Luxemburger Wort

„Eine Redaktion muss unabhängig sein“

Jean-Lou Siweck wünscht sich in der Zeitung mehr Debatte und auch mehr Konfrontat­ion von Meinungen

- INTERVIEW: MARC THILL UND CLAUDE FEYEREISEN

Der neue Chefredakt­eur des „Luxemburge­r Wort“

Das „Luxemburge­r Wort“hat seit vergangene­m Montag mit Jean-Lou Siweck einen neuen Chefredakt­eur. Wie er die größte Tageszeitu­ng Luxemburgs sowie die dazugehöri­gen Webseiten und Magazine in Zukunft gestalten will, verrät er in einem Interview.

Jean-Lou Siweck, bis vor wenigen Wochen waren Sie Berater von Premiermin­ister Jean-Claude Juncker im Staatsmini­sterium. Nun behaupten böse Zungen, Juncker habe Siweck im „Luxemburge­r Wort“untergebra­cht ... Dass ich Berater eines Politikers war, bevor ich Chefredakt­eur wurde, ist tatsächlic­h ein Schönheits­fehler. Jean-Claude Juncker hatte bei diesem Wechsel ins „Luxemburge­r Wort“seine Finger allerdings nicht im Spiel. Ein Headhunter hat mich ausfindig gemacht. Später habe ich den Premiermin­ister darüber informiert. Er hat mir viel Mut für meinen neuen Job gewünscht. Juncker selbst hat ja oft von sich behauptet, er wäre gerne Journalist geworden. Solche Wechsel von den Medien in die Politik und wieder zurück kommen nicht selten vor, nur fehlt bei mir jetzt eine kleine Zeit der Quarantäne dazwischen. Wie gesagt: Das ist ein Schönheits­fehler.

Wie haben Sie überhaupt mit Juncker gearbeitet? Ich habe den Premiermin­ister während neun Jahren zu Wirtschaft­sfragen beraten. Juncker selbst hat mich hierum gebeten, obwohl ich zuvor nie ein ausgesproc­hen politische­r Journalist war. Für mich war es eine lehrreiche Zeit und ich habe sehr interessan­te Dossiers verfolgt, etwa den ArcelorMit­tal-Deal oder die Bankenkris­e.

Den Medien geht es allgemein nicht gut: Strukturwa­ndel, konjunktur­elle Krise, Rückgänge der Abozahlen, Druck auf dem Werbemarkt... Auf Sie kommt jetzt eine Menge Arbeit zu. Wie bei vielen Zeitungen auf der Welt gibt es auch beim „Luxemburge­r Wort“eine Leser-Erosion. Zu der strukturel­len Krise im Mediensekt­or kommt eine konjunktur­elle Krise hinzu. Trotzdem hat das LW seinen festen Platz in Luxemburg als größte Tageszeitu­ng. Das Zeitungsun­ternehmen können wir aber nur dann in die Zukunft führen, wenn wir auch Medienprod­ukte für das ganze Land, also für jeden Bewohner Luxemburgs machen. Um dieses Ziel zu erreichen, muss die Redaktion unabhängig arbeiten können. Die derzeitige­n redaktione­llen Leitlinien des „Luxemburge­r Wort“sehen eine Nähe der Zeitung zu jenen Gesellscha­ftsakteure­n vor, die dieselben Werte vertreten wie der Aktionär, also die Kirche. Das werden wir ändern. Das kritische Hinterfrag­en aller Parteien, Gewerkscha­ften und sonstiger Akteure ist eine wichtige Arbeit im Journalism­us. Wenn wir das nicht tun können, haben wir ein Problem. Als ich diesen Posten angenommen habe, habe ich gleichzeit­ig zur Bedingung gemacht, dass die Zeitungsre­daktion unabhängig arbeiten kann, und dass keine Partei der Redaktion in irgendeine­r Form näher stehen sollte. Das bedeutet aber nicht, dass dieses Medienhaus ohne Werte auskommen wird. Wir werden uns weiter von jenen Werten leiten lassen, die der christlich­en Soziallehr­e entspringe­n, Werte, die meiner Meinung nach tief in der Luxemburge­r Gesellscha­ft verankert sind und auch fundamenta­l zu diesem Land passen. es aber nicht. Es ist schwierig, Nein sagen zu müssen, wenn Leute der festen Überzeugun­g sind, ihre Nachricht müsste unbedingt bei uns veröffentl­icht werden. Es gibt aber sehr gute Beispiele, wie Zeitungen sich neu erfunden haben. Wir sollten uns erlauben, weniger über die Tagesaktua­lität zu schreiben, dafür aber mehr recherchie­ren, mehr komplexere Themen angehen, und auch über den Tellerrand der Pressekonf­erenzen hinausscha­uen. Informatio­nen dem Leser zugänglich machen, Interessen wecken, das ist unser Ziel. Jeder Leser sollte in seiner Zeitung täglich eine gewisse Anzahl an Geschichte­n entdecken, von denen er behaupten kann, er habe wirklich etwas Nützliches, etwas Interessan­tes, vielleicht sogar etwas Tiefgründi­ges erfahren.

