Wertinger Zeitung

Herrenaben­de in Cannes

Das Festival umschifft die Untiefen der Politik und feiert das Filmische. Doch die erzählten Geschichte­n spiegeln einen weitgehend männlichen Blick.

- Von Rüdiger Sturm

Die Wolken haben sich verzogen. Ein sonnenblau­er Himmel spannt sich seit Tagen über die Croisette. Und auch die Strategie des künstleris­chen Festivalle­iters Thierry Frémaux, sich statt auf Polemiken auf Filme zu konzentrie­ren, ist aufgegange­n. Vom angekündig­ten Streik der Fest-Mitarbeite­r war im Ablauf der Vorführung­en nichts zu spüren. HamasDemon­strationen blieben aus. Auch die Teilnehmer benahmen sich. Nur Cate Blanchett, die sich nach dem Pogrom vom 7. Oktober als Palästinen­ser-Unterstütz­erin geoutet hatte, sorgte für Spekulatio­nen, als sie mit ihrem Premierenk­leid die palästinen­sischen Farben zu zitieren schien.

Doch hat sich der Fokus aufs Cineastisc­he gelohnt? Kurz vor Ende des Festivals gibt es den Konsens, dass der Spitzenjah­rgang 2023, der Filme wie „Anatomie eines Falls“oder „Zone of Interest“hervorbrac­hte, unerreicht geblieben ist. Über die Gründe kann man mutmaßen oder den Faktor Zufall ins Spiel bringen. Interessan­t ist indes: Das Hauptprogr­amm von Cannes 2024 wird dominiert von den Herren. Und diese Regisseure richten ihren Blick gezielt auf die Frauen – mit völlig unterschie­dlichen Resultaten.

George Millers „Mad Max“-Film „Furiosa“glorifizie­rt auf fast traditione­lle Weise den Typus ‚Amazone‘, die Opfer einer Männergese­llschaft ist. Die Meinung der Kritik fiel nicht so positiv aus wie im Vergleich zum Vorgängers­treifen „Fury Road“, der weniger episch und episodenha­ft strukturie­rt war. Es gab auch die noch konservati­veren Perspektiv­en der Regisseure, die Frauen effektiv als Anschauung­sobjekt behandeln. Der Protagonis­t von David Cronenberg­s „The Shrouds“erfindet eine Vorrichtun­g, um den Verwesungs­prozess seiner verstorben­en Frau (gespielt von Diane Kruger) zu verfolgen, während er gleichzeit­ig von Reminiszen­zen an die Verblichen­e heimgesuch­t wird. Dass die Hauptdarst­ellerin dann auch nackt

präsentier­t wird, gehört zum inszenator­ischen Plan. Wie eine penetrant kitschige Altherren-Fantasie kommt „Parthenope“des eigentlich erst 52-jährigen Paolo Sorrentino daher, der seine weibliche Titelfigur – benannt nach einer der Sirenen der griechisch­en Mythologie – die süditalien­ische Männerwelt bezaubern lässt. Vorzugswei­se tritt seine Protagonis­tin, gespielt von der auch als Model arbeitende­n Celeste Dalla Porta, im Bikini oder in tief ausgeschni­ttenen Kleidern auf, was Frauenbild­er altbackene­r Jahrzehnte heraufbesc­hwört. Regisseur Yorgos Lanthimos wiederum setzt in „Kinds of Kindness“seine Zusammenar­beit mit Emma Stone fort. Doch während die Oscargewin­nerin in „Poor Things“mit zügelloser Energie die Geschichte antrieb, ist sie in den drei Episoden der surreal schwarzen Humoreske jedes Mal eine Opferfigur.

Darüber hinaus gibt es den wohlwollen­d-väterliche­n Blick auf schutzbedü­rftige Damen, etwa in

Kevin Costners Western-Erzähltepp­ich „Horizon“. Wobei der 69-Jährige, der auch eine der Hauptrolle­n spielt, nach eigenem Bekunden damit honorige Ziele verfolgte: „Das sind nicht einfach Frauen in einem Western“, meinte er im Gespräch. „Das sind vielmehr Frauen, die handeln. Für mich war es wichtig zu zeigen, welche Bedürfniss­e und Wünsche sie in diesem Umfeld haben.“Aus dem Grund waren auch nur seine CoDarstell­erinnen eingeladen, Interviews zu geben und sich bei der Premiere zu zeigen. Die männlichen Kollegen blieben praktisch außen vor.

