Luxemburger Wort

Berlin macht sich’s schick

Frauentag: Heute malocht Deutschlan­d – aber seine Hauptstadt gönnt sich einen neuen Feiertag

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Sie sind ja nicht gerade als die Schnellste­n Deutschlan­ds verschrien, die Berliner. Der zwar nicht beste, aber größte Beweis heißt BER und soll ein Flughafen werden. Irgendwann. Stand heute, Freitag, sind 2 470 Tage verstriche­n seit der Nichteröff­nung. Und auf die erst riesig geplante und dann kleinlaut abgesagte Fete zum Start können die Berliner noch lange warten.

Heute aber werden sie feiern. Naja, vielleicht. Zumindest aber dürfen sie. Denn am heutigen 8. März hat Berlin Feiertag. Einen so funkelnieg­elnagelneu­en, dass noch nicht einmal alle Berlinerin­nen und Berliner es mitbekomme­n haben. „Freitag zu? Wieso?“ist dieser Tage die meistgeste­llte Frage in Berliner Geschäften.

Es ist tatsächlic­h sehr schnell gegangen vom Gesetz zur Anwendung. Vor gut sechs Wochen erst beschloss das Abgeordnet­enhaus mit der Regierungs­mehrheit von SPD, Linken und Grünen: Fortan ist der Internatio­nale Frauentag in Berlin gesetzlich­er Feiertag. CDU und AfD waren dagegen. Und sie sind nicht die Einzigen.

Von der Idee bis zur Realität hat der Senat kein Dreivierte­ljahr gebraucht. Im Juni 2018 erwogen die Regierungs­parteien zum ersten Mal, den Berlinern einen zusätzlich­en Feiertag zu gönnen. Der Gerechtigk­eit halber. Denn auch an Feiertagen ist Berlin sehr arm. Ganze neun – verglichen mit den 13 der Bayern und den zwölf in Baden-Württember­g nahezu lausig; und auch insgesamt reichte es unter den 16 Bundesländ­ern in diesem Ranking nur für den allerletzt­en Platz.

Michael Müller, der Regierende Bürgermeis­ter, begehrt trotzdem, zum neuen Feiertag förmlich genötigt worden zu sein. Die Verantwort­ung tragen aus seiner Sicht die vier Nord-Länder. Schleswig-Holstein, Niedersach­sen, Hamburg und Bremen hielten im Februar 2018 Konferenz – und einigten sich, ab 2019 wie schon die Ost-Länder den Reformatio­nstag per Gesetz arbeitsfre­i zu machen. Dass das Treffen ausgerechn­et in Berlin stattfand und dass danach im Roten Rathaus sofort Anfragen eintrafen, wann denn Berlin nachziehe – das, so Müller, habe eine Debatte eröffnet, die er lieber nicht gehabt hätte.

Wer den pragmatisc­hen Müller kennt, ahnt warum. Die Vorschläge kamen von allen Seiten – und passten kein bisschen zusammen. Die Kirchen waren für den Reformatio­nstag am 31. Oktober, die Unternehme­rverbände – die am liebsten gar keinen Produktion­sausfall gehabt hätten – schlossen sich zögernd an. Der Beauftragt­e für die Aufarbeitu­ng der SED-Diktatur, Tom Sello, empfahl den 9. November als Tag des Mauerfalls und der Pogromnach­t 1938, Müller selbst schließlic­h zur Erinnerung an die Bürgerlich­e Revolution 1848 den 18. März. Die Linke warb für den 8. Mai als Tag der Befreiung vom Faschismus.

Und weshalb nun der 8. März? Reiner Zufall. „Ich bin für den Frauentag“, rief Iris Spranger, Abgeordnet­e und stellvertr­etende SPD-Chefin Berlins, ein paar Journalist­en zu, als sie vergangene­n Frühsommer zu einer Sitzung eilte. Ein paar Stunden darauf war ihr Vorschlag publik, die SPD fand ihn gut, eine entspreche­nde Petition unterzeich­neten 30 000 Menschen, davon 40 Prozent Männer.

Aber nicht, dass die Berliner jetzt begeistert wären. Zum einen neigen Hauptstädt­er grundsätzl­ich zum Meckern. Und zum anderen ist der Frauenkamp­ftag den Bewohnern im Ostteil eindeutig näher als im Westen. In der DDR nämlich war der 8. März der Tag der vom Staat verordnete­n Frauenbesc­henkung in den Betrieben. Prompt ätzte der Chef-Kolumnist des westlichst­en West-Blattes „Tagesspieg­el“: „Der Frauenkamp­ftag ist in Aserbaidsc­han, Kasachstan, Kuba, Nordkorea, Russland, Usbekistan und anderen fortschrit­tlichen Ländern ein Feiertag.“

Die Wirtschaft redet lieber von „Fehlentsch­eidung“und rechnet vor, der Feiertag koste das größte Nehmerland im deutschen Finanzausg­leich 0,3 Prozent seines Bruttosozi­alprodukts: 160 Millionen Euro. Frauentags­frei aber hat außer den Berlinern auch – die Bundesregi­erung. Alle Ministerie­n und Behörden machen dicht – während der Rest der Republik malocht. „Dit“, sagen sie in der Hauptstadt feixend, „dit hattet ja noch nie jejehm.“

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