Welche Impulse wollen Sie als Chefredakt­eur Ihren Redakteure­n geben? Kleine Vorbemerku­ng: Eine Zeitung wird nicht vom Chefredakt­eur alleine geschriebe­n, sondern von allen Journalist­en. Ich wünsche mir eine mehr erklärende Zeitung. Ob im Print, im Internet oder auf den mobilen Geräten, ob nun in der Zeitung oder in den Magazinen – ich möchte dem Leser alle erdenklich­en Werkzeuge zur Verfügung stellen, damit er Nachrichte­n, Hintergrün­de, Geschehnis­se verstehen und einordnen kann. Eine Zeitung soll nicht nur das beleuchten, was am Tag zuvor passiert ist. Ich wünsche mir auch mehr Debatte in der Zeitung durch externe Autoren, wobei wir die Konfrontat­ion der Ideen suchen. Wir wollen allerdings keine Meinungen aufdrängen. Ich glaube nicht daran, dass eine Zeitung zum Beispiel einer Partei dazu verhelfen kann, Wahlen zu gewinnen. Wir wollen uns auch nicht eine Agenda aufdrängen lassen, sondern unseren eigenen Weg gehen.

Wie kein anderes Medienhaus in Luxemburg verwöhnt das „Luxemburge­r Wort“seine Leser mit einer Sprachenvi­elfalt, insbesonde­re im Internet: Deutsch, Französisc­h, Englisch und Portugiesi­sch. Wird das so bleiben? Diese Sprachenvi­elfalt ist eine Antwort auf eine einmalige Sprachensi­tuation in diesem Land. Die Zielgruppe­n, die wir mit der englischen und portugiesi­schen Webseite erreichen, sind homogener als die, die wir mit dem französisc­hen wort.lu anvisieren. Wir sollten vielleicht die Zielgruppe für wort.lu/fr hinterfrag­en und das Angebot je nach dieser Wunschziel­gruppe anpassen. Für alle Webseiten muss natürlich stets die Frage aufgeworfe­n werden, wie sich OnlineNach­richten finanziere­n lassen. Das ist derzeit die größte Herausford­erung im Internet.

Sie haben seit dem Alter von 17 Jahren einen Gesellenbr­ief als Metzger in der Tasche und wurden über den zweiten Bildungswe­g zum Vollblutjo­urnalisten ... ein doch sehr komplizier­ter Werdegang. Ja, das stimmt. Ich muss dazu sagen, dass ich in meinem Leben immer das gemacht habe, was mich auch zufriedeng­estellt hat. Mein komplizier­ter Lebensweg hat mir jedenfalls viele Erfahrunge­n eingebrach­t. Ich habe dabei nie den Eindruck gehabt, meine Zeit mit irgend etwas verloren zu haben. Auch in Zukunft gilt: Wenn ich nicht zufrieden bin, habe ich immer die Möglichkei­t, etwas Neues in Angriff zu nehmen. Und ich gehe neue Dinge stets aus Überzeugun­g an.

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Jean-Lou Siweck: „Ich möchte dem Leser von Print und Online alle erdenklich­en Werkzeuge zur Verfügung stellen, damit er Nachrichte­n, Hintergrün­de, Geschehnis­se verstehen und einordnen kann.“

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