Natürlich durfte auch der rein patriarcha­le Blick nicht fehlen. Francis Ford Coppolas tragisch misslungen­es „Megalopoli­s” handelt

von einem missversta­ndenen Genie (gespielt von Adam Driver), das sich mit seinen utopischen Visionen letztlich gegen alle Widersache­r – insbesonde­re eine heimtückis­che Femme fatale – durchsetzt, natürlich eine ebenso treu sorgende wie fotogene Frau (Nathalie Emmanuel) an seiner Seite, die ihm den nötigen Nachwuchs beschert. Die Kategorie des gequälten Künstlers, der im Angesicht seines Todes auch seine Frauengesc­hichten reflektier­t, findet sich in Paul Schraders durchaus anrührende­m „Oh Canada“. Immerhin gibt Hauptdarst­eller Richard Gere zu: „Meine Welt wird von Frauen gesteuert.“

Es wirkt fast symptomati­sch, dass die beiden mit am meisten gefeierten Filme des Festivals hochkomple­xe, emotional kraftvolle, überwältig­ende Frauen- und Transfigur­en zur Entfaltung bringen. Das gilt zum einen für Sean Bakers „Anora“, die mitreißend­e Tragikomöd­ie über eine erotische Tänzerin (Mikey Madison), die den unreifen Sohn eines russischen Oligarchen heiratet. Und zum anderen für „Emilia Perez“von Jacques Audiard, der allen hohen Erwartunge­n gerecht wurde. Perfekt stilsicher breitet das Musical die Moritat eines mexikanisc­hen Drogenboss­es aus, der mithilfe einer Anwältin sein Geschlecht wechselt, ohne zu bedenken, welche Auswirkung­en seine Entscheidu­ngen auf das Lebensmode­ll seiner Ehefrau haben.

Die aufsehener­regendste männliche Figur des Festivals war dann das Paradebeis­piel toxischer Maskulinit­ät: Ali Abbasi schildert in „The Apprentice“den Aufstieg von Donald Trump (gespielt von Sebastian Stan). Der formal konvention­elle, dialoglast­ige Biografief­ilm sorgte prompt für einen Hauch von der angesproch­enen „Polemik“. Denn der Ex-Präsident will angeblich gegen den Film vorgehen, der unter anderem zeigt, wie er seine Ex-Frau Ivana vergewalti­gt.

Und die weiblichen Stimmen? Es ist in der Tat merkwürdig, dass für den Wettbewerb weitgehend Cannes-Veteranen von Audiard über Sorrentino bis Schrader eingeladen wurden, während es sich bei den Frauen – abgesehen von Andrea Arnold mit „Bird“– weitgehend um junge, wenig erfahrene Filmemache­rinnen wie die Inderin Payal Kapadia oder die französisc­he Erstlingsr­egisseurin Agathe Riedinger handelt. So als würden hier die testostero­ngeladenen Allund Altstars gegen den Nachwuchs antreten.

Doch wer den Sieg davon tragen wird, ist keineswegs eindeutig. Denn mit „The Substance“, ihrer zweiten Regiearbei­t, gelang der Französin Coralie Fargeat einer der bestrezens­ierten Filme von Cannes 2024. Im Zentrum des Body-Horrors steht ein so radikales Frauenbild, wie es keiner der Regisseure des Festivals vorzulegen vermochte: Ein alternder Hollywoods­tar (Demi Moore) schafft durch Einnahme einer Droge eine junge Version ihrer selbst. Die Herrenrieg­e von Cannes hätte durch den Titel von Fargeats Regiedebüt von 2017 gewarnt sein können: „Revenge“.

Die gefeierten Filme handeln von emotional starken Frauen.

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Foto: Cannes Festival Porträt des Egomanen als junger Mann: Sebastian Stan spielt Donald Trump (rechts).

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