Wie eine Gärtnerei für die Artenvielfalt kämpft
2500 verschiedene Pflanzen gibt es bei der Staudengärtnerei Gaißmayer. Manche sind Verkaufsschlager, andere kaum nachgefragt. Trotzdem würde der Chef sie nie aus dem Programm nehmen.
Mit spitzen Fingern zieht Daniel Pfeiffer an einem Pflanzenstielchen. Die Blätter daran sind so groß wie Stecknadelköpfe, die Wurzel kaum sichtbar. Das Pflänzchen stand eben noch in einem Blättchenmeer in einer Schale. „Darin säen wir unsere Pflanzen aus“, sagt Pfeiffer. Die Pflanze, die er in der Hand hält, ist Zimbelkraut. Gesehen hat das Gewächs wohl jeder schon einmal. Es ist ein Mauerblümchen, gedeiht an steilen Staudämmen und blüht zwischen Stadtmauer-Ziegeln. Was es nicht ist: eine typische Gärtnereipflanze wie Lavendel, Pfingstrose oder Sonnenhut. Und doch gibt es das Mauerblümchen in der Staudengärtnerei Gaißmayer bei Illertissen zu kaufen.
Deren Sortiment umfasst neben Gartenklassikern auch heimische Wildarten. Eine Besonderheit und ein Erfolgsfaktor. Seit 44 Jahren gibt es die Gärtnerei. Wenn man so will, ist sie ein Ort, der gegen das Artensterben anarbeitet. Das macht nicht nur das Zimbelkraut deutlich, es wird auch sichtbar, wenn der Gärtnerei-Chef über das Gelände führt.
Vor knapp vier Jahren hat Pfeiffer die Leitung der Gärtnerei übernommen. Dieter Gaißmayer hatte sie 1980 gegründet und von Anfang an die Vision, nicht nur Stauden zu verkaufen, sondern auch Wissen zu vermitteln. Etwas, das noch heute spürbar ist. „Als ich herkam, war ich beeindruckt von dem Wissen, das es im Unternehmen gab und gibt“, sagt Pfeiffer. Dass er kam, liegt etwa 18 Jahre zurück. Damals hatte er sein Biologiestudium abgebrochen. „Ich wollte etwas Praktischeres machen.“Also fing er an, für die Staudengärtnerei
zu arbeiten, machte seine Ausbildung und ist heute Chef von etwa 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Die meisten von ihnen, sagt Pfeiffer, kämen, weil sie etwas Sinnhaftes tun möchten.
In einem der ersten Gewächshäuser auf dem Rundgang geht der Gärtnerei-Chef in die Hocke. Zuvor hat er über die 40 Sorten Minze gesprochen, die es gibt und die sie verkaufen. Die Sprösslinge wachsen in diesem Gewächshaus. Ohne auf das Schild zu schauen, sagt Pfeiffer: „Das hier müsste die Verbene-Minze sein. Das lässt sich an der lanzettenartigen Blätterform erkennen.“Er reibt eines der Blätter zwischen den Fingern und sagt dann: „Genau, die hat einen zitronigen Duft.“Wie das namensgebende Eisenkraut.
Im Grunde, sagt Pfeiffer, machten sie nichts völlig anders als andere Staudengärtnereien. Aber manches eben schon. „Wir sind zum Beispiel bio-zertifiziert. Viele fragen mich: Warum macht ihr das? Das ergibt doch nur Sinn für Essen.“Pfeiffer findet das nicht. „Wir sind seit Kurzem auch komplett torffrei.“Eine große Diskussion unter Gärtnern und Naturschützern.
