Koalitionswunsch lässt sich nicht aus Wahlresultat herauslesen
Der „Wählerwille“
Spätestens seit den Kammerwahlen ist das Wort „Wählerwille“in aller Munde und wird regelrecht missbraucht. Einige spotten, dass es sogar zum Unwort des Jahres gekürt werden könnte. Doch was ist der „Wählerwille“eigentlich? Es ist recht simpel; es ist die Entscheidung des Wählers für oder gegen eine Partei. Diese haben die wahlberechtigten Einwohner Luxemburgs bei den Wahlen ausgedrückt.
Eine bestimmte Partei – die CSV – hat sich seit den Wahlen mehrmals darauf berufen, dass der Wille des Wählers durch eine Koalition zwischen der „DP“, der „LSAP“und „déi gréng“nicht respektiert werden würde. Dieses „Argument“wurde dann auch von breiten Teilen der Bevölkerung übernommen.
Dies ist aber nur eine subjektive Auffassung des „Wählerwillens“. Denn auch die Befürworter einer Dreierkoalition könnten sich das Argument des Wählerwillens so zunutze machen, dass eine solche vom Wähler gewollt sei. Solange keine Partei die absolute Majorität erlangt, lässt unser Wahlsystem keine annehmbaren Interpretationen des „Wählerwillens“zu! Welche Koalition die Wähler schlussendlich wollten, lässt sich nicht aus dem Wahlresultat herauslesen!
Die Wähler wählen die Mitglieder der Abgeordnetenkammer, nicht die Regierung. Die Zusammensetzung der Regierung wird zwar vom Wahlresultat beeinflusst, sie wird aber nicht direkt vom Volk gewählt. Jede Mehrheit ist also absolut demokratisch legitimiert. Ob der Wähler diese oder jene Koalition nun schlussendlich wollte, wird außen vor gelassen und lässt sich nicht erfassen.
Wäre es denn nicht besser, wenn der Wähler auch seine Wunschkoalition auswählen könnte? Diese Frage hat sich bis zu den letzten Wahlen kaum jemand gestellt.
Immer nahmen es die Wähler hin, dass die CSV als stärkste Partei den Premierminister stellen konnte, auch wenn diese weit von einer absoluten Majorität entfernt war. Nun, wo diese als stärkste Partei wahrscheinlich in die Opposition geschickt wird, fordern viele Menschen, man solle sie durch ein Referendum über ihre Wunschkoalition entscheiden lassen.
Ich persönlich würde es unfair finden, einen demokratisch legitimierten Wechsel durch solche Praktiken zu erschweren.
Das Wahlresultat wird maßgeblich durch die Bezirkstrennung beeinflusst. Proportional würden auf nationaler Ebene 1,67 Prozent der Stimmen einem Sitz entsprechen. Hier merkt man, dass unser Wahlsystem größere Parteien bevorzugt: Die CSV hat für jede 1,45 Prozent einen Sitz bekommen, während die Piratenpartei mit 2,94 Prozent der Stimmen nicht in der Kammer vertreten ist.
Insgesamt spiegeln sich sechs Prozent der Stimmen nicht in der Parlamentsbildung wider. Dies scheint jedoch kaum jemanden zu kümmern ...
Wenn man den „Wählerwillen“in Luxemburg analysiert, fällt einem auf, dass er ganz falsch interpretiert wird. Dass er vielleicht nicht respektiert wird, liegt nicht daran, dass nicht der meistgewählte Kandidat zum Formateur ernannt wurde, sondern viel mehr an unserem Wahlsystem.
Reformen könnten unser Wahlsystem gerechter gestalten: Die vier Bezirke könnten zu einem Großen fusionieren und das Wahlrecht könnte auf nicht-luxemburgische Mitbürger sowie auf Unter18-Jährige ausgeweitet werden. Ich bin zuversichtlich, dass die nächste Regierung eine größere Diskussion über das Wahlrecht anstimmen wird, sodass mehr Menschen eine Stimme haben werden.
Vielleicht kann sich schon die nächste Regierung auf eine breite Mehrheit des Volkes stützen. Solange mehr als die Hälfte der Einwohner vom Wahlrecht ausgeschlossen bleibt, ist eine Regierung streng genommen nicht legitim.
Kim Greis