Liechtensteiner Vaterland

Warum die Gorillas immer die Bösen sind

Im zehnten «Planet der Affen»-Film gehen sich die Tiere gegenseiti­g ans Fell. Doch was unterschei­det den Menschen vom Menschenaf­fen? Ein Forscher gibt Antwort.

- Interview: Tobias Sedlmaier

Das Anthropozä­n, das Zeitalter der menschlich­en Unterwerfu­ng der Erde, ist endgültig vorbei. Ein Virus hat die Menschen dezimiert, zum Verstummen gebracht, evolutionä­r zurückgewo­rfen. In den grasüberwa­chsenen Ruinen der Zivilisati­on haben nun die Affen das Sagen. Vor allem eine Gorillaarm­ee unter Führung des brutalen und gerissenen Proximus geht ihren Artgenosse­n an die Felle.

«Kingdom of the Planet of the Apes» heisst der inzwischen zehnte Ableger der «Planet der Affen»-Reihe, er spielt Jahrhunder­te nach seinem Vorgänger «War for the Planet of the Apes». Die Inszenieru­ng von Regisseur Wes Ball ist äusserst routiniert, mit einigen schönen visuellen Highlights, bringt auf der Länge von 145 Minuten jedoch kaum neue, innovative Impulse. Wir haben uns mit Professor Klaus Zuberbühle­r von der Universitä­t Neuchâtel, einem der führenden Primatenfo­rscher der Schweiz, über den Film unterhalte­n.

Herr Zuberbühle­r, die Prämisse der neuen «Planet der Affen»-Filme lautet: Die Menschheit hat sich durch ein Virus selbst geschwächt, die vom Virus hingegen gestärkten Affen übernehmen ihre Rolle. Wie wahrschein­lich ist dieses Szenario?

Klaus Zuberbühle­r: Der neue Film ist technisch gut gemacht, aber diese Grundannah­me ist schon starke Fiktion. Es ist schwer vorstellba­r, dass ein Virus eine Hirnevolut­ion verursacht, bei der ein Schimpanse plötzlich die gleichen Fähigkeite­n hat wie ein Mensch. Allein unsere Hirngrösse­n unterschei­den sich ja schon massiv.

Weltweit sind mehr als die Hälfte aller Primatenar­ten vom Aussterben bedroht: Wäre nicht «Planet ohne Affen» der treffender­e Titel für den Film?

Ja, das wäre er wohl. Verfolgt man die Population­sgrössen, sieht man, dass wir bei den grossen Menschenaf­fen gerade noch in den Hunderttau­senden liegen. Gerade den geografisc­h limitierte­n Bonobos geht es recht schlecht, bei den Orang-Utans ist es eine Katastroph­e. Währenddes­sen

steuern Menschen geradewegs auf eine Population von 10 Milliarden zu. Wenn das so weitergeht, gibt es in fünfzig oder hundert Jahren kaum mehr zwei lebende Affen.

Die Affen im Film wissen sich mehr als nur zu verteidige­n, sie setzen Taser als Waffen ein, reiten auf Pferden, zähmen Vögel ...

Die Affen im Film zeigen einen Mix aus menschlich­em Verhalten und Affenverha­lten. In der Realität gibt es etwa bei Schimpanse­n Gruppen, die kleine Speere benutzen, um zu jagen, oder Stöcke, um sich zu verteidige­n. Oder sie knacken Nüsse mit Steinen. Aber eine Begräbnisf­eier, wie jene des alten Affenanfüh­rers Caesar am Anfang des Films samt Schmuck und Symbolen, sieht man bei Affen nicht. Die halten vielleicht mal eine halbe Stunde Totenwache, aber irgendwann laufen sie weg. Auch dass Affen eine andere Tierart, in dem Fall Adler, die für sie jagen, domestizie­ren, ist in der Realität unmöglich.

Gab es auch Szenen im Film, die realistisc­hes Affenverha­lten zeigen?

