Filmisches Mille-feuille
Internationales Staraufgebot für Pascal Merciers Bestseller-Verfilmung
„Night Train to Lisbon“von Bille August
Bille Augusts „Night Train to Lisbon“war das erste Highlight der letzten Berlinale, da er genau das auf den roten Teppich brachte, was das Festival an der Spree allzu oft missen muss: Stars. Denn die Besetzungsliste der Verfilmung von Pascal Merciers gleichnamigem Bestseller liest sich wie ein „Who's Who“des europäischen Films – mit einer sprichwörtlichen amerikanischen Kirsche auf dem Kuchen in der Person von Jeremy Irons. So ganz nebenbei beweist der dänische Regisseur darin erneut, was alle seine Filme auszeichnet: solides Handwerk – mit allen Vor- und Nachteilen, die dies birgt ... „Der Weg ist das Ziel“, stellte schon der weise Konfuzius in seinen Lehren fest. Der Schweizer Pascal Mercier, seines Fachs Philosophieprofessor, nahm sich dies für seinen Roman „Nachtzug nach Lissabon“zu Herzen und verband darin eine richtige Reise – nach Lissabon – mit einem psychologischen Weg – zur Liebe als Sinn des Lebens – und einer Expedition – in die Vergangenheit der portugiesischen Salazar-Diktatur.
Auf dem Papier funktionierten diese Überlagerungen auch entsprechend gut – und der Roman verkaufte sich gleich millionenfach in 15 Sprachen. Um auch bei der Verfilmung einen entsprechenden Erfolg zu verbuchen, wurde Bille August, der u. a. für „Pelle the Conqueror“(1987) oder die Isabel-Allende-Verfilmung „The House of the Spirits“verantwortlich zeichnete, mit der Umsetzung beauftragt. Das Resultat ist dann auch hier als ein wahres filmisches Mille-feuille, das zwar schmackhaft präsentiert wird, dessen einzelne Lagen sich ebenfalls, im Gegensatz zum Dessert in diesem Falle jedoch – eher leider – von ungleicher Konsistenz erweisen.
Lateinlehrer Raimund „Mundus“Gregorius (Jeremy Irons – einen Tick zu schön, um ein glaubhaft schusseliger Professor zu sein) ist ein Büchermensch. Nicht zuletzt deswegen ist er etwas unbeholfen im Umgang mit seinen eigenen Artgenossen. Als er auf der Berner Kirchenfeldbrücke den Selbstmord einer jungen Unbekannten verhindert, ahnt er nicht, dass das Buch eines gewissen Amadeu de Prado, das er in ihrem zurückgelassenen Mantel findet, der erste Schritt einer außergewöhnlichen Reise ist, die ihm bevorsteht ...
Diktatur als Fakt, Rebellion als Pflicht Bille August inszeniert seinen Film zwar u. a. mit Rückblenden erzählerisch komplex, setzt dabei zugleich visuell auf eine überaus klassische und gleichermaßen gepflegte Umsetzung, deren universeller Anspruch die spezifisch europäische Autorenfilm-Handschrift übertüncht. Bleiben bei der Film & Kino, Seite 39-41 Vielzahl von Themen – Einsamkeit, Liebe, Glück, Sinn des Lebens, Militärdiktatur, Verantwortung, Revolte – zwangsläufig einige auf der Strecke, so leidet auch die psychologische Tiefe der Figuren zuweilen etwas darunter. Dennoch bieten die 111 Minuten kurzweilige Unterhaltung mit qualitativ hochwertigem Anspruch.
Wurde bei der Regie auf solides Handwerk gesetzt, so ist es in der Besetzung nicht anders. Die Souveränität „alter Hasen“wie Jeremy Irons, Bruno Ganz, Lena Olin oder Tom Courtenay wird hier zusätzlich mit der Frische eines attraktiven Nachwuchses wie Mélanie Laurent, Jack Huston, Martina Gedeck, August Diehl entsprechend ansprechend ergänzt. Vernachlässigt wurden auch nicht die „kleinen“Nebenrollen, denn hier findet man mit u. a. Christopher Lee und Charlotte Rampling ebenfalls Schauspieler, die eher die vordersten Reihen gewohnt sind.
„Wenn Diktatur ein Fakt ist, dann sollte Rebellion eine Pflicht sein“, prangt als Inschrift auf dem Grabstein von Amadeu de Prado. Bleibt wenigstens dies von Merciers Roman und Augusts Film im Gedächtnis der Zuschauer hängen, so hat das Kino als reflektierende Kunstform seine Mission erfüllt. Mehr kann man heutzutage wohl auch nicht erwarten ... Drama (D/CH/P 2012). Regie: Bille August. Mit Jeremy Irons, Mélanie Laurent, Jack Huston, Bruno Ganz, Martina Gedeck, August Diehl. Drehbuch: Greg Latter, Ulrich Herrmann (nach dem gleichnamigen Roman von Pascal Mercier). Kamera: Filip Zumbrunn. Musik: Annette Focks. 111 Minuten. (Offiziell freigegeben ab 12).