Kann Paul Winter Ehrenbürger bleiben?
Seine dunkle Nazi-Vergangenheit holt den Neuburger Komponisten und Höchstädter Ehrenbürger ein. Er war die rechte Hand eines Kriegsverbrechers.
Es war ein feierlicher Festakt an jenem 7. April 1960 im Höchstädter Stadtrat. Der Komponist Paul Winter erhielt damals im alten Rathaus die Ehrenbürgerwürde der Stadt. Viele Zuhörer verfolgten den Festakt. „Der Sitzungssaal prangte in herrlichem Blumenschmuck und verlieh dem Festakt ein würdevolles Gepräge“, war vor fast sechseinhalb Jahrzehnten in unserer Zeitung zu lesen. Der damalige Bürgermeister Alfred Reiser betonte, dass die Ehrenbürgerschaft die höchste Auszeichnung darstelle, die eine Kommune zu vergeben habe. Paul Winter (1894 bis 1970), dessen Vater Hans Winter ein Höchstädter war, erhielt die Auszeichnung aus einem einzigen Grund: Er hatte 1954 das Heimatfestspiel „Rendezvous bei Höchstädt 1704“komponiert und es der Stadt zum Geschenk gemacht. Man sei sich darüber im Klaren gewesen, dass Höchstädt dieses Geschenk „nicht ohne eine gebührende Dankabstattung annehmen könne“, berichtete unsere Zeitung damals. Doch jetzt trüben die Schatten seiner Nazi-Vergangenheit Paul Winters Lebenswerk.
Denn der gebürtige Neuburger war in der Zeit des Nationalsozialismus nicht nur ein Mitläufer. Der Musiker stand im Oberkommando der Wehrmacht (OKW) an der Seite des Generalfeldmarschalls Wilhelm Keitel, der als einer der
Hauptkriegsverbrecher bei den Nürnberger Prozessen zum Tod durch den Strang verurteilt wurde. Wie unsere Zeitung in diesen Tagen berichtete, wurde Winter, der nicht NSDAP-Mitglied war, von Keitel in den Beurteilungen als „Nationalsozialist im Denken und Handeln“bezeichnet. Alle verbrecherischen Wehrmachtsbefehle sollen laut einer Dokumentation des promovierten Historikers Manfred Veit, von 2002 bis 2021 Heimatpfleger im Landkreis Neuburg-Schrobenhausen, über Winters Schreibtisch gegangen sein. Der gebürtige Neuburger war in dieser Zeit Büroleiter und Chef der Wehrmacht-Zentralabteilung (WZ).
In Neuburg an der Donau werden jetzt Stimmen laut, die eine Neubewertung des Lebenswerks von Paul Winter fordern. Dort tragen eine Realschule und eine Straße den Namen des Ehrenbürgers. Paul Winter hat zudem die Musik des Steckenreitertanzes komponiert – das Herzstück des Neuburger Schlossfestes. In Höchstädt wurde das umgearbeitete Festspiel „Rendezvous bei Höchstädt 1704“im Jahr 2004 anlässlich des 300. Jahrestags der Schlacht im Spanischen Erbfolgekrieg von der Kolpingsfamilie aufgeführt. Eine Straße ist in Höchstädt nicht nach dem Ehrenbürger benannt, teilt Bürgermeister Stephan Karg (CSU) auf Anfrage mit.
Die Stadt habe durch den Bericht in unserer Zeitung „erstmals von der vermeintlichen Beteiligung ihres Ehrenbürgers an völkerrechtswidrigen Befehlen während des Dritten Reichs in der Wehrmacht erfahren“, erläutert der Rathauschef. Neben Höchstädt habe auch Neuburg an der Donau Paul Winter die Ehrenbürgerschaft verliehen, der Komponist (unter anderem Olympiafanfare 1936, Festmusik „800 Jahre Stadt München“, „Festfanfare“zum Eucharistischen Weltkongress in München) habe auch den Bayerischen Verdienstorden und das Bundesverdienstkreuz erhalten, so Karg. Bislang sei Paul Winter durch die staatlichen Institutionen stets als „nicht NS-belastet“eingestuft worden, sagt der Bürgermeister. Die Stadtverwaltung habe Stadtheimatpfleger Leo Thomas damit beauftragt, die Hintergründe zur Verleihung der Ehrenbürgerwürde im städtischen Archiv zu recherchieren. Das weitere Vorgehen in diesem Zusammenhang werde mit der Stadt Neuburg abgestimmt. Bürgermeister Karg sagt: „Die Stadt Höchstädt befürwortet und unterstützt die Überprüfung des Lebens und Wirkens von Paul Winter durch das bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus, welche von der Stadt Neuburg an der Donau und dem Landkreises Neuburg-Schrobenhausen bereits angestoßen wurde.“In seiner Pressemitteilung spricht sich der CSU-Politiker ausdrücklich gegen jegliche Form von Faschismus und Extremismus aus. Karg will in der nächsten Stadtratssitzung über den aktuellen Sachstand berichten und dem Stadtrat „nach Abschluss der Ermittlungen“einen Entscheidungsvorschlag unterbreiten.
Paul Winters Festspiel „Rendezvous bei Höchstädt 1704“, das ins
Englische übersetzt wurde, sei 1954 gar nicht aufgeführt worden, informiert Stadtheimatpfleger Leo Thomas. Wie auf der Website der Höchstädter Kolpingsfamilie zu lesen ist, wurde das historische Theaterstück 1961 im Saal des Gasthauses Berg jeweils vor vollem Haus aufgeführt. 2004 arbeitete Hans Oebels von den städtischen Bühnen Augsburg Winters Festspiel zeitgemäß für die Kolpingbühne um. Das Stück „1704 – Liebe, Hass und große Schlachten“wurde schließlich unter großem Aufwand 14 Mal im Jubiläumsjahr in Höchstädt gespielt. Stadtheimatpfleger Thomas rät ebenfalls, vor einem Urteil abzuwarten, was die Untersuchungen zu Paul Winter ergeben. Der Stadtrat hatte am 14. Januar 1960 einstimmig den Beschluss gefasst, das Ehrenbürgerrecht an den Komponisten zu verleihen. „Diese Urkunde soll das äußere Zeichen der großen Dankbarkeit sein, die wir für Sie im Herzen tragen“, hieß es. Damit solle auch das angesehene Geschlecht Winter geehrt werden, das seit dem 16. Jahrhundert in Höchstädt verwurzelt sei. Paul Winters Vorfahren seien vornehmlich Bäckermeister und Stadthoboisten (Musiker) gewesen. In seiner Dankesrede wies Paul Winter im Übrigen auf „den wohl schwärzesten Tag in der Geschichte der Stadt Höchstädt“hin – den Kroateneinfall vom 15. August 1634. Einer der Vorfahren des Ehrenbürgers namens Hans wurde offensichtlich gefoltert, er habe damals den sogenannten Schwedentrunk eingeflößt bekommen.