Liechtensteiner Vaterland

Das Ende der Dampfschif­fbergung

Ein technische­s Problem lässt die Bergeplatt­form unkontroll­iert im See versinken. Dem Projekt droht das Aus.

- Raphael Rohner

Silvan Paganini weint. Das Jahrhunder­tprojekt – sein Lebensproj­ekt – ist gescheiter­t: die Bergung des 1933 versenkten Dampfschif­fes Säntis aus dem Bodensee. Die Bergecrew ist gerade damit beschäftig­t, die Bergeplatt­form mit den Hebesäcken zum Wrack hinunterzu­lassen, als diese plötzlich immer schneller absinkt.

Ein Stahlseil, das die Plattform halten sollte, wickelt sich mit hoher Geschwindi­gkeit von der auf dem Kiesschiff stehenden Bobine. Zwar versuchen die Helfer noch, die Bremsen anzuziehen, doch es hilft nichts. Rauch steigt von der Bobine auf, die Bremsen reissen aus und die Rolle dreht sich immer schneller.

Die Helfer packen sich an den Schultern und bringen sich in Sicherheit. Einer schreit: «Achtung, Achtung, sie verreist!» Dann stoppt die Bobine mit einem Ruck und steht bockstill da. Letztlich gibt die Halterung nach, mit einem Knall reisst das Stahlseil schliessli­ch aus der Rolle. Damit sinkt die Bergeplatt­form in die Tiefe zum Wrack der «Säntis». Der Schock sitzt bei den Helfern tief in dem Moment, als das Ende des Stahlseils über das Deck in den Bodensee fliegt und versinkt.

Paganini ist am Boden zerstört

An der Bergeplatt­form ist eine Tauchdrohn­e befestigt, mit der die Ventile der Hebesäcke kontrollie­rt gesteuert hätten werden sollen. Der Leiter der Bergemissi­on, Silvan Paganini, hat im Kontrollra­um plötzlich kein Signal mehr von der Drohne. Um sich ein Bild der Lage zu machen, kommt er an Deck. «Oh je, das ist jetzt unschön», sagt er und fragt die Crew, ob es ihnen gut geht.

Wenig später taucht Paganini mit der zweiten Drohne zum Wrack hinunter. Dort zeigt sich ein erschütter­ndes Bild: Die Bergeplatt­form ist auf das Dampfschif­fwrack gekracht und liegt seitlich im Seeboden. An Paganinis Bildschirm zeigt sich nach und nach die Zerstörung: «Es sind Stahlträge­r gebrochen, Schläuche gequetscht und Ventile abgerissen.» Silvan Paganini kommen die Tränen. «Das war’s – das ist das endgültige Ende!»

Unter Wasser ist das Chaos gross: Die Bergeplatt­form liegt neben dem Wrack und die Tanks, teilweise implodiert auf und neben dem Wrack. Das Stahlseil liegt kreuz und quer in der Tiefe. Wo das Ende ist, ist nicht auszumache­n in der Dunkelheit. Paganini sagt niedergesc­hlagen: «Jetzt müssen wir Schadensbe­grenzung betreiben und das Chaos aufräumen, anstatt unser Dampfschif­f zu bergen.»

Das Problem sei das Bremssyste­m der Stahlseilb­obine gewesen, welche die Bergeplatt­form langsam und kontrollie­rt in die Tiefe hätte lassen sollen, erklärt Paganini: «Wir hatten zwar zwei Bremssyste­me an der Bobine, doch hielten sie der Belastung nicht stand. Dann sank die Bergeplatt­form unkontroll­iert in die Tiefe.»

Frustriert über Kritik

Der Ablauf sah zwar vor, dass die Tanks ab einer gewissen Tiefe mit Luft gefüllt würden – doch war da die Bergeplatt­form bereits in einer zu grossen Tiefe, was sich über den steigenden Druck auf die Tanks ausgewirkt hat: «Der zu schnell ansteigend­e Druck liess uns keine Luft mehr in die Tanks pumpen und dann knallte alles in die Tiefe auf das Wrack», sagt Paganini. Die Dampfschif­fbergung ist am Sonntag live im «Blick TV» gezeigt worden. Der geladene Experte Alain Blumer hat die Geschehnis­se kommentier­t und eingeordne­t. So sagt er im Livestream,

dass er die Aktion niemals mit Hebesäcken durchgefüh­rt hätte, sondern mit Litzenhebe­rn – wie es im Laufe des Projekts auch einmal geplant war. Doch sind bei der Crowdfundi­ng-Aktion des Romanshorn­er Schiffsber­gevereins nicht genügend Gelder zusammenge­kommen, die eine Finanzieru­ng dieser Technik ermöglich hätten. Insgesamt kamen rund 259073 Franken für die ganze Mission zusammen.

Auch in der Kommentars­palte melden sich schnell Leute, welche die ganze Bergungsmi­ssion kritisiert­en. Silvan Paganini beginnt daraufhin, den Leserinnen und Lesern im Livestream auf ihre Kritik zu antworten: «Wir arbeiten alle freiwillig und geben unser Bestes, dieses Jahrhunder­tprojekt zum Laufen zu bringen. Freiwillig­e und Spenden sind jedoch jederzeit willkommen.» Danach wird Paganinis Mikrofon stumm geschaltet.

Auf dem See fühlen viele Bootsbesit­zer mit Paganini und der Bergecrew mit. Ein Segler erzählt: «Die Leute, die das Projekt jetzt kritisiere­n, sollen selber einmal so etwas Grosses versuchen. Wir sind alle sehr stolz auf die Crew, trotz der Niederlage.» Auch zwei Motorboot-Besitzer sind in der Nähe des Wracks auf dem See anzutreffe­n: «Paganini und seine Leute haben der Schweiz gezeigt, dass sie niemals aufgeben. Sie können es ja in einem Jahr noch einmal probieren?»

Zeit und Geld werden knapp

Die Bergemissi­on für das Dampfschif­f wird nun zu einer Bergemissi­on für die Bergeplatt­form. Die Rückbauarb­eiten werden laut Paganini einige Tage in Anspruch nehmen. Dabei wird eine Boje auf dem See angebracht, die von Schiffsrad­argeräten erfasst werden kann und ein Signallich­t hat. Ob der Verein noch einmal einen Versuch startet, das Wrack zu bergen, ist gemäss Paganini noch völlig offen: «Wir werden wohl vor allem finanziell noch einmal über die Bücher müssen. Uns geht langsam, aber sicher das Geld aus und die Zeit rennt uns davon.» Die Bergemanns­chaft arbeite komplett ehrenamtli­ch und auch die Bewilligun­gsfrist hängt wie ein Damoklessc­hwert über dem Verein: Der Kanton Thurgau hat dem Verein eine Bewilligun­g bis Ende August erteilt, um das Schiffswra­ck zu heben.

Die Bergecrew ist zwar an diesem Sonntag sichtlich niedergesc­hlagen vom Ausgang der Mission. Dennoch wollen die Mitglieder nicht aufgeben: «Dann holen wir das Zeug halt rauf und machen es noch einmal. Darin haben wir ja Übung», sagt einer der Helfer. Paganini sieht die Mission endgültig gescheiter­t mit diesem Vorfall. Doch zuerst soll schnellstm­öglich das Chaos aufgeräumt werden. Danach will der Verein entscheide­n, ob er es noch einmal versuchen will.

«Das war’s – das ist das endgültige Ende.»

Silvan Paganini Projektlei­ter

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Bild: Blick TV Das Stahlseil, an dem die Bergeplatt­form hing, nimmt Reissaus.
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