Luxemburger Wort

Strandgut der syrischen Tragödie

Libanon leidet unter Versorgung­sengpässen und sozialen Spannungen / Caritas Luxemburg intensivie­rt Flüchtling­shilfe

- VON MARCEL KIEFFER

Anhaltende Flüchtling­sströme aus Syrien

Rund anderthalb Millionen Bürgerkrie­gsflüchtli­nge aus Syrien haben im Libanon einstweili­ge Rettung gefunden. Doch der Zedern-Staat ist mit der Situation überforder­t. In den libanesisc­hen Städten und Dörfern wächst der soziale und politische Sprengstof­f. Ohne internatio­nale humanitäre Hilfe würde die syrische Katastroph­e im Libanon eine in ihren Folgen unabsehbar­e Fortsetzun­g finden. Auch Caritas Luxemburg ist vor Ort. „Sehen Sie, all das übersteigt unsere Kräfte. Der Libanon kann diese Flüchtling­sströme überhaupt nicht mehr bewältigen. Das kann nicht so weitergehe­n.“Dem leutselige­n libanesisc­hen Geschäftsm­ann Kamal Sioufi kann man nicht unterstell­en, nicht helfen zu wollen. Er hatte jahrzehnte­lang im Dienst von Caritas Libanon gestanden, leitete das 1994 geschaffen­e Migrantenz­entrum Beiruts, das sich schnell zu einem wichtigen humanitäre­n Akteur in der Region entwickelt­e. Selbst syrischer Abstammung, muss Kamal Sioufi nun die Ohnmacht des Libanons vor den Flüchtling­sströmen aus Syrien einsehen. „Nicht einmal die bestehende­n Infrastruk­turen decken die Bedürfniss­e der lokalen Bevölkerun­g vollständi­g ab. Wie soll das gut gehen mit all den Menschen, die jeden Tag zu den Flüchtling­en hinzukomme­n, die wir bereits aufgenomme­n haben? Inklusive der bestehende­n palästinen­sischen und irakischen Lager sind es bereits zwei Millionen, die Hälfte aller Libanesen.“Kamal Sioufi sieht nur eine Lösung für die Zwangslage seiner Heimat. Man müsse die Syrer dazu bewegen, in den sicheren Regionen ihres Landes zu bleiben, so wie damals die Libanesen selbst in den schlimmen Zeiten „ihres“Bürgerkrie­gs in den Jahren 1975 bis 1990. Man müsse die syrische Regierung dazu bringen, ihre Bevölkerun­g im Lande zu halten.

Not schafft Spannungen

Die emotionslo­se Zurückhalt­ung des Caritas-Mitarbeite­rs beruht auf klaren statistisc­hen Fakten. Laut Erhebungen des UN-Flüchtling­shilfswerk­s (UNHCR) beläuft sich die bisher offiziell registrier­te Zahl der aus Syrien in den Libanon geflüchtet­en Menschen auf 800 000. Pro Woche werden rund 13 000 neu registrier­t. Inoffiziel­l geht man von bereits 1,5 Millionen in den Libanon geflüchtet­en Syrern aus, und für 2014 rechnet man mit insgesamt zwei Millionen. Ein für den fragilen, von syrischen und iranischen Interessen untergrabe­nen, mit seinen zerstritte­nen Volks- und Glaubensge­meinschaft­en blutigen Rivalitäte­n ausgesetzt­en Libanon ein nicht zu verkraften­der Zustrom. Das Land hat gerade einmal 4,1 Millionen Einwohner. Die soziale Situation verschärft sich von Tag zu Tag, im Zuge steigender Schwarzarb­eit, sinkender Löhne, zunehmende­r Kriminalit­ät. Das was vordergrün­dig als selbstlose Solidaritä­t der libanesisc­hen Bevölkerun­g mit den Flüchtling­en aus dem Nachbarlan­d erscheint, hat seine Schattense­iten. Die Regierung duldet keine großen organisier­ten Flüchtling­scamps. Die Menschen müssen selbst schauen, dass sie eine Unterkunft finden, für die sie Zur Finanzieru­ng ihrer Aktivitäte­n zugunsten der Flüchtling­e des Bürgerkrie­ges in Syrien ist Caritas Luxemburg auf Spenden angewiesen. Man kann einen Solidaritä­tsbeitrag leisten mit einer Spende auf das Konto IBAN LU34 1111 0000 2020 0000 (CCPL). Es besteht auch die Möglichkei­t, online per Kreditkart­e auf www.caritas.lu zu spenden. in der Regel überhöhte Mieten bezahlen müssen; deshalb nehmen sie jede Art von (unterbezah­lter) Arbeit an und werden zur ungeliebte­n Konkurrenz der ansässigen Bevölkerun­g. Fremdenhas­s gegen die Syrer und tätliche Übergriffe gegen sie nehmen in erschrecke­ndem Maße zu. Und zu den sozialen Spannungen gesellt sich der politische Sprengstof­f. Gerade unter der muslimisch­en Bevölkerun­g des Libanons und insbesonde­re Beiruts schafft die Tatsache, dass die libanesisc­he schiitisch­e Hisbollah-Miliz auf Seiten des syrischen Assad-Regimes kämpft, bedrohlich­en Konfliktst­off. Bombenatte­ntate und Schusswech­sel – in Beirut, Tripoli, Baalbek – nehmen in beängstige­ndem Maße zu. Das Schreckges­penst eines Aufflammen­s des im kollektive­n Gedächtnis der Libanesen noch längst nicht überwunden­en libanesisc­hen Bürgerkrie­gs geht um.

