Crash-Propheten und ihre Ausreden
Ob Börsencrash oder Hyperinflation, die Menge an düsteren Prognosen ist beachtlich. Aber es gibt gute Gründe, viele Warnungen auf die leichte Schulter zu nehmen. Peter Schiff ist besorgt. Außerordentlich besorgt. Vor wenigen Tagen wies er eindringlich warnend auf die „größte Inflationsgefahr in der Geschichte der USA“hin. Schiff, ein bekannter Kommentator und Investor, rühmt sich damit, einer der wenigen gewesen zu sein, die die US-Immobilienkrise 2007 und die nachfolgende Finanzkrise von 2008 „akkurat“voraussahen. Wenn dieser Mann vor Inflation, ja, vor Hyperinflation warnt, besteht eine echte Gefahr.
Das jedenfalls könnte glauben, wer über Peter Schiff nur wenig weiß. Denn es mag sein, dass er warnend auf die große Finanzkrise hingewiesen hat, andere Prognosen waren weniger erfolgreich. So sagte er im Jahr 2009 eine Hyperinflation in den USA voraus, wenn die US-Notenbank nicht sofort ihre expansive Geldpolitik, bekannt als Quantitative Easing, einstelle. Das tat die Notenbank nicht. Im Gegenteil, sie gab im November 2010 ein zweites Programm, Quantitative Easing 2 (QE2) bekannt, im September 2012 sogar ein drittes (QE3). Aber von bedenklicher Inflation, geschweige denn von Hyperinflation, keine Spur.
Peter Schiff wiederholte derweil seine Warnungen vor der Hyperinflation im Jahr 2010, ebenso wie 2011, 2012, 2013 oder in jedem Jahr danach. Der Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman fragte schon sehr früh in einem BlogPost sarkastisch, wo denn die Hyperinflation von Peter Schiff bleibe. Aber Schiff ist beileibe nicht der einzige Crash-Prophet, der fast immer falsch liegt. Marc Faber etwa, Jim Rogers und zahlreiche andere stehen ihm kaum nach.
Unterhalter und Ideologen Wer die Wall Street beobachtet, muss zum Schluss kommen, dass es unmöglich ist, seinen Ruf durch Fehleinschätzungen des Wirtschaftsgeschehens zu ruinieren. Aber mindestens einigen Medien müsste auffallen, wessen Prognosen nie eintreffen. Und selbstverständlich fällt es ihnen auf. Die Frage ist dann natürlich, warum die Medien diese Leute trotzdem immer wieder befragen.
Die einfache Antwort: Marc Faber, Jim Rogers und viele ihrer Kollegen sind mit ihren Medienäußerungen nicht im Investment-, sondern im Unterhaltungsbusiness. Ihre Kommentare sind die Horoskope der Börse, gedacht als Amüsement, nicht als ernsthafter Rat. Die Medien wissen: Marc Faber ist immer pessimistisch. Das ist praktisch die Marke, die er für sich etabliert hat. Insofern kann er also seinen Ruf nicht verlieren, wenn er ständig den großen Crash voraussagt und damit falsch liegt. Er könnte jedoch sehr wohl seinen Ruf verlieren, wenn er plötzlich Optimismus verströmen würde.
Aber es gibt noch eine zweite Gruppe von Kommentatoren, wobei der Übergang fließend ist. Zu dieser zweiten Gruppe gehören Kommentatoren wie Peter Schiff. Schiff ist zwar ebenfalls in der Unterhaltungsbranche, aber nicht nur. Es gibt, vor allem in rechts stehenden Kreisen, eine starke Nachfrage nach Medienfiguren, welche die angebliche Dummheit staatlicher Organe geißeln, insbesondere diejenige der Zentralbanken, und das mit düsteren Prognosen von einem Kollaps des Geldsystems verbinden. Peter Schiff bedient diese Nachfrage und nutzt sie, um dem Publikum Goldmünzen zu verkaufen. Die Riege der Verschwörungstheoretiker Bis zur Finanzkrise konnte man Peter Schiff für einen ernst zu nehmenden Wirtschaftsexperten halten. Aber dann zeigte sich, dass er Ideologe ist, nicht Ökonom. So geht Schiff davon aus, dass die Finanzkrise deswegen entstehen konnte, weil der Servicesektor zu groß, der Industriesektor nicht groß genug war. Mit anderen Worten, die Krise offenbarte in den Augen von Peter Schiff ein Angebotsproblem, das korrigiert werden musste.
Aus dieser Sicht ist verständlich, eine Hyperinflation vorauszusagen, wenn die Zentralbank viel Geld ins System pumpt. Ist die Produktionskapazität zu gering, sollten die Preise steigen, wenn der Staat eine expansive Geldpolitik verfolgt. Falls der Konjunktureinbruch aber ein Nachfrageproblem ist, dann sollte eine Ausweitung der Geldbasis nicht inflationär sein.
Ein ernst zu nehmender Interpret des Wirtschaftsgeschehens hätte die quantitative Lockerung der Zentralbank als natürliches Experiment für seine Theorien gesehen. Er wäre zum Schluss gekommen, dass etwas an seinem Erklärungsmodell nicht richtig sein konnte angesichts der ausbleibenden Inflation. Und er hätte das Modell korrigiert.
Aber Ideologen ist diese Möglichkeit versperrt. Was also tun sie, wenn ihre Prognosen falsch sind? Manche, wie Harvard-Historiker Niall Ferguson oder der HedgeFund-Milliardär Paul Singer, reihen sich ein in die Riege der Verschwörungstheoretiker. Das tut auch Peter Schiff. Sie alle behaupten, die staatlichen Inflationszahlen seien falsch und nichts als Propaganda. Die Inflation ist also angeblich bereits da. Das Clinton- Manöver als letzte Ausflucht Eine weitere verbreitete Reaktion ist die Clinton-Verteidigung. Dabei geht es um die Umdeutung von Tatsachen oder gemachten Aussagen. Der Ausdruck geht auf den ehemaligen Präsidenten Bill Clinton zurück, der behauptet hatte, er habe mit Monica Lewinsky keine sexuelle Beziehung gehabt. Später musste er zugeben, dass es zu Oralsex gekommen war. Aber, so Clintons Erklärung, das sei ein Vorgang, der nicht unter seine Definition des Begriffs „sexuelle Beziehung“falle.
Solche völlig vom üblichen Wortgebrauch abweichenden Deutungen nutzt auch Peter Schiff. Wenn es gerade passt, vertritt er die Ansicht, das Wort Inflation bedeute schlicht eine Geldmengenausweitung, nicht einen Anstieg des Preisniveaus. Auch andere Inflationspropheten nutzen das Clinton-Manöver. Ein berühmtes Beispiel stammt von Paul Singer. Er äußerte allen Ernstes die Meinung, die USA seien gegenwärtig das Opfer einer Hyperinflation. Sie zeige sich an den Preissteigerungen bei Picassos.
Anleger sollten aus dem Ganzen zwei Lehren ziehen. Erstens: Es gibt ernst zu nehmende Warnungen vor einem Konjunkturrückgang oder einer Börsenbaisse. Aber die Aussagen vieler CrashPropheten dienen nichts anderem als dem Amüsement. Investoren sollten sie sich mit der gelassenen Heiterkeit zu Gemüte führen, mit der man alte Horrorfilme anschaut. Zweitens: Wenn jemand die Clinton-Verteidigung nutzt, stimmt etwas nicht. Auch dann, wenn kein blaues Kleid involviert ist.