Pflanzenerden ist oft Torf beigemischt. Weil er Wasser speichert und den Wurzeln genug Luft gibt zum Wachsen, gilt er als gute Basis. Auch Pfeiffer sagt: „Er hat schon gute Eigenschaften.“Und viele Nachteile. Torf gibt es nur in Hochmooren. Um ihn abzubauen, müssen die Moore trockengelegt werden. Das setzt CO2 frei, das dort über Jahrhunderte gespeichert wurde, und beschleunigt das Artensterben, weil viele Pflanzen, Tiere und Insekten nur in diesen Mooren leben können. Naturschützer fordern seit Langem, auf Torf im Garten zu verzichten. „Laut Bio-Richtlinien dürften wir 30 Prozent Torf verwenden“, sagt Pfeiffer. „Aber wenn alle bei einem Drittel bleiben, hört es ja nie auf.“Deshalb haben sie experimentiert. „Wir sind dabei auch gescheitert. Erst gerade mussten wir feststellen, dass sich Hanffasern weniger gut eignen, als wir dachten.“
Es geht in den Schaugarten. Dort wachsen alle Pflanzen, die es bei Gaißmayer gibt. Zur Zucht. Aber auch, um Kundinnen und Kunden zu zeigen, wie die Pflanzen aussehen, wo sie gedeihen. „Und wir haben hier die Möglichkeit, alle Pflanzen zu beobachten. Welcher Standort ist richtig? Wie blüht sie? Das beschreiben wir so, wie es ist“, sagt Pfeiffer.
Der Weg führt vorbei an einem Tümpel, eine Ente watschelt vorbei. Auf der anderen Seite schillert ein Rosenkäfer in gelben Blüten. Insgesamt verkaufe die Gärtnerei etwa 2500 verschiedene Pflanzensorten und -arten, sagt Pfeiffer. Im Schaugarten wachsen rund 4000. „Manche verkaufen wir nicht mehr, andere testen wir aus.“Es gebe immer wieder neue Züchtungen. „Bevor wir die ins Programm aufnehmen, gucken wir, wie sie sind.“Unterscheiden sie sich von Sorten, die es schon gibt? Wie kommen sie mit welchen Bedingungen zurecht? „Bis wir dazu eine fundierte Aussage treffen können, dauert es.“
Viele der 2500 Pflanzen im Sortiment seien nicht stark nachgefragt. Würden sie rein wirtschaftlich denken, wären sie schon längst aus dem Programm gestrichen. „Aber das wollen wir nicht. Lieber verkaufen wir nur eine kleine Stückzahl, aber bewahren die Pflanze und das Wissen über sie“, sagt Pfeiffer.
Am hinteren Rand der Gärtnerei stehen Gewächshäuser zusammen. Hier werden Pflanzen verpackt und verschickt. Etwa 70 Prozent des Umsatzes macht die Gärtnerei mit Onlinehandel. Auf Rollwagen stehen Pflanzen in Kisten. Jede davon hat eine Nummer. Von dort kommen sie auf eine Band, Frauen polstern sie mit Stroh und Pappe und packen sie in Kartons. „Zwei Mal am Tag fährt der Post-Laster vor und holt die Waren ab“, sagt Pfeiffer.
Schon Ende der 90er-Jahre hätten sie mit dem Versandhandel begonnen – und sich bis heute behauptet. „Ich glaube, das liegt daran, dass wir viele Stammkunden haben. Die Menschen wissen, bei uns bekommen sie das, was draufsteht“, sagt Pfeiffer.
Daniel Pfeiffer, auch das wird bei diesem Besuch klar, ist kein radikaler Naturgarten-Verfechter. Aber Natur- und Artenschutz liegen ihm am Herzen.
Deshalb versuchen er und sein Team, den Kunden zu vermitteln, welche Pflanzen sie wohin setzen können, damit sie lange Freude daran haben. „Eine Pflanze muss nicht schön ausschauen, wenn man sie bei uns kauft. Sie muss im Garten schön werden“, sagt er zum Beispiel. „Ich hoffe, die Leute langweilen sich irgendwann in ihren steingrauen und rasengrünen Gärten. Dass sie den Wunsch nach etwas Schönem bekommen. Nach Farbe. Niemand muss damit anfangen, besonders wertvolle Pflanzen anzupflanzen. Sie sollen sich etwas aussuchen, dass ihnen gefällt und passt. Das ist doch immer noch besser als nur Rasen. Und nachhaltiger.“