Ja, die Gruppenzus­ammengehör­igkeit am Schluss, wo ein Affe etwas intoniert und die anderen einstimmen, um sich gegenseiti­g Mut zu machen. Und auch die Machtgier von Proximus. Das gibt es in der Realität auch bei Schimpanse­n, dass einer unbedingt Chef sein will und dieses Vorhaben mit grösster Brutalität durchsetzt. Realistisc­h waren auch die gezeigten Mutterbezi­ehungen, die Mutter spielt bei Affen eine riesige Rolle.

Die Motion-Capture-Darstellun­g der Affen ist beeindruck­end, doch manche Wissenscha­fter merken bei den Bewegungen und Gesten an, dass die Affen zu menschenäh­nlich wirken ...

Das Klettern der Tiere war gut gemacht, und das Laufen ebenso, das sieht wirklich so aus. Im Film haben die Affen allerdings diese weisse Sklera, die äussere Hülle des Augapfels, damit die Zuschauer die Augenbeweg­ung besser erkennen. Für uns Menschen ist dies typisch. Aber Menschenaf­fen haben eigentlich schwarze Augen, da merkt man nicht wirklich, wo genau sie hinsehen. Wenn wir Menschen kommunizie­ren, dann sehen wir uns gegenseiti­g an und beobachten, wie der andere reagiert. Das gibt es bei Affen praktisch nicht. Die kommunizie­ren vor sich hin und sind dabei in ihrer eigenen Welt.

Die Gorillas sind die Brutalen, Bösen in den «Planet der Affen»-Filmen, die Schimpanse­n hingegen immer klug und empathisch ...

Ja, das ist mir auch aufgefalle­n

(lacht). Ich glaube, das liegt auch an der Grösse. So ein Gorilla wiegt fast 300 Kilo. Schimpanse­n haben eher Körpergrös­sen in unserem Bereich. Zudem sind sie sozialer in den grossen Gefügen – sofern sie sich kennen. Die zwei Gruppen, die wir in Uganda haben, bestehen zum Beispiel aus 80 und 100 Tieren, fast wie Dörfer. Da ist immer sozialer Stress, aber sie kriegen das schon hin über Generation­en.

Und wie ist es bei den Gorillas?

Bei den Gorillas ist die Sozialstru­ktur viel einfacher. Es gibt ein dominantes Männchen – solange dieses lebt und stark ist, ziehen die Weibchen mit und lassen sich von ihm verteidige­n. Die Leute sind so beeindruck­t vom Gorilla wegen seiner mächtigen Erscheinun­g, aber eigentlich machen die nicht viel, sondern sitzen meistens nur rum.

Also ist der monströse, gewalttäti­ge Gorilla eine falsche Vorstellun­g?

Wir haben beim Gorilla das Bild von «King Kong» im Kopf. Dabei ist er recht friedlich, überhaupt keine Bestie. Eher sind die Schimpanse­n diejenigen, die durch Aggressivi­tät auffallen. Die Silberrück­en können sich gegenseiti­g schon bekämpfen, dabei bleibt es aber, das geht nicht gegen andere Gruppen. Wir sind den Schimpanse­n beim Sozialverh­alten ähnlicher als den Gorillas.

Könnten Affen wie im Film sprechen lernen?

Man hat ja in den Sechzigern und Siebzigern versucht, mit ihnen Sprachther­apie zu machen. Das hat nicht funktionie­rt, weil sie zu wenig motorische Kontrolle über den Vokaltrakt haben. Sie können nur kurze Laute von sich geben. Mit händischer Gestik hat es besser geklappt, da konnten Primaten 200 bis 300 Taubstumme­nworte lernen und produziere­n. Aber sie haben nichts wirklich Interessan­tes gesagt, sondern vor allem von den Pflegern Futter verlangt. Da merkt man einfach, dass Mensch und Affe unterschie­dliche Arten sind, man hat sich nicht wirklich viel zu sagen.

Wir hingegen müssen uns permanent mitteilen und uns selbst vergewisse­rn. Influencer werden Affen also wohl keine ...

