„Eine Redaktion muss unabhängig sein“
Jean-Lou Siweck wünscht sich in der Zeitung mehr Debatte und auch mehr Konfrontation von Meinungen
Der neue Chefredakteur des „Luxemburger Wort“
Das „Luxemburger Wort“hat seit vergangenem Montag mit Jean-Lou Siweck einen neuen Chefredakteur. Wie er die größte Tageszeitung Luxemburgs sowie die dazugehörigen Webseiten und Magazine in Zukunft gestalten will, verrät er in einem Interview.
Jean-Lou Siweck, bis vor wenigen Wochen waren Sie Berater von Premierminister Jean-Claude Juncker im Staatsministerium. Nun behaupten böse Zungen, Juncker habe Siweck im „Luxemburger Wort“untergebracht ... Dass ich Berater eines Politikers war, bevor ich Chefredakteur wurde, ist tatsächlich ein Schönheitsfehler. Jean-Claude Juncker hatte bei diesem Wechsel ins „Luxemburger Wort“seine Finger allerdings nicht im Spiel. Ein Headhunter hat mich ausfindig gemacht. Später habe ich den Premierminister darüber informiert. Er hat mir viel Mut für meinen neuen Job gewünscht. Juncker selbst hat ja oft von sich behauptet, er wäre gerne Journalist geworden. Solche Wechsel von den Medien in die Politik und wieder zurück kommen nicht selten vor, nur fehlt bei mir jetzt eine kleine Zeit der Quarantäne dazwischen. Wie gesagt: Das ist ein Schönheitsfehler.
Wie haben Sie überhaupt mit Juncker gearbeitet? Ich habe den Premierminister während neun Jahren zu Wirtschaftsfragen beraten. Juncker selbst hat mich hierum gebeten, obwohl ich zuvor nie ein ausgesprochen politischer Journalist war. Für mich war es eine lehrreiche Zeit und ich habe sehr interessante Dossiers verfolgt, etwa den ArcelorMittal-Deal oder die Bankenkrise.
Den Medien geht es allgemein nicht gut: Strukturwandel, konjunkturelle Krise, Rückgänge der Abozahlen, Druck auf dem Werbemarkt... Auf Sie kommt jetzt eine Menge Arbeit zu. Wie bei vielen Zeitungen auf der Welt gibt es auch beim „Luxemburger Wort“eine Leser-Erosion. Zu der strukturellen Krise im Mediensektor kommt eine konjunkturelle Krise hinzu. Trotzdem hat das LW seinen festen Platz in Luxemburg als größte Tageszeitung. Das Zeitungsunternehmen können wir aber nur dann in die Zukunft führen, wenn wir auch Medienprodukte für das ganze Land, also für jeden Bewohner Luxemburgs machen. Um dieses Ziel zu erreichen, muss die Redaktion unabhängig arbeiten können. Die derzeitigen redaktionellen Leitlinien des „Luxemburger Wort“sehen eine Nähe der Zeitung zu jenen Gesellschaftsakteuren vor, die dieselben Werte vertreten wie der Aktionär, also die Kirche. Das werden wir ändern. Das kritische Hinterfragen aller Parteien, Gewerkschaften und sonstiger Akteure ist eine wichtige Arbeit im Journalismus. Wenn wir das nicht tun können, haben wir ein Problem. Als ich diesen Posten angenommen habe, habe ich gleichzeitig zur Bedingung gemacht, dass die Zeitungsredaktion unabhängig arbeiten kann, und dass keine Partei der Redaktion in irgendeiner Form näher stehen sollte. Das bedeutet aber nicht, dass dieses Medienhaus ohne Werte auskommen wird. Wir werden uns weiter von jenen Werten leiten lassen, die der christlichen Soziallehre entspringen, Werte, die meiner Meinung nach tief in der Luxemburger Gesellschaft verankert sind und auch fundamental zu diesem Land passen. es aber nicht. Es ist schwierig, Nein sagen zu müssen, wenn Leute der festen Überzeugung sind, ihre Nachricht müsste unbedingt bei uns veröffentlicht werden. Es gibt aber sehr gute Beispiele, wie Zeitungen sich neu erfunden haben. Wir sollten uns erlauben, weniger über die Tagesaktualität zu schreiben, dafür aber mehr recherchieren, mehr komplexere Themen angehen, und auch über den Tellerrand der Pressekonferenzen hinausschauen. Informationen dem Leser zugänglich machen, Interessen wecken, das ist unser Ziel. Jeder Leser sollte in seiner Zeitung täglich eine gewisse Anzahl an Geschichten entdecken, von denen er behaupten kann, er habe wirklich etwas Nützliches, etwas Interessantes, vielleicht sogar etwas Tiefgründiges erfahren.
Welche Impulse wollen Sie als Chefredakteur Ihren Redakteuren geben? Kleine Vorbemerkung: Eine Zeitung wird nicht vom Chefredakteur alleine geschrieben, sondern von allen Journalisten. Ich wünsche mir eine mehr erklärende Zeitung. Ob im Print, im Internet oder auf den mobilen Geräten, ob nun in der Zeitung oder in den Magazinen – ich möchte dem Leser alle erdenklichen Werkzeuge zur Verfügung stellen, damit er Nachrichten, Hintergründe, Geschehnisse verstehen und einordnen kann. Eine Zeitung soll nicht nur das beleuchten, was am Tag zuvor passiert ist. Ich wünsche mir auch mehr Debatte in der Zeitung durch externe Autoren, wobei wir die Konfrontation der Ideen suchen. Wir wollen allerdings keine Meinungen aufdrängen. Ich glaube nicht daran, dass eine Zeitung zum Beispiel einer Partei dazu verhelfen kann, Wahlen zu gewinnen. Wir wollen uns auch nicht eine Agenda aufdrängen lassen, sondern unseren eigenen Weg gehen.
Wie kein anderes Medienhaus in Luxemburg verwöhnt das „Luxemburger Wort“seine Leser mit einer Sprachenvielfalt, insbesondere im Internet: Deutsch, Französisch, Englisch und Portugiesisch. Wird das so bleiben? Diese Sprachenvielfalt ist eine Antwort auf eine einmalige Sprachensituation in diesem Land. Die Zielgruppen, die wir mit der englischen und portugiesischen Webseite erreichen, sind homogener als die, die wir mit dem französischen wort.lu anvisieren. Wir sollten vielleicht die Zielgruppe für wort.lu/fr hinterfragen und das Angebot je nach dieser Wunschzielgruppe anpassen. Für alle Webseiten muss natürlich stets die Frage aufgeworfen werden, wie sich OnlineNachrichten finanzieren lassen. Das ist derzeit die größte Herausforderung im Internet.
Sie haben seit dem Alter von 17 Jahren einen Gesellenbrief als Metzger in der Tasche und wurden über den zweiten Bildungsweg zum Vollblutjournalisten ... ein doch sehr komplizierter Werdegang. Ja, das stimmt. Ich muss dazu sagen, dass ich in meinem Leben immer das gemacht habe, was mich auch zufriedengestellt hat. Mein komplizierter Lebensweg hat mir jedenfalls viele Erfahrungen eingebracht. Ich habe dabei nie den Eindruck gehabt, meine Zeit mit irgend etwas verloren zu haben. Auch in Zukunft gilt: Wenn ich nicht zufrieden bin, habe ich immer die Möglichkeit, etwas Neues in Angriff zu nehmen. Und ich gehe neue Dinge stets aus Überzeugung an.