Wenn der Sport wie Medizin wirkt
In der Gruppe wieder zu Selbstvertrauen und Lebensqualität finden: „Es ist nie zu spät“
Mit Bewegung gegen die Krankheit: Gesundheits-Sportgruppen helfen Menschen mit speziellen Problemen
Krank und sportlich – das klingt wie ein Widerspruch in sich. Doch Bewegung gehört unbedingt dazu, um bei bestimmten Diagnosen wieder zurück in einen lebenswerten Alltag zu finden. In speziellen Gesundheits-Sportgruppen finden Betroffene kompetente Begleitung. Und manchmal auch gute Freunde. Es ist kein leichter Weg. Nach der Diagnose einer schwerwiegenden Erkrankung und/oder einer Operation kann man meist nicht so weiterleben wie vorher. Vielleicht, weil Bewegung schmerzt, weil die Kraft fehlt oder das Selbstvertrauen. Vielleicht auch, weil man sich nicht noch mehr schaden möchte. Nach dem Klinikaufenthalt folgt oft die übliche Rehabilitation in einer entsprechenden Einrichtung. Aber dann?
Hier setzen Menschen wie die Luxemburger Kinesitherapeuten Patrick Feiereisen, Danièle Schaack und Christine Schmit an. Sie sind Experten für Gesundheits-Sportgruppen. „Wenn die Patienten nach der Reha zu uns kommen, sind sie oft unsicher, was und wie viel sie an Bewegung noch machen können“, berichtet Schaack. „Unsere Gruppen helfen den Menschen, wieder einen Einstieg in den Sport zu finden und somit auch im Alltag besser zurechtzukommen.“
Feiereisen ist Spezialist für Herzpatienten, Schaack für Menschen mit schwerwiegender Hüft- und Kniearthrose; Schmit betreut Krebspatienten. Zudem gibt es Sportgruppen für Menschen mit krankhaftem Übergewicht (Adipositas). Es geht um Sport in der Gemeinschaft, aber speziell auf die jeweiligen Erfordernisse abgestimmt. Alles geschieht unter kompetenter Anleitung und mit ärztlicher Begleitung. Der Sport ist Teil der Therapie und im Optimalfall auch fester Bestandteil des weiteren Lebens. Denn die Bewegung selbst ist Medizin.
„Ein wichtiger Faktor ist die sekundäre Prävention. Es soll verhindert werden, dass die Herzkrankheit fortschreitet. Denn man bleibt Herzpatient“, erklärt Feiereisen. Herzsportgruppen gibt es im Großherzogtum seit fast drei Jahrzehnten. Der Kardiologe und Sportmediziner Dr. Charles Delagardelle gründete 1984 die „Association luxembourgeoise des groupes sportifs pour cardiaques“(ALGSC) und ist seitdem verantwortlicher Mediziner.
„Natürlich braucht es auch Medikamente und ärztliche Kontrolle, aber Sport ist ein integraler Bestandteil der Behandlung. Wenn sie regelmäßig Sport treiben, merken die Patienten, dass es ihnen besser geht“, so Feiereisen. Denn zum einen ist Bewegungsmangel einer der Risikofaktoren für Herzerkrankungen. Zum anderen kann man den Herzmuskel und die allgemeine Fitness so trainieren, dass alltägliche Belastungen wie Treppensteigen und Einkaufen „Beim Training sollte man ins Schwitzen, aber nicht total außer Atem kommen“, so Feiereisen. Tabu sind auch die Pressatmung beispielsweise beim Stemmen zu großer Gewichte sowie ein Training in zu großer Hitze oder Kälte. Denn bei Extrem-Temperaturen wird das Herz ohnehin schon zusätzlich belastet.
