Unterdrückung und Misshandlung
24. Jahrestag des blutigen Militäreinsatzes gegen friedliche Demonstranten und deren Ruf nach Freiheit und Demokratie
Das Erbe von Tiananmen
Mehr als zwei Jahrzehnte sind die Opfer von Tiananmen der Willkür der Staatssicherheit ausgeliefert. Qi Zhiyong musste das schmerzhaft erfahren. Er verlor nicht nur sein Bein, sondern auch seine Freiheit. Qi Zhiyong gehört zu den wenigen, die nicht müde werden, an das Massaker vom 4. Juni 1989 zu erinnern. Schüsse verletzten ihn damals schwer. Er verlor ein Bein. „Solange ich lebe und die Gelegenheit habe, will ich den Menschen in der Welt die Wahrheit über das Tiananmen-Massaker berichten“, sagt der heute 57-Jährige der Nachrichtenagentur dpa in Peking. An diesem Dienstag jährt sich der blutige Militäreinsatz der Volksbefreiungsarmee gegen die Studenten und ihren Ruf nach Freiheit und Demokratie.
„ Große Sprünge rückwärts“
Qi Zhiyong zahlt einen hohen Preis für seinen Mut: Überwachung, Einschüchterung und Misshandlung durch die Polizei. Seit Mitte vergangener Woche hat die Staatssicherheit den Bürgerrechtler wie Dutzende andere Aktivisten im Vorfeld des Jahrestages wieder unter Hausarrest gestellt. „Ich habe keine Freiheit“, klagt Qi Zhiyong in einer E-Mail, die er noch schicken kann.
Er hat sich dem Appell der Familien der Opfer des Massakers angeschlossen, die eine gerechte Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels der chinesischen Geschichte fordern. Der lose Verbund der „Mütter von Tiananmen“, wie sie genannt werden, beklagt in einem Massaker von 2 600 bis 3 000 Toten ausgegangen sei.
Nur mit harter Hand kann Chinas Staatssicherheit bis heute die Wahrheit unterdrücken. Beinahe wäre auch Qi Zhiyong verstummt. Wegen massiver Drohungen und aus Angst, dass seine Familie zu leiden hat, hielt sich der Aktivist zwei Jahre zurück.
Der Grund war eine Inhaftierung Ende 2010. Erstmals berichtet er in einem Gespräch vor seinem jetzigen Hausarrest über diese traumatische Erfahrung. „Mir wurde eine schwarze Kapuze über den Kopf gezogen“, schildert Qi Zhiyong. Seine Entführer hätten ihm die Krücken weggenommen, die Hände auf den Rücken gebunden. Ein luxuriöser Geländewagen habe ihn in sein „Gefängnis“gebracht: Ein hell erleuchteter, 15 Quadratmeter großer Raum. „Du bist ein Krüppel, ein Idiot“, wurde ihm gesagt. Seine Bewacher identifizierten sich nicht, behaupteten aber, sein Verschwinden sei rechtens. Dokumente wurden ihm nicht gezeigt.
In kulturrevolutionärer Manier
„Wir wissen alles über dich“, hieß es im Verhör. „Wir kennen dein Heimatdorf, all deine Verwandten, wo deine Frau arbeitet, wie sie zur Arbeit geht, wie viele Busstationen sie fährt.“Qi Zhiyong wertet seine Festnahme als Reaktion auf die Vergabe des Friedensnobelpreises kurz zuvor – im Oktober 2010 – an den inhaftierten Bürgerrechtler Liu Xiaobo, der seine Auszeichnung den Opfern von Tiananmen gewidmet hatte. „Sie waren wütend, weil Liu Xiaobo den Preis gewonnen hatte.“
Ähnlich wie der berühmte Künstler Ai Weiwei, der wenige Monate später 81 Tage wegen vager Steuervorwürfe festgehalten wurde und gerade ein inszeniertes Video darüber veröffentlich hat, wurde Qi Zhiyong sechs Wochen lang rund um die Uhr von paramilitärischen Polizisten bewacht. Er litt unter Schlafentzug. In Verhören wurden ihm „konterrevolutionäre Verbrechen“vorgeworfen und auch, „die Partei und den Sozialismus stürzen zu wollen“.
Er wurde aufgefordert, die Ungerechtigkeiten aufzuschreiben, die er aus seiner Sicht über die Jahre erlitten habe. Doch in kulturrevolutionärer Manier wurden seine Dokumentationen mit den Worten „Du beschuldigst die Partei!“vor seinen Augen zerrissen. „Wir können dich lebendig begraben, wenn wir Anweisung von oben bekommen“, warnten ihn seine Wächter. (dpa)