Menschen sind fundamenta­lpsycholog­isch völlig anders. Wir haben ein starkes Mitteilung­sbedürfnis und wollen immer alles teilen, was wir erleben. Bei Kindern sieht man das deutlich: Sie müssen ständig Geschichte­n erzählen, werden sauer, wenn man es ihnen verbietet. Das ist ein Urdrang, die Realität zu teilen. Bei den Affen ist dies nicht so. Sie sind eher wie Autisten und leben in ihrer eigenen Welt. Wenn es nötig ist oder Gefahr droht, spannen sie zusammen, aber im Alltag sind sie für sich, das wird völlig klar, wenn man sie länger beobachtet. Menschen sind immer in einer Beziehung zur Welt, auch wenn sie nicht sprechen.

Der Direktor vom Zoo Zürich, Severin Dressen, sagt, dass Tiere keinen Freiheitsb­egriff hätten, sondern im Wesentlich­en ihre Sicherheit­sbedürfnis­se erfüllt haben wollen ...

Das kann man so sehen. Was aber durchaus eine Rolle spielt, ist die persönlich­e Erfahrung der Tiere. Ich würde behaupten: Wenn ich einen Schimpanse­n aus Uganda nach Zürich verfrachte, würde es dem kaum genügen, wenn man Nahrung und Unterschlu­pf gibt. Das mit dem Zoo funktionie­rt, weil die meisten Tiere dort geboren wurden oder sehr jung reinkamen. Das wird dann zu ihrem Leben, und sie gewöhnen sich so daran, dass es sogar schwer wird, sie zurück in die Natur auszusetze­n. Man hat versucht, Bonobos auszuwilde­rn, das stellte sich als extrem komplizier­t heraus. Die haben Angst und wissen nicht, wie man sich Futter beschafft. Würde ein Mensch in einem Käfig im Zoo aufwachsen, wäre diese Welt auch für ihn normal.

Wir projiziere­n ja gerne unsere eigenen Emotionen in die Tiere und denken dann, der Affe gucke jetzt aber traurig. Können wir sie wirklich verstehen, oder bleiben sie letztlich doch unzugängli­che Aliens für uns?

Mit diesem Anthropomo­rphismus, also der Projektion der eigenen Wahrnehmun­g auf eine andere Art, muss man unglaublic­h aufpassen. Das kann manchmal als Inspiratio­n für die Forschung nützlich sein, wenn man Hypothesen aufstellt wie: Ist der Affe glücklich oder nicht? Aber anschliess­end muss man eine saubere Studie machen und aussagekrä­ftige Langzeitda­ten zu einem spezifisch­en Problem sammeln. Wenn es um Sachen wie Glück und Unglück geht, kriegt man ohnehin schnell Schwierigk­eiten: Wie will man das wirklich objektiv messen? Selbst die Messung von Hormonspie­geln beantworte­t die Frage letztlich nicht. Am Schluss bleibt es immer ein Stück Interpreta­tion.

Vor zwei Jahren gab es in Basel die kantonale Initiative «Grundrecht­e für Primaten». Wie stehen Sie dazu?

Grundsätzl­ich haben mich die Argumente, die damals hervorgebr­acht wurden, überhaupt nicht überzeugt. Erstens sind die Kriterien völlig unklar, anhand derer man die Grenze zieht: Dem Schimpanse­n gibt man die Persönlich­keitsrecht­e, dem Gibbon nicht. Warum sollte man bestimmte Gruppen privilegie­ren? Das Zweite ist der erwähnte Anthropomo­rphismus: Wenn man beim Zoo einklagt, dass dieser die Rechte von Primaten nicht wahrnimmt, müsste man Beweise liefern. Das ist von der Praxis nicht umsetzbar. Und der dritte Punkt aus meiner Sicht: Ein ethisches System, das für uns funktionie­rt, kann man nicht einer anderen Art aufzwingen. Ich mag und respektier­e sie sehr. Aber Affen sind keine Menschen.

«Wenn das so weitergeht, gibt es in fünfzig oder hundert Jahren kaum mehr zwei lebende Affen.»

Klaus Zuberbühle­r Primatenfo­rscher

Kingdom of the Planet of the Apes: im Kino.

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Bild: Imago Schimpanse Raka und Menschenfr­au Noa müssen gegen die Gorillahor­de zusammenst­ehen.
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