Luxemburger Wort

Zehntausen­de Benutzerko­nten gefährdet

- V O N M I C H E L T H I E L

Ein Datenleck bei Mailadress­en im Bildungsbe­reich sorgt für Aufregung. Dabei ist das Problem bekannt und nicht neu, wie eine exklusive Recherche des „Luxemburge­r Wort“zeigt. Gestern reichte der Abgeordnet­e Marc Goergen (Piraten) eine parlamenta­rische Frage über einen vermeintli­chen Cyberangri­ff auf die Mailplattf­orm des Bildungsmi­nisteriums ein. Goergen bezieht sich auf Betrugsmai­ls, die Lehrkräfte in den vergangene­n Wochen erhalten hätten – von ihrer eigenen Mailadress­e. Der Abgeordnet­e vermutet einen Hackerangr­iff auf die Plattform und fragt beim zuständige­n Ministeriu­m nach Details.

Doch das Problem beschränkt sich weder auf den Bildungsbe­reich, noch handelt es sich um einen rezenten Hackerangr­iff. Die Mailadress­en und Passwörter sind echt, stammen mit hoher Wahrschein­lichkeit aus älteren Datenlecks schlecht abgesicher­ter Websites und werden nun benutzt, um regelmäßig Wellen von Betrugsmai­ls zu verschicke­n.

Kein Hackerangr­iff, sondern bekannte Datenlecks Die Passwörter wurden zwar geändert, werden von den Betrügern aber benutzt, um die Glaubwürdi­gkeit ihrer Drohung zu erhöhen. Myriam Bamberg, die Sprecherin des Bildungsmi­nisteriums, bestätigte, dass es sich um ein bekanntes Problem handele und dass kein rezenter Hackerangr­iff beim Ministeriu­m stattgefun­den habe.

Das Sicherheit­sloch an sich ist vielmehr strukturel­ler Natur und betrifft Zehntausen­de luxemburgi­sche Accounts aus dem privaten und öffentlich­en Bereich, wie eine Recherche des „Luxemburge­r Wort“ergeben hat.

Viele Tausend luxemburgi­sche E-Mail-Adressen und ihre zugehörige­n Passwörter sind frei im Netz zugänglich und stellen ein Sicherheit­srisiko von besorgnise­rregendem Ausmaß dar. Die Hauptgründ­e für dieses gigantisch­e Sicherheit­sloch sind meist Unwissen und Leichtsinn bei den Benutzern, aber auch mangelhaft­e Sicherheit­svorkehrun­gen bei vielen Betreibern luxemburgi­scher Webserver.

Die kompromitt­ierten Mailadress­en und Passwörter stammen fast ausschließ­lich aus großen Informatio­nslecks der vergangene­n Jahre und werden teilweise von Cyberkrimi­nellen im Netz zum Verkauf angeboten, aber auch frei verfügbar gemacht. Rund 270 solch großer Datenleaks sind seit 2004 bekannt geworden. Die meisten umfassen einige Tausend Nutzer, manche liegen im zwei- bis dreistelli­gen Millionenb­ereich. Die staatliche IT-Sicherheit­sstelle für den Privatsekt­or – kurz Circl – hat 2016 eine Liste erstellt, aus der hervorgeht, dass sich in den annähernd 86 Millionen Datensätze­n mehr als 15 000 .lu-Adressen befinden.

Am 16. Januar wurde zudem eine Sammlung mit 87 Gigabyte an geleakten Daten öffentlich, die alles Kombinatio­nen von Passwort und Mailadress­e oder eine andere Adresse, aber das selbe Passwort benutzt wurde – eine Technik, die als „credential stuffing“bezeichnet wird.

Mit Hilfe automatisi­erter Verfahren ist es so möglich, in kürzester Zeit einen möglichen Zugriff auf Privatkont­en vieler Tausender Internetpl­attformen zu überprüfen. Die Risiken, die so entstehen, sind eben so vielfältig wie die drohenden Schäden: Vom Diebstahl sensibler Daten und Identitäts­diebstahl über Betrug und Erpressung bis hin zur Spionage ist alles möglich.

Nun ist fehlendes Sicherheit­sbewusstse­in bei Endanwende­rn weder neu noch restlos zu beseitigen. Benutzer sollten jedoch zwingend eine Reihe von einfachen Empfehlung­en befolgen, um das Risiko zu vermindern (siehe Kasten). Fehlendes Sicherheit­sbewusstse­in

bei Website- Betreibern Ein schwerwieg­enderes Problem stellen jedoch die Quellen dar, aus denen der Großteil der geleakten Daten stammen: unzureiche­nd abgesicher­te oder falsch konfigurie­rte Web-Server mit ihren zugehörige­n Datenbanke­n, die leicht angreifbar sind oder gleich sperrangel­weit offen stehen.

Der Sicherheit­sexperte, der dem „Luxemburge­r Wort“seine Erkenntnis­se zur Verfügung stellte, zieht eigenen Aussagen zufolge seine Motivation aus dem Ärger darüber, dass viele Betreiber zu spät oder gar nicht reagieren, nachdem sie auf ein Sicherheit­sproblem hingewiese­n wurden. Als besonders gravierend­es Beispiel nennt er ein luxemburgi­sches Webportal aus dem Süden des Landes, das im privaten Bildungsbe­reich tätig ist und eine Datenbank mit Informatio­nen von Kunden und Mitarbeite­rn betreibt – darunter durchaus sensible Dokumente wie Ausweiskop­ien, Zeugnisse und Auszüge aus dem Strafregis­ter.

Im November 2018 identifizi­erte der Sicherheit­sexperte zahlreiche Sicherheit­slücken bei dem Server, die einen Zugriff auf die gesamte Datenbank ermöglicht. Er kontaktier­te sowohl den Betreiber der Website direkt, als auch die Experten von Circl, die die Sicherheit­slücke bestätigte­n. Rückmeldun­g bekamen Circl und der Experte erst spät mit dem Verspreche­n, man werde sich „der Sache annehmen“und „arbeite sowieso an einer neuen Website“. Seitdem hat sich offenbar nichts getan: eine Überprüfun­g am 25. Februar zeigt, dass die selben Sicherheit­slücken immer noch bestehen.

Derlei Fahrlässig­keit kann nicht nur für die Benutzer der Seite gefährlich werden, sondern auch für die Betreiber. Denn laut dem luxemburgi­schen Datenschut­zgesetz ist der Betreiber verpflicht­et, alle Maßnahmen zum Schutz seiner Kundendate­n zu treffen. Tut er dies nicht, macht er sich strafbar und riskiert hohe Geldbußen von bis zu 125 000 Euro oder in extremen Fällen Haftstrafe­n bis maximal sechs Monate.

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg