tiefer verbinden lassen mit dem Gedanken des All-Ein-Seins: „Egal, wie wir es nennen – Universum, die geistige Welt oder lieber Gott – wir sind verbunden.“
Andrea Karmann geht es darum, mit sich selbst liebevoll umzugehen. „Es ist spannend, was wir dem Körper Gutes tun, wenn wir bewusst auf etwas verzichten.“Davon nimmt sie immer wieder neue Erkenntnisse mit in den Alltag.
Bewusstes Handeln ist auch für Michael Hahn das Wesentliche beim Fasten. Der Gemeindereferent der katholischen Pfarreiengemeinschaft Wertingen hat dieses Jahr auf Lebensmittelfasten verzichtet. Er verrät: „Ich habe versucht, nie zu jammern.“Ihm wurde dabei klar: „Es geht darum, das Gute auszusprechen und anstelle von Jammern das zu tun, was im Moment möglich ist.“Das nimmt er ganz bewusst mit. Bewusster leben, darum geht es für Anton Stegmair alljährlich in der österlichen Fastenzeit. Der ehemalige Pfarrgemeinderatsvorsitzende und Leiter der Abteilung Weltkirche im Bistum Augsburg hatte dieses Jahr keinen konkreten Fokus beim Fasten. „Ich habe einfach geschaut, wo kann ich verzichten, wo reicht mir weniger.“
„Christen verzichten auf bestimmte
Die Fastenmonate richten sich nach dem Mond.
oder besondere Sachen“, sagt Mehmet Yildirim, „Moslems verzichten auf alles.“Zumindest von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Dazu gehörten neben Nahrung auch das Rauchen, der Geschlechtsverkehr, auch ein Zungenund Nasenfasten sind angesagt. „Alles, was das Ego hervorhebt“, sagt Yildirim.
Es gehe darum, sich mehr auf das Religiöse zu konzentrieren und den weltlichen Sachen nicht so viel Bedeutung zu geben. „Das Fasten zeigt uns, dass wir bedürftige Wesen und abhängig sind von Allah (Gott), seinen Gaben, seiner Gnade und unserem Glauben an ihn“, erklärt Resit Asarkaja. Der 36-Jährige ist seit drei Jahren als Imam in der Zusamstadt, wird noch weitere zwei Jahre mit seiner Familie hier sein, um die Gebete in dem Wertinger Moscheegebäude zu leiten. Beide – der Imam und der türkische Vereinsvorsitzende – weisen auf den inneren Frieden hin, den das Fasten einem schenke.
Den strahlen auch Sevilay Bakir und ihre Freundin aus, die an diesem sonnigen Nachmittag für einen kurzen Austausch im Garten vorbeigekommen ist. In diesen letzten Tagen des Ramadans fällt ihnen das Fasten leicht. Ihre Körper hätten sich mittlerweile daran gewöhnt.
Freudvoll fasten wollte auch Fabian Braun in diesem Jahr. Der 29-jährige Wertinger Pfarrgemeinderatsvorsitzende hält daher nichts von großen Verzichtserklärungen im Voraus, hat einfach auf „lästige Angewohnheiten“verzichtet, wie die dritte Tasse Kaffee oder übertrieben viele Süßigkeiten. Die Idee, den Kontakt mit der muslimischen Gemeinde wieder aufzunehmen, hat er bereits im Hinterkopf: „Das macht Sinn.“