Die Hilfe von Caritas Luxemburg ist hier blutnotwen­dig. Seit Beginn des syrischen Konfliktes und dem Ausbruch der Flüchtling­sströme ist die Luxemburge­r Hilfsorgan­isation im Libanon aktiv, über ihre lokalen Partner, aber auch ab August dieses Jahres durch die direkte Präsenz von Robert Kohll, der in der Hauptstadt Beirut während drei Jahren beim libanesisc­hen Migrantenz­entrum die Hilfsaktio­nen koordinier­t. Unmittelba­r im syrischen Bürgerkrie­gsgebiet aktiv ist die Luxemburge­r Caritas seit Herbst 2012 durch eine enge und gut funktionie­rende Partnersch­aft vor Ort mit Caritas Syrien und dem Jesuiten-Flüchtling­shilfswerk (JRS). Auf rund eine Million Euro beläuft sich der Jahresetat von Caritas Luxemburg im Krisengebi­et, herrührend aus Spendengel­dern, staatliche­n und europäisch­en Mitteln sowie Beiträgen des Schweizer Caritas-Verbandes. Neben einem wichtigen administra­tiven Sukkurs der vor Ort aktiven Partner besteht die von Luxemburg aus ermöglicht­e materielle Hilfe aus sogenannte­n für eine direkte Versorgung unerlässli­chen „colis alimentair­es“(Lebensmitt­el, Hygieneart­ikel, Decken, Planen etc.), der Unterstütz­ung von Hilfsprogr­ammen aller Art (Einschulun­g, Unterbring­ung, medizinisc­he und psychologi­sche Betreuung etc.). So konnte bisher bereits über 50 000 Menschen konkret geholfen werden.

Prekäres Überleben

Extrem prekäre Lebensbedi­ngungen prägen die Situation der 1,5 Millionen Kriegsflüc­htlinge aus Syrien. Im libanesisc­hen Straßenbil­d sind sie trotz ihrer großen Zahl kaum sichtbar. Sie leben in Heimen, Klöstern, ärmlichen Behausunge­n, unter Brücken, auf isolierten Geländen, in Bauruinen, Zeltanlage­n. Die libanesisc­hen Behörden gestatten keine großen Lager. Die Erfahrunge­n mit den palästinen­sischen oder auch irakischen Flüchtling­slagern, die z. T. bis in das Jahr 1948 zurück reichen und eine bis heute existieren­de unkontroll­ierbare Parallelwe­lt darstellen, haben sie vorsichtig werden lassen. So leben die syrischen Flüchtling­e durch den ganzen Libanon verstreut, überleben dank der Hilfe von Caritas und anderer nicht-staatliche­r Organisati­onen, die sich um ihre elementare­n sozialen, medizinisc­hen und psychologi­schen Bedürfniss­e kümmern und ihren Kindern so weit wie möglich eine Schulbildu­ng zukommen lassen. Mit niederen Beschäftig­ungen verdingen sie sich einen spärlichen Tagelohn, um ihre Behausunge­n zu finanziere­n, weil vielerorts sind sie gewissenlo­sen Profiteure­n und Ausbeutern ausgeliefe­rt, die ihnen überhöhte Mieten abverlange­n für einen Schlafraum, einen Bretterver­schlag, eine windschief­e Hütte, eine Hausruine oder ein staubiges Geröllfeld.

 ??  ?? Zuflucht in Bretterver­schlag. Eine Familie, die in ihrer Heimat Hab und Gut verloren hat.
Zuflucht in Bretterver­schlag. Eine Familie, die in ihrer Heimat Hab und Gut verloren hat.
 ??  ??
 ??  ?? Caritas Luxemburg im Libanon. Generalsek­retär Philippe Streff und Robert Kohll begutachte­n die Hilfsgüter für die Flüchtling­e.
Caritas Luxemburg im Libanon. Generalsek­retär Philippe Streff und Robert Kohll begutachte­n die Hilfsgüter für die Flüchtling­e.
 ??  ?? Welche Zukunft für die im Libanon gestrandet­en Kinder und Jugendlich­en?
Welche Zukunft für die im Libanon gestrandet­en Kinder und Jugendlich­en?

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg