Warum die Gorillas immer die Bösen sind
Im zehnten «Planet der Affen»-Film gehen sich die Tiere gegenseitig ans Fell. Doch was unterscheidet den Menschen vom Menschenaffen? Ein Forscher gibt Antwort.
Das Anthropozän, das Zeitalter der menschlichen Unterwerfung der Erde, ist endgültig vorbei. Ein Virus hat die Menschen dezimiert, zum Verstummen gebracht, evolutionär zurückgeworfen. In den grasüberwachsenen Ruinen der Zivilisation haben nun die Affen das Sagen. Vor allem eine Gorillaarmee unter Führung des brutalen und gerissenen Proximus geht ihren Artgenossen an die Felle.
«Kingdom of the Planet of the Apes» heisst der inzwischen zehnte Ableger der «Planet der Affen»-Reihe, er spielt Jahrhunderte nach seinem Vorgänger «War for the Planet of the Apes». Die Inszenierung von Regisseur Wes Ball ist äusserst routiniert, mit einigen schönen visuellen Highlights, bringt auf der Länge von 145 Minuten jedoch kaum neue, innovative Impulse. Wir haben uns mit Professor Klaus Zuberbühler von der Universität Neuchâtel, einem der führenden Primatenforscher der Schweiz, über den Film unterhalten.
Herr Zuberbühler, die Prämisse der neuen «Planet der Affen»-Filme lautet: Die Menschheit hat sich durch ein Virus selbst geschwächt, die vom Virus hingegen gestärkten Affen übernehmen ihre Rolle. Wie wahrscheinlich ist dieses Szenario?
Klaus Zuberbühler: Der neue Film ist technisch gut gemacht, aber diese Grundannahme ist schon starke Fiktion. Es ist schwer vorstellbar, dass ein Virus eine Hirnevolution verursacht, bei der ein Schimpanse plötzlich die gleichen Fähigkeiten hat wie ein Mensch. Allein unsere Hirngrössen unterscheiden sich ja schon massiv.
Weltweit sind mehr als die Hälfte aller Primatenarten vom Aussterben bedroht: Wäre nicht «Planet ohne Affen» der treffendere Titel für den Film?
Ja, das wäre er wohl. Verfolgt man die Populationsgrössen, sieht man, dass wir bei den grossen Menschenaffen gerade noch in den Hunderttausenden liegen. Gerade den geografisch limitierten Bonobos geht es recht schlecht, bei den Orang-Utans ist es eine Katastrophe. Währenddessen
steuern Menschen geradewegs auf eine Population von 10 Milliarden zu. Wenn das so weitergeht, gibt es in fünfzig oder hundert Jahren kaum mehr zwei lebende Affen.
Die Affen im Film wissen sich mehr als nur zu verteidigen, sie setzen Taser als Waffen ein, reiten auf Pferden, zähmen Vögel ...
Die Affen im Film zeigen einen Mix aus menschlichem Verhalten und Affenverhalten. In der Realität gibt es etwa bei Schimpansen Gruppen, die kleine Speere benutzen, um zu jagen, oder Stöcke, um sich zu verteidigen. Oder sie knacken Nüsse mit Steinen. Aber eine Begräbnisfeier, wie jene des alten Affenanführers Caesar am Anfang des Films samt Schmuck und Symbolen, sieht man bei Affen nicht. Die halten vielleicht mal eine halbe Stunde Totenwache, aber irgendwann laufen sie weg. Auch dass Affen eine andere Tierart, in dem Fall Adler, die für sie jagen, domestizieren, ist in der Realität unmöglich.
Gab es auch Szenen im Film, die realistisches Affenverhalten zeigen?
Ja, die Gruppenzusammengehörigkeit am Schluss, wo ein Affe etwas intoniert und die anderen einstimmen, um sich gegenseitig Mut zu machen. Und auch die Machtgier von Proximus. Das gibt es in der Realität auch bei Schimpansen, dass einer unbedingt Chef sein will und dieses Vorhaben mit grösster Brutalität durchsetzt. Realistisch waren auch die gezeigten Mutterbeziehungen, die Mutter spielt bei Affen eine riesige Rolle.
Die Motion-Capture-Darstellung der Affen ist beeindruckend, doch manche Wissenschafter merken bei den Bewegungen und Gesten an, dass die Affen zu menschenähnlich wirken ...
Das Klettern der Tiere war gut gemacht, und das Laufen ebenso, das sieht wirklich so aus. Im Film haben die Affen allerdings diese weisse Sklera, die äussere Hülle des Augapfels, damit die Zuschauer die Augenbewegung besser erkennen. Für uns Menschen ist dies typisch. Aber Menschenaffen haben eigentlich schwarze Augen, da merkt man nicht wirklich, wo genau sie hinsehen. Wenn wir Menschen kommunizieren, dann sehen wir uns gegenseitig an und beobachten, wie der andere reagiert. Das gibt es bei Affen praktisch nicht. Die kommunizieren vor sich hin und sind dabei in ihrer eigenen Welt.
Die Gorillas sind die Brutalen, Bösen in den «Planet der Affen»-Filmen, die Schimpansen hingegen immer klug und empathisch ...
Ja, das ist mir auch aufgefallen
(lacht). Ich glaube, das liegt auch an der Grösse. So ein Gorilla wiegt fast 300 Kilo. Schimpansen haben eher Körpergrössen in unserem Bereich. Zudem sind sie sozialer in den grossen Gefügen – sofern sie sich kennen. Die zwei Gruppen, die wir in Uganda haben, bestehen zum Beispiel aus 80 und 100 Tieren, fast wie Dörfer. Da ist immer sozialer Stress, aber sie kriegen das schon hin über Generationen.
Und wie ist es bei den Gorillas?
Bei den Gorillas ist die Sozialstruktur viel einfacher. Es gibt ein dominantes Männchen – solange dieses lebt und stark ist, ziehen die Weibchen mit und lassen sich von ihm verteidigen. Die Leute sind so beeindruckt vom Gorilla wegen seiner mächtigen Erscheinung, aber eigentlich machen die nicht viel, sondern sitzen meistens nur rum.
Also ist der monströse, gewalttätige Gorilla eine falsche Vorstellung?
Wir haben beim Gorilla das Bild von «King Kong» im Kopf. Dabei ist er recht friedlich, überhaupt keine Bestie. Eher sind die Schimpansen diejenigen, die durch Aggressivität auffallen. Die Silberrücken können sich gegenseitig schon bekämpfen, dabei bleibt es aber, das geht nicht gegen andere Gruppen. Wir sind den Schimpansen beim Sozialverhalten ähnlicher als den Gorillas.
Könnten Affen wie im Film sprechen lernen?
Man hat ja in den Sechzigern und Siebzigern versucht, mit ihnen Sprachtherapie zu machen. Das hat nicht funktioniert, weil sie zu wenig motorische Kontrolle über den Vokaltrakt haben. Sie können nur kurze Laute von sich geben. Mit händischer Gestik hat es besser geklappt, da konnten Primaten 200 bis 300 Taubstummenworte lernen und produzieren. Aber sie haben nichts wirklich Interessantes gesagt, sondern vor allem von den Pflegern Futter verlangt. Da merkt man einfach, dass Mensch und Affe unterschiedliche Arten sind, man hat sich nicht wirklich viel zu sagen.
Wir hingegen müssen uns permanent mitteilen und uns selbst vergewissern. Influencer werden Affen also wohl keine ...
Menschen sind fundamentalpsychologisch völlig anders. Wir haben ein starkes Mitteilungsbedürfnis und wollen immer alles teilen, was wir erleben. Bei Kindern sieht man das deutlich: Sie müssen ständig Geschichten erzählen, werden sauer, wenn man es ihnen verbietet. Das ist ein Urdrang, die Realität zu teilen. Bei den Affen ist dies nicht so. Sie sind eher wie Autisten und leben in ihrer eigenen Welt. Wenn es nötig ist oder Gefahr droht, spannen sie zusammen, aber im Alltag sind sie für sich, das wird völlig klar, wenn man sie länger beobachtet. Menschen sind immer in einer Beziehung zur Welt, auch wenn sie nicht sprechen.
Der Direktor vom Zoo Zürich, Severin Dressen, sagt, dass Tiere keinen Freiheitsbegriff hätten, sondern im Wesentlichen ihre Sicherheitsbedürfnisse erfüllt haben wollen ...
Das kann man so sehen. Was aber durchaus eine Rolle spielt, ist die persönliche Erfahrung der Tiere. Ich würde behaupten: Wenn ich einen Schimpansen aus Uganda nach Zürich verfrachte, würde es dem kaum genügen, wenn man Nahrung und Unterschlupf gibt. Das mit dem Zoo funktioniert, weil die meisten Tiere dort geboren wurden oder sehr jung reinkamen. Das wird dann zu ihrem Leben, und sie gewöhnen sich so daran, dass es sogar schwer wird, sie zurück in die Natur auszusetzen. Man hat versucht, Bonobos auszuwildern, das stellte sich als extrem kompliziert heraus. Die haben Angst und wissen nicht, wie man sich Futter beschafft. Würde ein Mensch in einem Käfig im Zoo aufwachsen, wäre diese Welt auch für ihn normal.
Wir projizieren ja gerne unsere eigenen Emotionen in die Tiere und denken dann, der Affe gucke jetzt aber traurig. Können wir sie wirklich verstehen, oder bleiben sie letztlich doch unzugängliche Aliens für uns?
Mit diesem Anthropomorphismus, also der Projektion der eigenen Wahrnehmung auf eine andere Art, muss man unglaublich aufpassen. Das kann manchmal als Inspiration für die Forschung nützlich sein, wenn man Hypothesen aufstellt wie: Ist der Affe glücklich oder nicht? Aber anschliessend muss man eine saubere Studie machen und aussagekräftige Langzeitdaten zu einem spezifischen Problem sammeln. Wenn es um Sachen wie Glück und Unglück geht, kriegt man ohnehin schnell Schwierigkeiten: Wie will man das wirklich objektiv messen? Selbst die Messung von Hormonspiegeln beantwortet die Frage letztlich nicht. Am Schluss bleibt es immer ein Stück Interpretation.
Vor zwei Jahren gab es in Basel die kantonale Initiative «Grundrechte für Primaten». Wie stehen Sie dazu?
Grundsätzlich haben mich die Argumente, die damals hervorgebracht wurden, überhaupt nicht überzeugt. Erstens sind die Kriterien völlig unklar, anhand derer man die Grenze zieht: Dem Schimpansen gibt man die Persönlichkeitsrechte, dem Gibbon nicht. Warum sollte man bestimmte Gruppen privilegieren? Das Zweite ist der erwähnte Anthropomorphismus: Wenn man beim Zoo einklagt, dass dieser die Rechte von Primaten nicht wahrnimmt, müsste man Beweise liefern. Das ist von der Praxis nicht umsetzbar. Und der dritte Punkt aus meiner Sicht: Ein ethisches System, das für uns funktioniert, kann man nicht einer anderen Art aufzwingen. Ich mag und respektiere sie sehr. Aber Affen sind keine Menschen.
«Wenn das so weitergeht, gibt es in fünfzig oder hundert Jahren kaum mehr zwei lebende Affen.»
Klaus Zuberbühler Primatenforscher
Kingdom of the Planet of the Apes: im Kino.