Wertinger Zeitung

Ein guter Tag, um glücklich zu sein

In Berlin feiern 1100 Gäste mit dem Bundespräs­identen das 75-jährige Bestehen des Grundgeset­zes. Steinmeier wählt dabei auch nachdenkli­che Worte.

- Von Stefan Lange

Es war für die Gäste nicht so ganz klar, ob zum Staatsakt anlässlich des 75. Jahrestage­s der Grundgeset­z-Verkündung wie geplant das Protokoll oder am Ende doch die Natur Regie führte: Zu Beginn der Veranstalt­ung schwebten Fallschirm­springer vom Himmel, die Schirme waren in den Farben Europas und Deutschlan­ds gehalten – Europa landete zuerst, Deutschlan­d wurde Zweiter. Es wehte zu diesem Zeitpunkt ein ordentlich­er Wind in der Hauptstadt, womöglich brachte der den Ablauf ein wenig durcheinan­der. Zum Schluss setzte auch der Grundgeset­zSchirm sanft auf einer Wiese zwischen Spree und Reichstags­gebäude auf, in dessen Schatten sich 1100 Gäste aus Politik und Gesellscha­ft eingefunde­n hatten.

Für die Feierlichk­eiten war in den letzten Tagen unter freiem Himmel eine Plastikzel­tstadt aufgebaut worden. Weiß-blaue DixiToilet­ten konkurrier­ten zum Festakt mit dem Blau der Europaflag­ge und dem schwarz-rot-goldenen Kopfschmuc­k der Dragqueen Olivia Jones. Vielfalt sollte demonstrie­rt werden, junge Leute waren eingeladen, neben ihnen Altkanzler­in Angela Merkel und Vertreteri­nnen der Regierung mit Kanzler Olaf Scholz an der Spitze. Es war das Abbild der Gesellscha­ft, das Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier in seiner Rede zeichnete: „Eine starke Gesellscha­ft, die um den Wert der Freiheit weiß, die bereit ist, Bedrohunge­n der Freiheit entgegenzu­treten, und die Zusammenha­lt beweist.“Ein Zusammenha­lt, so das Staatsober­haupt, der auch Diskussion­en aushalten müsse, Streit womöglich, bei Themen etwa wie den „Formen des Wehrdienst­es und anderer Dienste für unser Gemeinwese­n“. Dabei werde es „in den nächsten Jahren nicht weniger Streit“geben, meinte Steinmeier, sondern eher mehr. „Der Kampf um finanziell­e Ressourcen wird härter werden, und damit auch um das, was uns wichtig ist.“Die Demokratie aber müsse stark sein, dies besonders deshalb, weil sie selbst unter Druck gerate. „Gerade jetzt erstarken auch bei uns Kräfte, die sie schwächen und aushöhlen wollen, die ihre Institutio­nen verachten und ihre Repräsenta­nten beschimpfe­n und verunglimp­fen“, sagte der Bundespräs­ident und mahnte: „Ja, unsere Demokratie ist geglückt. Auf ewig garantiert aber ist sie nicht.“Geschützt werde sie nicht von anderen. „Schützen können wir sie nur selbst.“

Das Grundgeset­z garantiere Freiheit und es erwarte Verantwort­ung, sagte Steinmeier. „Das ist das Verständni­s, das den Verfassung­stext durchzieht. Das Grundgeset­z schafft ein stabiles Gebäude, in dem die Menschen sich zunehmend zu Hause und aufgehoben fühlen konnten, in dem die Gesellscha­ft sich entwickeln und erneuern konnte.“Es sei das Modell für das friedliche Zusammenle­ben in einer Gesellscha­ft der Verschiede­nen. „Geschichts­bewusst, ja, aber zukunftsof­fen ganz genau so.“

Es dauert ein wenig, bis sich nach Innenminis­terin Nancy Faeser (SPD) auch alle anderen Gäste von ihren Plätzen erhoben, um Steinmeier im Stehen zu seiner gut halbstündi­gen Rede zu applaudier­en. Es folgte eine musikalisc­he Zeitreise mit den Schauspiel­erinnen Katharina Thalbach und Andreja Schneider sowie Christoph Israel am Klavier, ein Videofilm mit Stimmen aus der Bevölkerun­g, schließlic­h das von Entertaine­r Max Raabe und den Berliner Philharmon­ikern munter vorgetrage­ne „Guten Tag, liebes Glück“.

„Heute ist ein guter Tag, um glücklich zu sein“, singt Raabe in diesem von ihm komponiert­en Lied, dessen Zartheit gut zur abschließe­nden Nationalhy­mne passte. Es war das wohl beste Motto für diesen Staatsakt, der bei aller wohl unvermeidl­ichen Pathetik den Boden der Tatsachen nicht verließ.

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Foto: Michael Kappeler, dpa Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier während seiner Rede beim Staatsakt.

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