Trotzdem ist die Vielfalt an Sportmöglichkeiten größer, als man es zunächst erwarten würde. Allein für die Herzpatienten werden Gruppen mit sechs verschiedenen Aktivitäten angeboten. Feiereisen leitet vorwiegend das Turnen und empfiehlt unter anderem individuell abgestimmtes Zirkeltraining, „weil man so Muskelund Ausdauertraining gut verbinden kann“. Auch auf Ball-Mannschaftssport muss man nicht verzichten, aber es ist Vorsicht angebracht: „Wir haben einige Regeln verändert, um zu hohe Intensitäten zu vermeiden. Beim Volleyball beispielsweise muss der Ball auf den Boden tippen.“Fußball, Basketball oder Hockey wird wegen der Gefahr von Kontaktverletzungen nicht gespielt.
Besonders differenziert müssen die Therapeuten beim Sport mit Krebspatienten arbeiten. Die Einschränkungen sind für jeden Betroffenen andere, je nach Krebsart und Phase der Erkrankung, wie Schmit erklärt. Aber Sportangebote gibt es für fast jeden, der sich dazu in der Lage fühlt. „Wir versuchen, das Spektrum so groß wie möglich zu halten.“ „ Bewegung, die keinen Spaß macht, hält man nicht durch“Beim Thema Krebs haben jedoch viele Leute Berührungsängste. „Gerade deshalb ist es wichtig, den Betroffenen zu erklären, dass der Sport wichtig ist“, sagt Schmit. Durch die starken Behandlungen und ihre Nebenwirkungen seien die Patienten oft sehr schwach. Wem es schlecht geht, der bewegt seine Muskeln weniger, so verliert man zusätzlich an Kraft.
„Der Körper ist doppelt geschwächt.“Regelmäßige Bewegung hilft auch diesen Patienten, wieder fit für die Belastungen der Behandlung und des Alltags zu werden.
Nicht nur das. „Beim Thema Brustkrebs haben Studien bewiesen, dass sich das Rückfallrisiko durch die Bewegung deutlich vermindert“, so Schmit. Bei anderen Krebsarten sei dies zwar nicht wissenschaftlich bewiesen, aber es spreche vieles dafür. Beispielsweise, wenn durch Sport Übergewicht abgebaut werde, das als mitverantwortlich für einige Krebsarten gilt.
In allen Sportgruppen haben es die Therapeuten mit höchst unterschiedlichen Menschen zu tun. Es gibt Patienten, die vor ihrer Erkrankung sehr sportlich waren und sich nun unter fachlicher Anleitung an andere Übungen und Intensitäten gewöhnen müssen. Aber es gibt auch die vielen anderen, die noch nie gesund gelebt oder gar Sport getrieben haben. „Die muss man zum Sport bringen“, weiß Feiereisen. Ganz wichtig: „Es soll Spaß machen. Bewegung, die keinen Spaß macht, hält man nicht durch.“
Manchmal hilft aber auch der nicht. Man muss es selber wollen. „Leider schaffen wir es nicht, alle Patienten nach einer Reha dazu zu bringen, langfristig Sport zu machen“, sagt Feiereisen. „Das ist das größte Problem.“
Wer wirklich will, spürt bald, wie gut ihm die Sportgruppe tut. Schon der soziale Aspekt spielt eine große Rolle. Die Erkenntnis, nicht allein zu sein, hilft besonders auch Menschen mit krankhaftem Übergewicht. In der AdipositasSportgruppe können diese Patienten an sich arbeiten, ohne sich diskriminiert zu fühlen, wie das vielleicht inmitten schlanker Menschen in einem öffentlichen Schwimmbad der Fall sein kann.
„Es motiviert die Leute, gemeinsam in der Gruppe zu trainieren, wenn sie sehen: Da ist jemand, dem geht es genauso wie mir“, berichtet Schaack. Einige (Ex-) Patienten bleiben ihrer Sportgruppe Jahrzehnte lang treu. „So sind auch Freundschaften entstanden.“Fortschritte sind oft sicht- und spürbar, unabhängig vom Alter. Schaack: „Es ist schön zu sehen, dass es nie zu spät ist.“