Zu derb, um wirklich witzig zu sein
CDU-Vorsitzende Kramp-Karrenbauer erntet mit Scherzen Empörung
Im Deutschen Bundestag hat man sie noch nicht gesehen, die „LatteMacchiato-Fraktion“. Annegret Kramp-Karrenbauer aber kennt sie genau. Das sind jene in Berlin, „die die Toiletten für das dritte Geschlecht einführen“. Sagte die Chefin der CDU beim „Stockacher Narrengericht“, einer traditionellen Fastnachtsveranstaltung im Badischen, knapp 800 Kilometer von der deutschen Hauptstadt entfernt. Und fügte hinzu: „Das ist für die Männer, die noch nicht wissen, ob sie noch stehen dürfen beim Pinkeln oder schon sitzen müssen“.
In Stockach, am sogenannten Schmutzigen Donnerstag, war der Jubel groß. Anderswo aber, auch und gerade in der Hauptstadt im Regierungsviertel, sind viele empört. „Auch an Karneval absolut respektlos“twitterte SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil, „zum Fremdschämen“befand der FDPAbgeordnete Jens Brandenburg – und sein grüner Kollege Sven Lehmann erkundigte sich: „Haben Sie es wirklich nötig, für einen billigen Kalauer sich auf Kosten von inter- und transsexuellen Menschen lustig zu machen?“Verständnis äußerten allein CDUParlamentarier. „Ey Leute“, twitterte Johannes Steiniger, „das ist ne Fasnachts-Nummer. Mir geht diese Empörungskultur so was auf den Keks.“
Kramp-Karrenbauers Kritiker halten von der Reiner-Faschingsscherz-Auslegung nichts. Sie erinnerten sich sofort daran, wie die damalige saarländische Ministerpräsidentin die gleichgeschlechtliche Ehe in Verbindung brachte mit Polygamie und Inzest. Es war keine Gleichsetzung – aber sehr leicht so zu verstehen. So wie nun der Witz über die Sitzpinkler zugleich als Attacke auf Intersexuelle. Prompt kommentierte am Sonntag Michael Müller, der Regierende Bürgermeister von Berlin: „Auch hinter dem Humor steht immer eine Haltung.“
Auch im politischen Alltagsgeschäft positioniert sich die neue CDU-Chefin häufig klar konservativer als ihre Vorgängerin, Bundeskanzlerin Angela Merkel. Das ist nicht das Einzige, was die beiden unterscheidet. Merkel pflegt ihren aus Ironie und Schärfe gemischten Humor ausschließlich im kleinen Kreis – Kramp-Karrenbauer dagegen geht seit 2011 in die Bütt: als „Putzfrau Gretl“verspottet sie auf Saarländisch Lokal- bis Weltpolitik so derb, wie es zum Karneval gehört.
Ruf nach Entschuldigung „Büttenreden“, beschied Regierungssprecher Steffen Seibert am Dienstag die Bundespressekonferenz, „kommentiere ich nicht.“Jede Silbe klang nach Distanzierung. Im Kanzleramt hatten sie längst gemerkt, gegen welche Regeln Kramp-Karrenbauer verstoßen hat. Auch wenn Satire alles darf: Die CDU-Vorsitzende ist keine Satirikerin – aber vielleicht künftige Kanzlerin. Als VolksparteiChefin hat sie Provinz und Hauptstadt zu Gegnern erklärt – als wäre Deutschland nicht genau deshalb schon gereizt genug. Und schließlich geht es im Karneval darum, dass die Ohnmächtigen die Mächtigen provozieren und vorführen dürfen, ausnahmsweise; aber eben nicht andersherum.
Die Lesben und Schwulen in der Union (LSU) jedenfalls fühlen sich verletzt. Ihr Vorsitzender Alexander Vogt sagte gestern: „Natürlich ist eine Entschuldigung fällig.“