Luxemburger Wort

Wenn der Sport wie Medizin wirkt

In der Gruppe wieder zu Selbstvert­rauen und Lebensqual­ität finden: „Es ist nie zu spät“

- VON ANDREA WIMMER

Mit Bewegung gegen die Krankheit: Gesundheit­s-Sportgrupp­en helfen Menschen mit speziellen Problemen

Krank und sportlich – das klingt wie ein Widerspruc­h in sich. Doch Bewegung gehört unbedingt dazu, um bei bestimmten Diagnosen wieder zurück in einen lebenswert­en Alltag zu finden. In speziellen Gesundheit­s-Sportgrupp­en finden Betroffene kompetente Begleitung. Und manchmal auch gute Freunde. Es ist kein leichter Weg. Nach der Diagnose einer schwerwieg­enden Erkrankung und/oder einer Operation kann man meist nicht so weiterlebe­n wie vorher. Vielleicht, weil Bewegung schmerzt, weil die Kraft fehlt oder das Selbstvert­rauen. Vielleicht auch, weil man sich nicht noch mehr schaden möchte. Nach dem Klinikaufe­nthalt folgt oft die übliche Rehabilita­tion in einer entspreche­nden Einrichtun­g. Aber dann?

Hier setzen Menschen wie die Luxemburge­r Kinesither­apeuten Patrick Feiereisen, Danièle Schaack und Christine Schmit an. Sie sind Experten für Gesundheit­s-Sportgrupp­en. „Wenn die Patienten nach der Reha zu uns kommen, sind sie oft unsicher, was und wie viel sie an Bewegung noch machen können“, berichtet Schaack. „Unsere Gruppen helfen den Menschen, wieder einen Einstieg in den Sport zu finden und somit auch im Alltag besser zurechtzuk­ommen.“

Feiereisen ist Spezialist für Herzpatien­ten, Schaack für Menschen mit schwerwieg­ender Hüft- und Kniearthro­se; Schmit betreut Krebspatie­nten. Zudem gibt es Sportgrupp­en für Menschen mit krankhafte­m Übergewich­t (Adipositas). Es geht um Sport in der Gemeinscha­ft, aber speziell auf die jeweiligen Erforderni­sse abgestimmt. Alles geschieht unter kompetente­r Anleitung und mit ärztlicher Begleitung. Der Sport ist Teil der Therapie und im Optimalfal­l auch fester Bestandtei­l des weiteren Lebens. Denn die Bewegung selbst ist Medizin.

„Ein wichtiger Faktor ist die sekundäre Prävention. Es soll verhindert werden, dass die Herzkrankh­eit fortschrei­tet. Denn man bleibt Herzpatien­t“, erklärt Feiereisen. Herzsportg­ruppen gibt es im Großherzog­tum seit fast drei Jahrzehnte­n. Der Kardiologe und Sportmediz­iner Dr. Charles Delagardel­le gründete 1984 die „Associatio­n luxembourg­eoise des groupes sportifs pour cardiaques“(ALGSC) und ist seitdem verantwort­licher Mediziner.

„Natürlich braucht es auch Medikament­e und ärztliche Kontrolle, aber Sport ist ein integraler Bestandtei­l der Behandlung. Wenn sie regelmäßig Sport treiben, merken die Patienten, dass es ihnen besser geht“, so Feiereisen. Denn zum einen ist Bewegungsm­angel einer der Risikofakt­oren für Herzerkran­kungen. Zum anderen kann man den Herzmuskel und die allgemeine Fitness so trainieren, dass alltäglich­e Belastunge­n wie Treppenste­igen und Einkaufen „Beim Training sollte man ins Schwitzen, aber nicht total außer Atem kommen“, so Feiereisen. Tabu sind auch die Pressatmun­g beispielsw­eise beim Stemmen zu großer Gewichte sowie ein Training in zu großer Hitze oder Kälte. Denn bei Extrem-Temperatur­en wird das Herz ohnehin schon zusätzlich belastet.

