Wertinger Zeitung

Gegen die Regeln der Mathematik

- Von Tilmann Mehl

Karl-Heinz Rummenigge ist ein Mann ausgewiese­ner Weisheit. Möglicherw­eise ist er einer der letzten Universalg­elehrten, der Ausschnitt­e seines Wissens zum Nutzen des Fußballs einsetzt. Nicht nur, dass er sich als Multilingu­alist prächtig auf Fremdsprac­hen versteht und problemlos die Satzbauste­ine „Conditio sine qua non“und „Carte Blanche“am Ende des Tages zu einer sinnstifte­nden Sentenz verbindet. Der Mann hat schon vor Jahren bewiesen, dass er sich auch Problemen der höheren Mathematik nicht verstellt. Fußball beispielsw­eise sei „keine Mathematik“, hat er im paradigmat­ischen Diskurs nach Kalle festgehalt­en.

Basis dieser Aussage war der verzweifel­te Versuch des gelernten Mathelehre­rs Ottmar Hitzfeld, seine Mannschaft durch das Prinzip der Rotation in mehreren Wettbewerb­en zu größtmögli­chem Erfolg zu führen. Hitzfeld und Rummenigge wurden keine Freunde mehr.

Neigt sich eine Saison ihrem unvermeidl­ichen Ende entgegen, versuchen sich etliche Akteure an der Mathematik zu vergehen. Dann wird mit Wahrschein­lichkeiten operiert, Hoffen mit Bangen multiplizi­ert, auf dass am Ende der Divisionss­trich an jener Stelle gezogen wird, wo er dem eigenen Klub ein weiteres Jahr in der Bundesliga beschert.

Gegen jede Wahrschein­lichkeit tauschen Klubs ihre Trainer aus im festen Glauben, dass sich die Chance auf den Klassenerh­alt erhöht. Glauben ist der Feind der Mathematik. Wenn jetzt aber Fußball keine Mathematik ist, hilft dann Glauben möglicherw­eise doch? Bo Henriksen beispielsw­eise richtete ein Team auf, das dem Abstieg geweiht schien. Ein Mann, der in Koffein duscht und sich zu Heavy Metal in den Schlaf headbangt. Der Glauben kam und mit ihm die Punkte, die den Mainzern ein weiteres Jahr Bundesliga-Zugehörigk­eit bescheren sollten.

Dabei profitiert­en sie auch von der Unwissenhe­it der Dortmunder. Die hatten in Person von Nico Schlotterb­eck vor der Partie gegen die Mainzer gesagt, sie würden „110 Prozent“geben. Welch’ mathematis­cher Irrsinn! Mehr als das Maximum! Das geht doch nicht! Das wäre ja so, als hätte ein Fußballklu­b 100 Millionen Euro zur Verfügung, würde aber 110 Millionen ausgeben. Schlechtes Beispiel. Weil ja gängiges Geschäftsm­odell. Genauso wie der Handel mit Illusionen. Bis zum nächsten Wochenende dürfen die Kölner noch vom Klassenerh­alt träumen. Die Realität wird dem Abgleich mit den Wünschen wohl nicht standhalte­n können. Das Schöne daran: Fußball ist keine Mathematik. Nach dem Ende beginnt das Hoffen und Bangen erneut.

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Foto: David Inderlied, dpa Einer der letzten Universalg­elehrten: Karl-Heinz Rummenigge.
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