„Ich habe noch einen Wert für die Mannschaft“
Fußball: Als der FCA erstmals in der Europa League spielt, wechselt Jeffrey Gouweleeuw dorthin.
Dienstagmorgen. Die Spieler des FC Augsburg haben frei, ehe am Mittwoch die kurze, aber intensive Vorbereitung auf das Heimspiel gegen Union Berlin beginnt. Jeffrey Gouweleeuw ist dennoch da. Verletzt sei er nicht, meint der Niederländer, vielmehr die übliche Pflege. Gouweleeuw scherzt. Nach seinem Einsatz als Rechtsverteidiger hätte er die knetenden Hände der Physiotherapeuten diesmal nötiger als nach anderen Spielen. In Hoffenheim half Gouweleeuw als Außenverteidiger aus, nachdem keine Alternative mehr zur Verfügung gestanden hatte. Der Profi erinnert sich an die Anfänge seiner Karriere beim SC Heerenveen. Ein Trainer hätte damals zu ihm gesagt: Entweder er spiele auf der rechten Seite oder er sitze auf der Bank. Gouweleeuw lacht. „Ich hatte damals gesagt: Dann sitze ich auf der Bank.“Heute würde seine Antwort natürlich ganz anders ausfallen.
Jetzt ist Gouweleeuw 32 Jahre alt. In Hoffenheim befolgte er die Anweisungen seines Trainers, reihte sich als äußerstes Glied in die Viererkette ein und verbrachte dort das letzte Drittel der Spielzeit. Ein Grund dafür könnte sein Verhältnis zu Trainer Jess Thorup sein. Der Austausch mit ihm sei „sehr gut“, man rede viel miteinander. Der eine weiß, was er am anderen hat. Gouweleeuw genießt das Vertrauen der Verantwortlichen, nachdem seine persönliche Situation im Sommer noch eine ganz andere war. Allen voran Sport-Geschäftsführer Stefan Reuter und Trainer Enrico Maaßen glaubten, mit einer neuen Hierarchie jungen Spielern Entwicklungsspielraum zu ermöglichen. Gouweleeuws Vertrag,
der 2024 endete, sollte nicht verlängert werden. Der meinungsstarke Profi wiederum legte als Folge der angestrebten Trennung sein Kapitänsamt nieder.
Doch die extreme Verjüngung führte zu Misserfolg, Reuter und Maaßen sind Geschichte, Gouweleeuw wieder Abwehrchef. Im Januar hat der 32-Jährige seinen Vertrag bis Sommer 2025 verlängert. Erreicht er eine bestimmte Anzahl an Spielen, weitet sich der Kontrakt bis 2026 aus. Gouweleeuw möchte nicht verraten, wie oft er eingesetzt werden müsste. Er sei aber davon überzeugt, es zu schaffen. Seine Situation fasst er so zusammen: „Alles hat sich in kurzer Zeit um 180 Grad gedreht. Ich bin davon überzeugt, dass ich noch einen Wert habe und der Mannschaft helfen kann.“
Offiziell gehört der Niederländer nicht mehr dem Mannschaftsrat an, doch Thorup setzt auf seine Erfahrung. Erkundigt sich nach dessen Sicht. „Ich spüre die Wertschätzung“, betont Gouweleeuw. In Abwesenheit von Niklas Dorsch, Elvis Rexhbecaj und Ermedin Demirovic fungierte Gouweleeuw zuletzt als Ersatzkapitän. Gouweleeuw mit der Kapitänsbinde am Arm – der letzte Beweis, dass er seine alte Rolle wieder innehat.
Seit über acht Jahren steht der Niederländer in Augsburg unter Vertrag. Zum FCA kam er, als dieser in der Europa League die Höhepunkte seiner Vereinsgeschichte erlebte. Mitwirken durfte er in den K.-o.-Spielen gegen den FC Liverpool nicht, weil er in den vorangegangenen Gruppenspielen mit dem AZ Alkmaar noch gegen den FCA gespielt hatte. Nun könnte sich Geschichte wiederholen. Derzeit steht Augsburg punktgleich mit dem SC Freiburg und der TSG Hoffenheim (alle 36) auf Tabellenplatz sieben. Sollte Bayer Leverkusen den DFB-Pokal gewinnen, würde die Platzierung zur Teilnahme an der Conference League berechtigen.
Gouweleeuw ist der einzige Spieler im Kader, der mit dem FCA die Europa League erlebt hat. In den vergangenen Spielzeiten musste er fortwährend bis zum Schluss um den Klassenerhalt bangen, umso mehr freut er sich über diese ungewohnte Situation. Klub, Spieler und Trainer haben Ambitionen, öffentlich von Europa sprechen möchte noch niemand. Auch Gouweleeuw nicht. „Wir haben uns diese Ausgangslage erarbeitet und verdient, schauen aber weiter von Spiel zu Spiel. Jetzt ist Union Berlin im Fokus.“Die Niederlage gegen die TSG Hoffenheim (1:3) bedeutete einen Dämpfer. Gegen Union Berlin (Freitag, 20.30 Uhr/ DAZN) können die Augsburger nicht nur rechnerisch den Klassenerhalt perfekt machen, sie können
zugleich den Druck auf die Europapokal-Konkurrenten erhöhen und den Abstand zu Eintracht Frankfurt (6. Platz/42 Punkte) auf drei Punkte verringern. Entscheidend werde sein, sich auf die eigenen Stärken zu besinnen, so Gouweleeuw. „Dann können wir gegen Union drei Punkte holen.“
Zu Beginn der Saison fiel der Innenverteidiger wegen einer Sprunggelenkverletzung aus; seit dem fünften Spieltag stand er mit Ausnahme einer Gelb-Sperre in jedem Ligaspiel in der Startelf. Er sei topfit, fühle sich gut und möchte möglichst lange Fußball spielen, erzählt er. Konkrete Vorstellungen, was er anschließend beruflich machen wolle, habe er bislang nicht. Festgelegt hat er sich aber bei seinem Lebensmittelpunkt: Mit seiner Familie wird er in Augsburg bleiben. „Logisch wäre es auch, wenn ich hier meine Karriere beende“, sagt Gouweleeuw. Vor acht Monaten schien dies undenkbar.