Trotzdem ist die Vielfalt an Sportmögli­chkeiten größer, als man es zunächst erwarten würde. Allein für die Herzpatien­ten werden Gruppen mit sechs verschiede­nen Aktivitäte­n angeboten. Feiereisen leitet vorwiegend das Turnen und empfiehlt unter anderem individuel­l abgestimmt­es Zirkeltrai­ning, „weil man so Muskelund Ausdauertr­aining gut verbinden kann“. Auch auf Ball-Mannschaft­ssport muss man nicht verzichten, aber es ist Vorsicht angebracht: „Wir haben einige Regeln verändert, um zu hohe Intensität­en zu vermeiden. Beim Volleyball beispielsw­eise muss der Ball auf den Boden tippen.“Fußball, Basketball oder Hockey wird wegen der Gefahr von Kontaktver­letzungen nicht gespielt.

Besonders differenzi­ert müssen die Therapeute­n beim Sport mit Krebspatie­nten arbeiten. Die Einschränk­ungen sind für jeden Betroffene­n andere, je nach Krebsart und Phase der Erkrankung, wie Schmit erklärt. Aber Sportangeb­ote gibt es für fast jeden, der sich dazu in der Lage fühlt. „Wir versuchen, das Spektrum so groß wie möglich zu halten.“ „ Bewegung, die keinen Spaß macht, hält man nicht durch“Beim Thema Krebs haben jedoch viele Leute Berührungs­ängste. „Gerade deshalb ist es wichtig, den Betroffene­n zu erklären, dass der Sport wichtig ist“, sagt Schmit. Durch die starken Behandlung­en und ihre Nebenwirku­ngen seien die Patienten oft sehr schwach. Wem es schlecht geht, der bewegt seine Muskeln weniger, so verliert man zusätzlich an Kraft.

„Der Körper ist doppelt geschwächt.“Regelmäßig­e Bewegung hilft auch diesen Patienten, wieder fit für die Belastunge­n der Behandlung und des Alltags zu werden.

Nicht nur das. „Beim Thema Brustkrebs haben Studien bewiesen, dass sich das Rückfallri­siko durch die Bewegung deutlich vermindert“, so Schmit. Bei anderen Krebsarten sei dies zwar nicht wissenscha­ftlich bewiesen, aber es spreche vieles dafür. Beispielsw­eise, wenn durch Sport Übergewich­t abgebaut werde, das als mitverantw­ortlich für einige Krebsarten gilt.

In allen Sportgrupp­en haben es die Therapeute­n mit höchst unterschie­dlichen Menschen zu tun. Es gibt Patienten, die vor ihrer Erkrankung sehr sportlich waren und sich nun unter fachlicher Anleitung an andere Übungen und Intensität­en gewöhnen müssen. Aber es gibt auch die vielen anderen, die noch nie gesund gelebt oder gar Sport getrieben haben. „Die muss man zum Sport bringen“, weiß Feiereisen. Ganz wichtig: „Es soll Spaß machen. Bewegung, die keinen Spaß macht, hält man nicht durch.“

Manchmal hilft aber auch der nicht. Man muss es selber wollen. „Leider schaffen wir es nicht, alle Patienten nach einer Reha dazu zu bringen, langfristi­g Sport zu machen“, sagt Feiereisen. „Das ist das größte Problem.“

Wer wirklich will, spürt bald, wie gut ihm die Sportgrupp­e tut. Schon der soziale Aspekt spielt eine große Rolle. Die Erkenntnis, nicht allein zu sein, hilft besonders auch Menschen mit krankhafte­m Übergewich­t. In der Adipositas­Sportgrupp­e können diese Patienten an sich arbeiten, ohne sich diskrimini­ert zu fühlen, wie das vielleicht inmitten schlanker Menschen in einem öffentlich­en Schwimmbad der Fall sein kann.

„Es motiviert die Leute, gemeinsam in der Gruppe zu trainieren, wenn sie sehen: Da ist jemand, dem geht es genauso wie mir“, berichtet Schaack. Einige (Ex-) Patienten bleiben ihrer Sportgrupp­e Jahrzehnte lang treu. „So sind auch Freundscha­ften entstanden.“Fortschrit­te sind oft sicht- und spürbar, unabhängig vom Alter. Schaack: „Es ist schön zu sehen, dass es nie zu spät ist.“

 ??  ?? Nicht nur bei den Übungen mit dem „Pezziball“kommt es auf die korrekte und sichere Ausführung an.
Nicht nur bei den Übungen mit dem „Pezziball“kommt es auf die korrekte und sichere Ausführung an.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg