Mensch oder Mechanik
Fast dreißig Jahre sind es schon her: Nach den Wahlen von 1984 war mit Pierre Werner zuletzt ein Informateur vom Großherzog eingesetzt worden. Die Erklärung lag allerdings weniger in einer ungewissen Koalitionsbildung als in einer letzten Ehrerweisung an den langjährigen Regierungschef. Die lange Pause erklärt vielleicht die Unsicherheiten, welche am Morgen des 21. Oktober bestanden, über die Art und Weise, wie eine neue Regierung zustande kommen würde. Sie erklärt wohl auch die vielleicht erstaunlichste Aussage in den ersten Tagen nach den Wahlen, als die Präsidenten von Déi Gréng ausgerechnet Xavier Bettel als Informateur vorschlugen. Dass der Informateur DP-nah sein sollte war, angesichts der Königsmacherrolle der Liberalen, sicherlich nicht abwegig. Aber vom Profil hätte doch eher eine emeritierte Persönlichkeit wie Colette Flesch in die Rolle gepasst. Sowohl die Freiheiten, die sich Einzelne ins „colloque singulier“gerufene Parteipräsidenten in ihrer Interpretation des Gemützustands von Großherzog Henri nahmen, als vor allem auch die Klagen aus CSV-Reihen, dass die zukünftigen Koalitionäre es durch ihre Vorgespräche an Respekt gegenüber dem Staatschef fehlen lassen würden, haben dabei für kurze Zeit den Eindruck entstehen lassen, dass der Großherzog eine bestimmende Rolle bei der Zusammensetzung der neuen Regierung einnehmen könnte. Eine in einer parlamentarischen Demokratie politisch doch abenteuerliche Unterstellung. Seither wird diskutiert, ob die einzelnen Schritte zur Regierungsbildung nicht explizit in der Verfassung verankert werden sollten. Heute ist einzig festgehalten, dass Ernennung und Amtsenthebung der Regierungsmitglieder vom Großherzog vorgenommen werden. Alternativen zu dieser Gestaltungsfreiheit sind vorstellbar: die Ungewissheit einer menschlichen Entscheidung durch eine vorgegebene, mechanische Prozedur ersetzen. Dies würde jedoch zwangsläufig auf das Prinzip des Initiativrechts der größten Fraktion im neu gewählten Parlament hinauslaufen. Ob die Chuzpe, mit welcher das Duo Bettel und Schneider nach der Regierungsmehrheit gegriffen haben, ein solches Prozedere überstanden hätte, ist nicht sicher. Die Niederlande haben die Möglichkeit, einen oder mehrere Informateure oder Formateure zu ernennen in der Tat formalisiert und diese Rolle, welche traditionell beim Monarchen lag, 2012 dem Unterhaus zuerkannt. Die Vorstellung, dass die erste Sitzung eines neu gewählten Parlaments mit der Frage der Ernennung eines Informateurs oder Formateurs gleich im Parteienstreit endet, besitzt jedoch nur begrenzten Charme. Die größte Erfahrung mit schwierigen Regierungsbildungen haben zweifelsohne unsere belgischen Nachbarn. Das Land verdankt so manche seiner Regierungsmehrheiten den überparteilichen Impulsen, welche der König über die Ernennung von Informateuren und Formateuren geben kann. Die Erfahrung zeigt, wie nützlich die Beruhigung der Gemüter durch den Formalismus, welcher mit den Handlungen des Staatschefs einhergeht, sein kann. Großherzog Henri hat mit der Ernennung eines apolitischen Informateurs in der Nachwahlwoche eben diesen Effekt erzielt – auch wenn dem Informateur diese Rolle sichtlich nicht ganz geheuer war.
jean-lou.siweck@wort.lu